freiVERS | Marcus Pöttler

wir finden nicht an diesen tag zurück

träumen, dass
der schnee uns zusammen hält,
die windgeritzten wangen,
flocken auf der haut
brennen, wie wir

die augenaufgerissene welt
umarmen, uns selbst
verschieben, die konturen
zerstreuen, zeigen erste
abwesenheiten

nichts lässt sich mehr
ändern, der letzte schachzug
über den rand, die dämmerung
sammelt erinnerungen, steigt
den hügel hinab

weiter oben bleibt graues haar
in den tannenzweigen, deine
moosigen locken, muster
auf der hand, leicht wie
vogelgeschrei

.

Marcus Pöttler

.

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freiVERS | Manon Hopf

auch das von andren
tieren lernen: das wort
so lange im mund halten
bis es sauer wird
und dann ausspucken

 

von andren tieren lernen:
befehle ignorieren
langsam sein
arbeit verweigern
streiken
außerplanliche pausen erzwingen
equipment zerstören
auch gehege
steine schmeißen
zurückschlagen
ausbrechen und wegrennen
alles in abfolge oder
zur gegebenen zeit

 

und von anderen tieren
das lachen lernen weil jeder verstandene
witz eine kerbe schlägt
einen haken fährt
auf der zunge:

menschen sind häßliche
vögel

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Manon Hopf

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freiVERS | Harald Vogl

berufswahl

macheniker oder bräftrieger
flauschheier freusir
oder deumptor
krünfahrer kipätan
polit oder pilotiker

neicht so licht
mit der schräbschweiche

ebar jetzt
weiß ich´s
schreftstiller
ein letirat
sinst nochts

.

Harald Vogl

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freiVERS | Tom Riebe

blick I

morgens stehe ich auf der brücke
werfe steine auf das dunkle eis
unter dem sich weiße
klar voneinander getrennte
amorphe schlieren bilden
die erst verharren
dann aus sich heraus zucken
ich beobachte ihre bewegungen
schaue
wie sie trachten
sich zu vereinigen
um der vereinzelung
zu entgehen
etwas größeres
zu werden
als ihnen bestimmt ist

bis zum abend
haben es nicht alle geschafft
trotz meines unausgesetzten blicks.

.

Tom Riebe

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freiVERS | Eline Menke

Es sieht so leicht aus

wie die Sonne aufsteht
ohne Gähnen und Recken.

Wie sie schlafen geht in den
Langlaufspuren der Sätze

wo ich Dinge vermute, die sich
gegen die Laufrichtung stellen.

Es sieht so leicht aus, wie das
Wasser abläuft, Worte

auf dem Trockenen liegen
zurückgelassen an der

Mündung zum Satz.

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Eline Menke

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freiVERS | Sigune Schnabel

Im Meer sind Geschichten weicher als an Land

I Ursprung

In einer Maus werde ich wachsen.
Ich liege in ihrem Schoß
und rieche, wer ich bin:
Wind und Gras oder ein Tag,
der räuberisch verklingt.

Sie glauben, sie kennen mich
aus früheren Zeiten, aus Waldgebieten
und Nächten.
Ich lief durch die engen Schatten
ihrer Rufe, schlief
auf wilden Worten.

Bald werde ich ein neuer
Tag; doch verschwinden soll ich,
wo alte Geschichten
unter Zungen hausen.

Die Steine wissen vielleicht
noch von mir.

II Niemand kennt den Grund

Im Meer drehen sich die Zeiten
in die Tiefe.
Ich rieche den Atem der Steine.

Einst nahm sich der Staat Gewässer
und nannte sie sein Eigen.
Aber sie schwimmen davon
wie ich.

Überleben will ich in Wasserhöhlen.
Immer seltener möchte ich sprechen.

Am schönsten ist das Meer,
wenn es mich hält.

III Die Nacht fällt von der schwarzen Liste

In Laubwäldern heult der Wind
durch Bäume.
Kinder sprechen von Farbmustern.
Ihre Stimmen kann ich dunkel
von der Landschaft unterscheiden.

Das Leben ist schneller als ich,
überquert Flüsse und Gezeiten.

Mein Haus erzählt eine Geschichte.
Ich höre zu
und weiß nicht: Ist sie wahr?
Nie bin ich größer als ihre Worte.
Vielleicht stirbt sie vor mir aus.
Die Gräber kenne ich
und die Stille. In der Nacht
gehören alle Farben mir.

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Sigune Schnabel

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freiVERS | Julo Drescowitz

5,0

Du liegst
neben mir
im Bett
und du
fährst dir
auf diese
Art durch die
Haare
wie du es
immer tust,
und deine Arme
sind wie
Äste
und deine
Hände
würde ich unter
Millionen
erkennen;
und ich spüre die
Hitze und
Nässe
unter unserer
Bettdecke
und wir trinken
dieses
Billigbier
aus Dosen
es heißt:
5,0
und die Dosen
sind eiskalt
mit
Kondenstropfen
am Blech;
und wir trinken
das kalte
Bier
und du
fährst dir
durch die
Haare
und
sagst
die eine
Hälfte
deiner Familie
tränke,
weil sie die
Welt
nicht verstehen
würde,
und die andere
Hälfte
deiner Familie
sei tot
weil sie
sie
irgendwann
von Grund auf
verstanden
hätte;
und dann
schweigen wir
einen Moment,
und es ist
dunkel
in meinem
Zimmer
und kühle
Herbstluft
zieht durchs
Fenster
herein
und ich rieche
unsere
Haut
deine
Haare,
und du
trinkst und
lachst und
sagst
du würdest
einfach
nicht
wissen
wohin
du
gehörst

.

Julo Drescowitz

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freiVERS | Claudia Dvoracek-Iby

momentan

momentan
brauche ich nur
die paar Momente
um auf meine weiße Wand
zu starren

und die Momente davor
um auf dich
um auf dich
um auf dich
im Sonnenlicht
zu schauen

mehr braucht es nicht
um deinen Schatten
um deinen Schatten
um deinen Schatten
auf meine weiße Wand
zu bannen

mehr brauche ich nicht
momentan

.

Claudia Dvoracek-Iby

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freiVERS | Stefanie Adamitz

flugversuche. eine utopie.

in jeder wohnung wackeln blätterschatten
rauschen blätterzucken
zappeln kleine schattenkinder
sprühen chancen, setzen samen
wuchern üppig feuchte zonen
decken sanft mit licht
was noch nicht

in jeder wohnung wohnt ein komposthaufen
nahrhaft prall und weit und breit
gefüllt mit euren sanften blicken
und tiere atmen schlafes wind
der eine trägt. wohin?

in jeder wohnung wächst ein pflanzenkeim
keimt jeden tag ein neues sein
kein reim,
eine braucht nur sein.
sein weichstes und innerstes
ein pelz aus dir

in jeder wohnung traut eine sich jetzt
ICH zu sagen
das ist deine stimme:
ich bin in jeder wohnung
ich bin ein wort, das dir gefällt
das du sagst und dann im hall
schnallst du seine flügel an

aus jeder wohnung starten flugversuche
wachsen schanzen wacklig in den wind
jedes haus ein igel mit gespreizten stacheln
worte schallen, treiben auf
flieg hoch hinaus und
nimm mich mit

ich bin ein wort im zappelnden wind
im blätternen rauschen
bin ich schatten und licht
bin ich keim und kompost
bin ich zappeln und wind

in jeder wohnung wackel ich blätterschatten
rausche zuckend
und zappel kleine schattenkinder
bin der pelz, der um dich liegt
und dein schatten,
vor dem du dich erschreckst
und lachst

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Stefanie Adamitz

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freiVERS | Eline Menke

Warte nicht

bis die Tage wie Türen an
unsere Sprache schlagen.

Im Zugwind fällt mein
Wort ins Schloss.

Du hast die Fenster des
Schweigens geöffnet,

scheuchst Erinnerung wie
einen Dieb aus dem Haus.

Er lässt seine Beute
unter dem Birnbaum

fallen, ich lese sie mit
dem Fallobst auf.

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Eline Menke

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