freiVERS Spezial | Liza Wandermaler
Eine dunkle Nacht
Sonettenkranz
Die Äste des Schneeballstrauches beugten sich.
Mama, zu wem haben wir gebetet?
Wie viele deiner Kinder wird er noch wegnehmen –
der Krieg, der nicht deiner ist?
(Okean Elzy, „Nicht dein Krieg“, 2016)
.
I
In den Kirchen verglühen die Kerzen
Und die Kornfelder gehen ein.
Nur der Fallende weiß allein,
Wie Soldaten die Glieder schmerzen.
Und die Monate gehn dahin,
Warme Nächte erlösen die kalten.
„Kind, dich holen die Nachtgestalten,
Wenn du rätselst nach Zweck und Sinn.
Lass dich nicht von den Schüssen stören,
Press das Spielzeug an deine Rippen.
Bald ist wieder der Wind zu hören…“
Doch am Ende des endlosen Tags
Flüstern Söhne aus trocknen Lippen
Und die Mütter verweinen das Wachs.
.
II
Und die Mütter verweinen das Wachs
Und verbluten das Herzenseisen.
Morgen sollen die Züge entgleisen
Zu der Feier des Zick- und Zacks.
Dann zerbricht man die runden Brücken,
Alle Ellbogen, jedes Knie
Und dann zieht man so stark wie nie
In den Krieg auf den Zacken-Krücken.
Auch die Augäpfel drückt man platt,
Um nicht nochmal die Tat zu sehen,
Die man gestern begangen hat.
Und die Ältesten beten: „Pax!
Bitte lass sie im Nichts zergehen
Mit dem Nachklang des Brandgeschmacks.“
.
III
Mit dem Nachklang des Brandgeschmacks
Überschreibt man die Weltgeschichte:
Helden-Oden und Fest-Gedichte
In dem Futter des Leichensacks;
Kinder winken mit Stoff-Servietten
Dem Gespenst auf dem roten Thron;
Männer krächzen ins Mikrofon
Und versprechen, die Welt zu retten.
Diesen Film hab ich schon gesehen.
Schalt ihn aus oder spul zum Schluss!
Doch man kann ihn nicht schneller drehen
Und das Band ist nicht auszumerzen.
Schon mit einem erstickten Schuss
Lässt sich jegliche Unschuld schwärzen.
.
IV
Lässt sich jegliche Unschuld schwärzen?
Frag die Mutter am Kindesgrab.
Schau aufs brennende Dorf hinab
Mit den rauchenden Häuserkerzen.
Frag dein eigenes Spiegelbild,
Wenn du Mut hast, dich anzuschauen,
Doch das wirst du dich lang nicht trauen
Und du wünschst dir, du wärest blind.
Niemand schreibt dir und ruft dich an,
So, als seiest auch du gestorben,
Wenn dein Geist das noch immer kann.
Und du suchst nach dem Schein-Indiz
Und du flüsterst: „Wir durften doch morden…“ –
Es bezichtigt ein roter BlitZ.
.
V
Es bezichtigt ein roter BlitZ –
Das zerrissene alte Wappen –
Die Bedeutung der Schulterklappen
Und die Freiheit der Selbstjustiz.
Also ziehst du die jungen Frauen
In die Zimmer mit Dämmerlicht.
Und man findet sie lange nicht,
Bis die Schneehaufen schließlich tauen.
Dann verlässt du die toten Wände,
Gibst den Kindern den letzten Rest
Und erlaubst dieser Nacht ihr Ende.
Doch der Mond ist entstellt und dunkel,
Schaut dein Werk an und beißt sich fest
An der faulenden Himmelskuppel.
.
VI
An der faulenden Himmelskuppel
Waren Sternbilder angebracht.
Jemand hat sie kaputtgemacht
Und die Nächte sind hohl und dunkel.
Und die Nächte sind kalt und leer;
Keine Fenster im Bunkerkeller.
Und die Tage sind nicht viel heller,
Ganz als gäbe es keine mehr.
Schon sind Kinder darin geboren –
Kriegeskinder der dunklen Zeit,
Zarte Irrlichter in den Mooren.
Doch das reicht nicht dem Seelenkrüppel,
Denn sein Hunger ist schwarz und weit,
Wie ein uralter Gummiknüppel.
.
VII
Wie ein uralter Gummiknüppel
Fließt der Fluss seinen schwarzen Lauf.
An den Ufern gehn Feuer auf,
Weiber sammeln das Stepp-Gestrüpp, hell
Übergeht die zersprengte Nacht
In die nächste und übernächste.
In den Trümmern der Blutpaläste
Planen Affen die nächste Schlacht,
Schlagen blindlings die Köpfe ein,
Schreien Flüche und schmeißen Steine
Und bepissen das eigne Bein.
Und vom obersten Lagersitz
Keift ihr Führer durch Brutgebeine
Vom berechtigten Grundbesitz.
.
VIII
Vom berechtigten Grundbesitz
Hast du Märchen als Kind gelesen.
Und du bist fasziniert gewesen
Von der Inschrift des Blutgranits.
Überzeugt davon, Recht zu haben,
Unbesiegbar und frei zu sein,
Tratst du stolz in die Reihen ein,
Die mit Würde und Weihe warben.
Doch nun scheint dir, man log dich an,
Denn es brennen die weißen Tücher
Und man lügt, wer den Brand begann.
„Geht das etwa schon jahrelang?“
Das bezeugen die fremden Bücher
Und es spiegelt der Klagenklang.
.
IX
Und es spiegelt der Klagenklang
Wie ein Echo die alten Lieder.
Man erholt sich und donnert wieder
Wie ein rastloser Bumerang.
Viel zu alt, um Vernunft zu erlernen,
Also geht man den alten Weg
Und bekräftigt das Sakrileg,
Um das letzte Stück Mensch zu entfernen.
Doch wie lange wird das noch gehen?
Bald fegt nur noch der stille Wind
Durch die grauen Betonalleen.
Doch solange wir hier verharren,
Wird zerstört, denn gedenk: wir sind
Jene Endzeit vor achtzig Jahren.
.
X
Jene Endzeit vor achtzig Jahren –
Der zerberstende Höllenzug –
Hat sie scheinbar noch nicht genug
Überzeugt und entsetzt. Sie fahren
Wie berauscht durch die schwarze Nacht
Ohne Bremsen und ohne Schienen,
Stur entschlossen, der Nacht zu dienen
Und dem Ding, das aus ihr erwacht.
Und, erleuchtend die Mordmission,
Zittert oben das dunkle Omen.
Man erwartet die Endstation.
„Wie lang fahren wir?“ „Nicht mehr lang…“
Man muss nur durch die Leichen kommen
An den Ufern der Zeit entlang.
.
XI
An den Ufern der Zeit entlang
Schleichen dürre Gestalten… Feuer!
Schau genauer hin. Siehst du – Feuer!
– den entkräfteten, seichten Gang?
Fest der Zombies, der Totenzug…
Und sie singen schon wieder – Feuer!
Die verschimmelten Hymnen – Feuer!
Über Schwindel und Selbstbetrug.
Und sie tanzen im Blumenmeer,
In der Mitte der Menschenherde,
Schwingen lachend das Sturmgewehr…
Und nicht weit von der Fahnenpracht
Fällt ein Mann auf die harte Erde.
Jemand schreit, es sei ausgedacht.
.
XII
Jemand schreit, es sei ausgedacht…
Und ich möchte die Welt zerfetzen,
Doch es hängt über allen Plätzen
Diese klebrige Lügen-Nacht.
Sie klebt Lider und Ohren zusammen
Und sie bindet dir Hand an Hand.
Und sie flüstert: „Verehr dein Land,
Sonst zerfleischen dich meine Flammen.“
Also sprichst du mit keiner Seele,
Untersagst dir das Telefon
Und befolgst alle Nacht-Befehle.
Und es ändert sich nichts seit Jahren:
Jemand brennt in der Nacht davon,
Jemand will nichts davon erfahren.
.
XIII
Jemand will nichts davon erfahren,
Jemand rechnet die Toten aus.
Mancher packt und verlässt sein Haus,
Um zum Höllentor hinzufahren.
Mancher fängt die Geschichten ein,
Manche schließen sich ein und weinen.
Manche wollen die Tat verneinen.
Mancher wünscht sich, im Kern zu sein.
Jemand ist nur ein kleines Kind.
Jemand denkt an die Lebensscherben.
Jemand schweigt nur und trinkt Absinth.
Jemand wünscht sich ein wenig Macht.
Einer lächelt und lässt sie sterben.
Es beginnt eine dunkle Nacht.
.
XIV
Es beginnt eine dunkle Nacht.
Man verwehrte der Sonne zu scheinen:
„Zu viel Gelb auf den blauen Leinen.“
…Also hat man sie umgebracht.
„Mama, wann sind die Monster weg?
Warum müssen wir uns verstecken?“
„Kind, dich holen die Schatten-Schrecken,
Wenn du rätselst nach Sinn und Zweck.
Lass dich nicht von den Schüssen stören.
Ihre Taschen sind einmal leer
Und der Morgen wird uns gehören…“
Doch es fröstelt in Kinderherzen
Jede Stunde ein Stückchen mehr.
In den Kirchen verglühen die Kerzen.
.
XV
In den Kirchen verglühen die Kerzen
Und die Mütter verweinen das Wachs.
Mit dem Nachklang des Brandgeschmacks
Lässt sich jegliche Unschuld schwärzen.
Es bezichtigt ein roter BlitZ
An der faulenden Himmelskuppel
Wie ein uralter Gummiknüppel
Vom berechtigten Grundbesitz.
Und es spiegelt der Klagenklang
Jene Endzeit vor achtzig Jahren
An den Ufern der Zeit entlang.
Jemand schreit, es sei ausgedacht;
Jemand will nichts davon erfahren.
Es beginnt eine dunkle Nacht.
.
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freiVERS | Kameliya Taneva
bildende kunst
erster versuch: ton-
plastik. weitere schichten auf
-tragen, -kleben, -bauen. doch
jedes anständige tonmonster
muss seinen schöpfer
erwürgen.
wenn du überlebt hast,
versuchst du es erneut:
steinskulptur. du fängst an ab-
zutragen: du kratzt, du pellst alle
messgeräte vom leib des lebens weg, uhren,
metronome, navigationssysteme. du brichst
mit der überflüssigkeit, mit der über-
schwere bis ein nacktes, mageres
glück, eine handvoll groß,
deine fingerspitzen wärmt.
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freiVERS | Ilona Häring
An einem Tag,
an dem das Hirn ein Weichteil
und
der Nacken Knochen ist,
sollte man
nicht auf das Konto schauen.
An einem Tag,
an dem nichts auf dem Konto ist,
sollte man
keine Bilanz ziehen.
An einem Tag,
an dem die Bilanz rot ist,
sollte man
schleunigst
den Hund nehmen und in den Wald stoben.
In einem Wald
mit Hund und mir
rückt das Grün das Rot ins Schwarz.
Zahlt die Luft mit Wunschgeld ein.
Baut der Baum ein Rückgrat auf.
An einem Abend im Wald
sollte man
ein warmes Feuer machen.
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freiVERS | Carl Ensom
insel der möwen
ich habe deine forderungen verstanden
an die landschaft, die wilden möhren,
die disteln und die schreienden kraniche
jetzt komm und leg die ohren
auf das kissen, du willst nicht hören
wie ich die hasen rufe
dort am wasser, wo die schiffe landen
und jeden tag bringen, was die insel
nicht hergibt
so hast du mich hergebracht
hast mich in das gelbe gras gestellt
unter dunklen walnussbäumen
ich habe gelacht
selbst noch als du unter tränen
in den büschen lagst
faules obst im mund
ich hatte vergessen, wie es ist
über kreuze zu wandern
über zugefrorenes wasser
über nackte haut
jeden morgen kamst du
an das ufer, die schwingen
schwer wie blei
erst die lieder der frauen
die hier ihre männer waschen
haben deine last genommen
haben dir den magen gefüllt
ihre angst tropft aus vielen poren
auf dein fell hinab, du pickst
das salz von ihren stirnen
wie oft hast du versucht
in sie hineinzusehen?
dabei habe ich dich beobachtet
im gras, den blick starr
auf die wolken gerichtet
wir haben ihnen namen gegeben
sie haben geleuchtet
wie das rot der sonne
du wolltest wie die wolken sein
hast mich zurückgelassen
hier, wo ich deinetwegen war
auf der insel mit deinem namen
.
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freiVERS | Lucia Baierl
8-Uhr Bus
Ein Bus gefüllt mit leeren Menschen fährt eine graue Straße hinab in eine bunte Welt
Die Dunkelheit von außen leuchtet innen im blau und gelb der Wolken hell
Schlafende Augen sind auf nichts gerichtet, das monotone Schweigen ist zu laut für ein Gespräch
Bewegt sich einer wird es übersehen,
kaum registriert, wenn einer fällt.
Kein Armbanduhrenticken weckt die Menschen, die müden Zeiger drehen sich nicht
die Zeit hat sie noch nicht eingeholt
sie wartet draußen vor dem Fenster.
Die Straße wird jetzt schmaler, die Türen springen auf und die Welt springt in den Bus
Sie schnappt sich Zwei oder Drei und frisst sie auf
dann schreit sie einmal laut durch die Lippen eines Motors oder einer Fahrradklingel,
dann sperrt der Bus sie wieder aus
die müden Augen zucken kaum.
Doch die Zeit hat sich hineingeschlichen und gelb besiegt das blau
und einer nach dem anderen flimmern die Menschen auf wie kleine Glühlampen
Denn die Straße ist zu Ende und der Bus verstirbt gemeinsam mit dem ersten Ticken der Zeit.
Er spuckt die Menschen auf die Straße und verblasst im Meer aus leeren Hüllen
Denn die Welt schreit hier noch immer und trübe Augen sind geblendet von grellen Farben
Sie blinzeln zweimal oder drei,
dann fangen sie an, sich zu bewegen,
während das grau von ihren Schultern tropft
wie Wachs von einer Kerze.
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Mosaik
Ich trage den Pullover meines Vaters
und denke, er weiß nicht, wer ich bin.
Er weiß nicht, dass ich in den Pullover passe
und dass ich weiß, wie man ihn richtig wäscht,
ohne dass die Wolle steif wird und anfängt zu kratzen.
Ich trage die Ohrringe meiner Mutter
und denke, sie weiß nicht, dass ich jetzt blond bin
und keine Angst mehr im Dunkeln habe
und dass ich mit ihrem Auto das Fahren gelernt habe.
Ich hänge ihr Portrait an meine Wand
und denke, ich weiß nicht mehr, wer sie ist
damals war sie Mama
Ich weiß, wie ihre Halsbeuge klingt,
und wie ihre Stimme quietscht
wenn sie Musicals singt
Heute ist sie meine Mutter
ich habe ihre Nase geerbt und ihre Pflanzen
ich fotografiere sie mit der Kamera meines Vaters
stelle das Bild auf seinen Schreibtisch
und denke, ich weiß nicht mehr, wer ich bin.
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freiVERS | Emma Joerges
[denn meine schlaflosigkeit war wieder da und ich war in der stimmung etwas schönes zu zerstören]
„alles strebt zum chaos“, sagst du
und ich will dir nicht glauben
„das ist physik“, sagst du, „das nennt man entropie“
und siehst einer wespe beim ertrinken zu
niedlich
„es ist nur eine frage der zeit dass“, sagst du
und malst eine regenbogenflagge auf dein nazi outfit
„das bist du auf deinem tshirt mit deinem tshirt“, sage ich
„sich der jupiter verflüchtigt wie parfumduft im badezimmer“, sagst du
„und wir werden über scherben laufen aber nie fakire sein“
wenn ich dich nach deiner schmerzgrenze frage sagst du 2 bis 3
ohne zu wissen dass das die splitter an meinem wunden horizont sind
und akribisch bestücke ich meine fingerkuppen mit der pinzette
bis mein daumen einem igel gleicht
„mal mir einen wal“, sage ich, aber du willst nicht, „auch keinen gestrandeten?“
„wenn ich 100 C bin und du 20 C, sind wir beide bald 60 C“, sagst du und meinst
schon eher so ne 6
„das nennt man höhere entropie“, sagst du
und mein wal wirft sich an dein sandiges ufer.
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freiVERS | Sasha Petruk
LEICHTE NACHT
Leicht ist die Nacht
die geselchte die
ausgehangen ist
in Tüchern
auf Betten
verhungert
verstellt
hat sich nur
wer die Not
an den Mann
gebracht
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freiVERS | Peggy Lohse
Noch heute ins Morgen
Wie ein Amseljunges
zum Flugtraining
aus dem Nest purzelt,
von der Familientafel
in den nächtlichen
Regionalzug gestolpert.
Müdigkeit klebt
an den Sitzen
wie Bierspritzer
am Linoleumboden.
Minuten dehnen sich
wie Kaugummi, der sich
an Schuhsohlen festkrallt.
Sprachen blubbern
wie die Verdauung
des Festessens im Bauch.
Trägheit drückt
ein kratzendes Stirnband
ins Gesicht
beim Gähnen.
Unsichtbar rauscht
draußen der Wald
vorbei. Verdeckt.
Das Ziel versteckt
sich im Dickicht
hinter der Nacht.
Alle wollen nur:
ins Heim, ins Bett,
in Sicherheit - doch die
läuft uns davon.
Der Bummelzug jagt sie,
meint sie zu finden
an jedem Dorf-Haltepunkt.
Chipstüten knistern,
Köpfe träumen von Lagerfeuer.
Handys fragen klingelnd:
„Wo steckt ihr?“
Amseljungen schlafen jetzt,
mutig und satt,
bereit für den neuen Tag.
Der Zug rollt ihm entgegen,
fährt stetig bremsend hinein.
Wir sind noch heute im Morgen.
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freiVERS | Alexander Rudolfi
über der vielbefahrenen straße drehen die tauben ihre kreise zwischen den häusern, im sturzflug, im steigen; bevor sie abrupt ihre meinungen ändern und sich teilen und auf dem selben dach landen und die kreuzung in einen zustand versetzen, der etwas ortloses gellen hört, das vorgegangen sein muss, als wäre ein apfel vom baum und auf die straße geschlagen; was die straßen nicht kümmert und was die kreuzung nicht kümmert und nicht den verkehr unter der roten ampel übertreten sog sündenfall.
der lärm wenn sie aufgescheucht auffliegen und fragen, was einem rhythmus folgt, der immer gleich bleibt, bleibt, wie einsen und nullen den binärcode in den dioden entlang; und die jahreszeiten vorübergehen in richtung des salzwasserleuchtens, an die Äquatorlinien einem baumsterben entgegen, an dem massen durch magnetfelder marschieren, und standortregister bewegungen diktieren, wenn die ampel umschaltet, auf grün auf rot auf grün.
aber die tauben verlassen die stadt nicht, auch nicht wenn es herbst wird und die anderen vögel sich in pfeilzeigern bewegen, und sich auf einen punkt richten der irgendwo außerhalb, hinter der stadt, liegt in richtung der allgemeinen struktur solcher zeichen, nach dem wiederkehren, dem wiedererkennen und der imitation auf bildschirmen, die außerhalb unserer reichweite liegt, weil wir glauben etwas neues zu schaffen, aber nicht sagen können, was wirklich gleich bleibt, wenn sich doch ständig, ununterbrochen alles verändert, vorwärtsgeht, von einem ins andre verhandlungen führt – und warum, - und in welchem verhältnis eigentlich zu einander.
wie? wenn die feldlinien ihre wirkung verlieren? wie? wenn die tauben über der vielbefahrenen straße auf einmal beginnen nach süden zu fliegen? wie? wenn der sündenfall sich zuletzt nicht ereignet hat und der apfel am baum bleibt, weil keine bewegung mehr existiert, wenn sich folglich nichts mehr verändert und alles zwischen den ampeln,
berechenbar ist?
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freiVERS | Alexander Weinstock
Punk in München. Am Stachus,
mit stachligem Leder. Gegerbtes
Gesicht vom System und der Kälte,
skeptische Patches und nippelgepiercte
Haltung – dieser Diogenes
blinzelt aus seinem Dosenbier hervor,
hält die Hand auf und reibt sich
an den Verhältnissen,
dass sie was abwerfen, klirrend,
und dann verschwinden.
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