freiVERS | Christl Greller

unsteter flug

 

mitten auf der strecke stehen bleiben.
und liegt der uralte himmel schwer
über allem.

zeichen zeichnen sich ab,
heller werdend.

das leben ändert ständig seine fahrtrichtung,
gibt keinen blinker.

 

gut, wenn du
und schaffst du es, mitzukommen
beim lebens-terror.

ändere!

ändere!

ändere!

schwankend wird dein flug,
ob du es willst
oder nicht.
schmetterlingsgleich.

.

Christl Greller

.

freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>

Poedu - Text des Monats März

Der See

Die Oberfläche des Sees ist spiegelglatt
Wenn man nicht untergehen würde
Die Augen geschlossen
Einer, den nichts so schnell aus der Ruhe bringt
Das sollte heißen:
Er wirkt wie eine Oberfläche aus Eis, auf der man laufen könnte
Bei all dem Weltenschmerz und Leiden
So ein richtiger Sturm am See
sehne mich nach glattem Gewässer
Am besten an einem Vormittag im Herbst
Vielleicht an einem Freitag wie heute
Dazu noch Laub, das sich auf dem Wasser wiegt

 

Emina

(9 Jahre alt)

 

POEDU | Poesie von Kindern für Kinder. Monatlich gibt ein*e Autor*in online einen poetischen Anstoß.

.

Die Aufgabe diesmal kam von Nancy Hünger:

Colourout Poetry: Nehmt Euch einen schwarzen Edding. Sucht Euch eine Zeitung oder ein altes Buch, das niemand mehr braucht. Sucht Euch eine Seite aus. Überfliegt den Text. Unterstreicht mit Bleistift Eure Lieblingswörter. Wenn Ihr genug Wörter gefunden habt, schwärzt oder übermalt Ihr alle anderen Wörter auf der Seite, die nicht zu Eurem Gedicht gehören sollen und schon wird Euch Euer Gedicht regelrecht anstrahlen.

 

>> Alle POEDU Texte des Monats

>> POEDU - das Buch / Teil 2

>> DAS POEDU – Virtuelle Poesiewerkstatt für Kinder

.

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>

freiVERS | Steffen Bach

münchen zob

am zentralen omnibusbahnhof in münchen
wartend auf den fernbus nach innsbruck,
eine frau kommt auf mich zu, fragt ob
ich ihr kind halten könnte, während
sie auf die toilette geht, es ist ein
kleines kind, ein baby, mit vielen weich
aussehenden dunklen haaren auf dem kopf.
ich sage ja ohne darüber nachgedacht zu haben.
sie bedankt und geht.
sobald sie nicht mehr
zu sehen ist, kommt mir der gedanke, was
wäre, sie käme nie wieder, ich male mir ein leben aus
mit dem kleinen jungen oder mädchen, ich weiß
das geschlecht nicht, mit dem findelkind.
dann kommt sie wieder, schenkt mir einen schokoriegel
mit russischen buchstaben drauf;
geht mit dem kind auf dem arm weg.
den ganzen weg nach innsbruck über fühle ich mich leer.

.

Steffen Bach

.

freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>

freiVERS | Jutta Schüttelhöfer

Chamäleon

im Dickicht zerreißt das Band an den Dornen
die blauen Schatten tanzen auf der Lichtung
durchbrechen den Blick
ich habe lange nicht mehr in die Ferne gesehen
ein Schwarm Vögel fliegt vorbei

nimmt die Gedanken mit im weichen Gefieder
können sich meine Lieblingsworte an sie schmiegen
zurück bleiben nur die roten Worte
die ins Schwarz tendieren wenn ich sie laut denke
ich hoffe auf die Rückkehr meiner Sprache

stumm stehe ich mit roten und schwarzen Gedanken
die Sonne kehrt mir den Rücken zu versenkt sich
hinterm Horizont in der Finsternis
blinzeln mich grell-gelbe Augen an überall im Wald
versteckt lauern sie auf ihren Moment

ich ducke mich hinter tiefschwarze Schatten
schwärzer noch als die Nacht
ich bin ein Chamäleon

kleide meine Seele in ihr dunkelstes Gewand
und verschwimme mit dem Hintergrund
niemand hat mich je gesehen

.

Jutta Schüttelhöfer

.

freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>

 


freiVERS | Manon Bauer

fehlst du dem meer?
hat es dich nicht längst
vergessen weil du häuser
gebaut hast an land
und land gebaut hast
über dem wasser habt ihr
euch belogen als ihr sagtet
das seien eure brücken du
hast nicht damit gerechnet
dass jemand wasser baut
in die luft nur um dich
zu erreichen

.

Manon Bauer

.

freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>

freiVERS | Johanna Schmidt

Berührungen.

körper

Ich wälze mich in Gefieder fremder Körper,
halte mich warm in Räumen,
die nie meine gewesen sind.
Ich reibe mich an der Bettkante,
ziehe mir einen Splitter ein,
blute ins weiße Leinen
und frage mich,
ob der Fleck jemals wieder verschwindet,
ob wir nun Verwandtschaft sind.

Die Handflächen, die Finger
in Krater schieben;
zersplitterte Gebiete
überziehen nackte Körper
werden zu Unebenen,
ein zerkratztes Relief und du:
legst dich auf mich
und suchst und spürst und gräbst
beinahe alle Narben aus.

Deine Bewegungen radieren alle Schatten weg,
nicht einmal das Gegenlicht weiß
dich einzufangen

Ich würde dich gerne sehen,
wie du deine Initialen
in die Maserung
meines Rückens schnitzt.
Wie du die Härchen brichst,
gefrorenes Gras durchstreifst,
es auftaust
im ersten Frost.
Wie deine Muskeln versteifen,
verästeln, brennen,
bevor sie sich
in andere Richtungen strecken.

An bettwarmen Gesichtern
kaltgewordene Hände reiben,
Münder und Lippen nicht nur
für Unaussprechliches
brauchen
wir
uns noch
oder sind wir längst vergangene Ideen,
verheizt in schneeschwarzen
Winternächten?

.

Johanna Schmidt

.

freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>

 

 


freiVERS | Miriam Tag

prien, fuchs

erst schleiche ich mit großem abstand an dir vorbei,
mager und wachsam, mein struppiger pelz aufgerissen
von verwegenen streifzügen.

die erde duckt sich unter mir.

in meinem fell hängen die noch warmen reste des tages.
nun ist es nacht, und mein begehren, diese sanfte rote waffe,
dehnt sich über den gesamten körper aus.

ich bin bereit für ein erneutes kühnes spiel, ich bin bereit
für den riskanten moment, wenn ich im strahl deiner augen
erstarre, bloß, deinem blick ausgesetzt,

selbst beute bin

 

.

Miriam Tag

.

freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>

freiVERS | Anna Arning

dämmerung

da sitzt einer
bei seinem zelt am deich
der wartet
auf den untergang
der sonne

die wohlbehausten düssel
städter schlendern oben
radeln, rennen im letzten licht
allein, zu zweit, in gruppen fit
for fun, für’s business oder
einen nicht schlank genug
geratenen hund der kläfft
ins zelt und hebt sein bein
auf pappkarton steht danke
falls jemand doch mal dosen
oder pet-pfand oder ein paar
ausrangierte sneakers hinterlässt

da unten am rhein
bogen sitzt einer
der blinzelt zur sonne
und wartet
weiter

.

Anna Arning

.

freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>

freiVERS | Alexander Rall

Rheinlandschaft im September

Vor der Staffelei

Der leicht fallende Wind an einem kalten Septembertag
zeigt die Straßengesichter in seinem bläßlichen Blau
wie Papier auch die versprühten Farben

Eine Porzellankatze sieht mich lange an und ihr Besitzer
fürchtet ich würde sie mitnehmen ohne zu bezahlen

Die Tümpel und Kohleschlepper sind
in das gleiche bläuliche Licht getaucht
wie die Berge aus sortiertem Schrott
die Lastkähne und der Uferstein

Es scheint als sei auf diese Landschaft
eine Mündung gerichtet

Zwei Männer sitzen in einem geschlossenen Wagen
und trauen sich nicht nach draußen zu gehen
jemand anders bleibt im Dunkel seines Bürofensters
und ich zeichne die wirkliche Mündung seiner Waffe

Er fuchtelt mit ihr, als wisse er noch nicht
worauf er zielen solle, - vielleicht, denke ich
will er die Landschaft als ganzes zum Verschwinden
bringen
bevor sie ihn zum Verschwinden bringt

Der leicht fallende Wind läßt trockenes Laub blühen
und kleine Stückchen Dunkelheit
finden sich an den Flusssteinen, den Grabsteinen
die jemand zu ihnen ans Ufer geworfen hat
aus Achtlosigkeit oder aus Wut

Ich höre auf das Schlagen des Wassers
Segler schweben nah vor dem schwarzen Dom
fahren unter gezeichneten Brücken
in Farbpunkten, Strichen und dem zittrigen Licht
unterschiedlich bedeutender Zeichen

.

Alexander Rall

.

freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>

24 | Sigune Schnabel

Erziehung ist wie ziehen

Von Gott sollst du kein Bild machen.
Die Linsen verzerren seine Kanten,
verfärben die Schattierung im Gesicht.
Mutter steht
mit wehendem Handtuch
auf der Treppe.

Ich weiß von ihm
aus nebligen Geschichten,
suche im Gartenhaus
und zwischen Giersch.

Gib mir das Abendlied,
rufe ich,
damit ich dich besser verstehe.
Ich bin ein Erfinder.
Reiche es mir auf dem Silbentablett:
ein Klang überm Meer,
ein Wort,
das niemand kennt.

.

Sigune Schnabel

.

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen:

advent.mosaikzeitschrift.at