freiVERS | Stefan Heyer

Der Papierkorb

Unter dem Schreibtisch
manchmal steht er auch etwas weiter
entfernt
wartet der Papierkorb

gefüllt will er werden
bekritzelte Zeitungen
vertippte Seiten auf der Schreibmaschine
Fehldrucke

schlechte Texte, falsche Wörter
die Spuren des Bleistifts
durchgestrichene, zerrissene Seiten
mit Wut geworfene Papierbälle

Flieger voller Langeweile
mitunter auch Bleistiftanspitzreste
leere Patronen
doch hier und da nimmt

eine Hand ein Stück Papier
wieder heraus, streicht es glatt
liest noch einmal und

findet Gefallen an den Worten
den Sätzen, ein Lächeln
fährt über das Gesicht

Stefan Heyer

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freiVERS | Benjamin Löber

Nachtfahrt

Ruhe und
Geschwindigkeit
Schwarze Scheiben
Spiegelzeit
Heißer Kaffee
kaltes Licht
Störe meine Gleise nicht
Benjamin Löber

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freiVERS | Raoul Eisele

petrified kisses
of mythic aesthetes
enchains us
in bondage
with passion
---------of pain
lies alice’s incarnation in cellar
of mad hatter’s abysmal hat
where you don’t speak of eden’s garden
or the endlessness of moons
with their shadows
in the marrow of your own
are giraffes placed
---------in the first floor
with their heads over the roof
into the clouds
decorated with girdle of flours
run rabbits knots in their heads
and seamen sail through the bosphorus
of your heartstrings
sings sirens of hope
that never will fulfill
is the sun the only ray
that will stay
---------in the world
of tomorrow’s us

Raoul Eisele

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freiVERS | Niels-Johannes Günther

Fackel der Demokratie

Wo ist die
leuchtende Fackel geblieben?

Die Fackel der Freiheit,
das leuchtende Licht der Liebe,
das europäische Feuer des Friedens,
die stille Kerze der Vernunft?

Nationale poltern,
Monarchen rüsten,
die Angst schnürt Seelen zu,
alte Türen werden fest verschlossen.

Die Wahrheit wurde schon
auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Die blinde Justitia schon
gefesselt und geknebelt.

Die Stimmen der Gefolterten,
Verschleppten, Versklavten - verstummt.

Wo ist in dieser Dunkelheit
die leuchtende Fackel geblieben?

Niels-Johannes Günther

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freiVERS | Christa Issinger

Notting Hill Gate

aufgerollt wie ein faden
die vergangenheit
der geruch und die wärme
windstoß der u-bahn
das viktorianische haus mit der roten tür

du warst nicht mehr da
nur die lüge
du würdest auf mich warten
tausend jahre und mehr

nun stehe ich da und
drehe mich um
Erinnerung

Christa Issinger

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freiVERS | Angelo Wemmje

Nachdem Beifall

Eine vollkommene Reduktion
tritt auf die Bühne und
präsentiert ihre Immanenz, die
das Publikum verlor in den
überschwänglichen Bewegungen
ihrer Leben:
Das Stillleben – ein
fixierter Moment
aus dem alles entwächst, auch
die Zappelein der Gäste
und Zuschauer – eine
scharfe Illusion, die
der Maler entpuppt mit
einfachen Strichen,
die, nachdem streichen
in Ewigkeit ruhen
zu Ehren dem Werk, so
wie das Klatschen der Leute
nachdem Beifall.

Angelo Wemmje

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freiVERS | Lütfiye Güzel

freiheit & fabrik

ich schreibe
aus den falschen gründen
& je schlechter ich mich fühle
desto falscher werden die gründe
von außen kommt nix
von innen geht nix
und am ende
ensteht dann
so was hier
Lütfiye Güzel

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freiVERS | Barbara Zoschke

Veränderung II

Ich werde die auftragen.
Sind die, die sauberputzen.
Gebe ich darüber.
Das ist eine, die wächst, enthält, was unterstützt.
Die wird genährt und gereinigt.
Der beruhigt die, die hat vom Fahrtwind.
Ich rühre, sie enthält.
Das sind die.
Sich mit den verbinden?
Das ist, die dafür sorgt, die produziert.
Und die gebe ich hinein,
nennt sie die, die symbolisieren.
Gebe ich nämlich und hinzu.
Das ist das der und die, die stärken.
Erhält die und eine an.
Das braucht die, weil hochfährt.
Im Frühling gibt die ab,
wie eine, die sich häutet,
wie die, die aufblüht und kommt.

 

Barbara Zoschke

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freiVERS | Jonas Linnebank

ausfall automatik

zum glück muss man sagen
und wie glücklich es sich fügt
schritt für schritt
schritt dem schritt voraus

DEM (deutsche einheitsmarke)
dativ horchen horen
hurchen furchen
fürchten mürchen
märchen lärchen?

genitiv!

nur kurz hin
plus ein ding
dann wieder raus
blende weg zack
wen interessiert warum

ätschibätsch
akkusativ

aber warum
warum eigentlich
warum sitzt du hier
warum hast du das getan
sie getan

komm schon nominativ
kommt nix –
die domina rief
"dumm
einfach dumm"

geschrieben
horchen verblieben
hurchen
vertrieben
hurchen
wo bist du geblieben

ja aber wer denn

ein fall
das glück ist durch

nächster gang
autormatik

Jonas Linnebank

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freiVERS | Sebastian Hage-Packhäuser

Satzzeichen

– // : auf einmal –: Licht – / ( : die Farben regen – /
: sich unter grauen Schleiern – / : schlapp – /
: & mischen sich – / : heben sich gegen
die aufgetrennten Schatten ab – ) /

: die Sonne bricht – / : durch alle Schichten – /
: & leuchtet alles – / : en passant – /
: durchdringend aus – / : ein Spiel von schlichten
Spiegelungen – / ( : ein Pendant – /

: zu dunklen / aufgebrauchten Welten – ) /
: stellt sich / übergangslos ein – /
: Worte fallen – / : dort nur selten – /
( : wer spricht – / : der spricht / mit sich allein – ) /

: doch kaum im Licht – / : paart sich die Sprache – /
: mit tropenfeuchten Zungen wund – /
: & wie aus einer Trance erwache
ich – / : mit Satzzeichen im Mund –

Sebastian Hage-Packhäuser

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