14 | Lea Menges
tektonik
i.
beschreibe einen aufbruch
es zieht die watte im magen zusammen
braut dumpf
raufasertapete und hirnrinde und verbinde augen mit
welche furchen im sehfeld
wie man nachfahren soll
ii.
die angst verlassen zu werden
ein windhund mit silberaugen
striemt mir wie styropor über die haut
steckt mir morgens in den knochen
wie mohn
iii.
bedecke abweichendes innenleben
knie aufschlagen statt adern
von der kamera geschluckte mondstrukturen
auf meine knie abgepaust
was es heißt, ebenen zu verschieben
schleckt luft über die pupille
rauschen taubenfedern ins zimmer
aus körpern gelöst
aus haut gepickt vor dem spiegel
quetsche ich talg und trauma aus meinen poren
betrachte meine eltern beim schlafen
in der wangentasche ein gefühl dabei
man kann kein ultraschallbild der lage machen
man kann nichts durch die bauchdecke wenden
den kreisläufen trotzen wie moos auf schnee
iv.
eine liste eingetretener veränderungen
die dinge auf lunge tun
ins atmende brennen
eine möglichkeit aus dem eigenen fleisch schnitzen
in der zukunft liegt
der feine ascheschleier
der mich nachts
mit den zähnen knirschen ließe
trüge ich keine spange
v.
meine stirn patrouillieren lassen es eitert
aus der achsel als ob es provisorisch wäre
zu schorf werden eine andere form von bleiben
ein erschrecken vor dem eigenen abheilen
das zu sichtbar ist das ich von meinem rücken kratze
knochigknotig unter fingerkuppen
öffne rippen wie hände die perlen ab
knackende wirbel säure tritt aus
der versuch reibungsfläche zu minimieren
scheitert der schmerz liegt längst im anatomischen grab
und da war nie fläche die mich deckte nur eine hand
der himmel kann sich selbst nicht gleichen
darunter ein körper es krampft ihn noch
zwischen beiden bald spanne
bald stand
.
Lea Menges
.
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
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12 | Dorothee Krämer
aus zwei rudern
ich bin aus zwei rudern geboren sie fuhren
mit mir übern see
am morgen war das wasser eisblau und klar
am abend ein sumpfiges grün
die ruder steckten im moorigen grund
wir schlugen leck
ich kletterte an land
hinter meinem rücken hörte ich das
krachen der hölzernen ruder
sie rissen eine wunde in den see
übers land verteilten eidechsen
ihre bewegungslosigkeiten
in meinem rücken waren holzsplitter
jetzt trug ich einen eidechsenrücken
.
Dorothee Krämer
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9 | Katharina Forstner
Ich zähle die Wände um meine Stunden
Eine Wand hat ein Fenster hinunter zur Straße
Ich würde hinausgehen hätte ich einen Grund
Eine Wand ist löchrig von meinen Fäusten
Ich würde sprechen wüsste ich zu wem
Eine Wand mahnt wir alle hätten zu tragen
Die Zimmerdecke oder den Zusammenhalt
Eine Wand schmiegt sich an meine Schulterblätter
Sie zeigt mir wie man versteinert
.
Katharina Forstner
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6 | blumenleere
in memoriam auf repeat
jahr fuer jahr ruecken wir ihm ferner
jenem griswald-weihnachts-slapstick-
horror den wir einst ja als blaupause
unserer eigenen festtage betrachteten
unsere winterbaeuche zum erbrechen
mit plaetzchen gefuellt quasi auf hold
sozusagen abruf erwarteten wir dann
die action den trubel eines aufgeregt
irren familienfestes voller ereignisse
bis in die knochen rein tragikomisch
genug irritationen um uns nachhaltig
stoff fuer gespraeche & alptraeume
zu bescheren nun ein sehr sonderbar
anmutendes relikt aus einer fremden
aera weil wenn wir jetzt vernetzter
feiern konzentrieren wir uns gleich
von anfang an aufs kommunizieren
eines sorgsam aufgearbeiteten plots
mit snapshots & comments garniert
unsre faden existenzen meliorierend
statt uns hilflos & ziemlich isoliert
kategorischer auf uns allein gestellt
dem monstrum perfider traditionen
ausgeliefert zu sehen & es dennoch
letzten endes heldenhaft zu besiegen
da uns was andres nicht uebrig blieb
.
blumenleere
.
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4 | Yvonne Koval
winterschlaf
heute geht's mir nicht so gut
die nabelschnur zieht an mir
zieht mich runter, macht mich
rund & unerträglich, ewig
bis der winter vorrüber
also sag wenn du alleine
wenn du unter menschen
punsch & geschenke
& spaß haben willst
dann können wir mich einpacken
mir ein kleines nest bauen
wo ich winterschlaf halte
während deiner freude
& drei jahreszeiten lang
so warte ich, & kann die zeit
an zwei händen abzählen
bis du zurückkehrst
& mich auspackst
als ob ich zerbrechlich
& all das da drinnen
nach einem winterschlaf
das sagt die forschung
geht es tieren gar nicht gut
ihre hirnaktivität
sei dann gleichsam der
nach tagelangem schlafentzug
(ich hoffe, es geht schnell zum schluss)
nur dazwischen ganz unscheinbar ein widerspruch
mein winterschlaf : ein schlafentzug
(ich dachte, eines folgt dem anderen)
hauptsache ist wohl, dir geht's gut
.
Yvonne Koval
.
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2 | Georg Großmann
Mühlviertler Nacht
ich befinde mich in den
gestapelten, fest
verzahnten
polyedern, bin
im haus, draußen;
der dreikant-hof, huf-
schläge, leere, die weite,
der wald, der den hof nachts
belauert
drinnen; das wasser, der
saugmund der
abwasch, das
spülkasten-rauschen
draußen; das gluckern der jauche
im hochbehälter, die sprache des blasenschlagenden
dunkels
draußen läuft mein drinnen
mein kochwasser
mein zahnpastaschaum
meine ausscheidung in
den gärenden teich
während sich jemand daneben
versteckt hält und atmet und
hört und weiß, dass ich
da bin, im haus und mich sieht
in den fenstern
und lächelt
und hechelt
und herschleicht
und blicke von draußen
nach drinnen wirft
aus dem weiten
dunkel heraus in die aus-
geleuchteten polyeder
auf mein bildschirm-
beflimmertes
gesicht
.
Georg Großmann
.
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freiVERS | Chris Lauer
Paternoster
Glück im Unglück,
Wenn nur der Vater
Und nicht die Mutter,
Sagt sie
Und zieht
Das Ginstergelb fest,
Das vorhin im Briefkasten lag.
Doppelt kann man sie binden
Um den Mädchenarm,
Fast dreifach
Am Ende von allem,
Die Horizontebene,
Die sie teilt
In Himmel und Erde
In Himmel und Erde.
Dein Reich komme.
Sie kocht und wäscht
Für ihre Geschwister;
Das Kleinste schieben sie und ihr Bruder
Wie Jungelterngewordene
In einem Holzwägelchen
Vor sich her.
Es schreit nie.
Manchmal denkt sie Unerhörtes,
An Opulenz, im Einschlagpapier eingewickelt:
Eine Vollkornstulle mit Butter,
Und ihr Mund wundet
Von den ausgespuckten Aprikosenenkernen,
Die sie aufsammelt, wenn niemand hinsieht:
Wie Taler blinken sie zu ihr herauf,
Wie braune Paukanten,
Die mit ihrem eingeritztem Spalt
Zeigen wollen,
Dass sie, ganz anders als Frauen,
Keine Schönheit brauchen; dass man sie
Ja nicht mit Frauen verwechseln sollte,
Dass sie sich vielleicht auch wünschen,
Frauen zu sein, weil sie denken,
Als Frau müsse man, ja ja, gespalten sein.
Sie überkaut die Ahnung von Sommer,
Während sie unweit
Das Blechern von Medaillen hört:
Ein Windspielstapeln,
Das schon an der nächsten Straßenecke
Einknickt.
Für Nelly Kerngut
.
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freiVERS | Samuel Kramer
Ein Vakuum ist unveränderlich ein Vakuum,
es sei denn, es würden Zugänge geschaffen.
Das Gedicht (d. i. das Vakuum) kann nicht vor Publikum wiedergegeben werden.
Wäre es möglich, es vor Publikum wiederzugeben,
würde daraus die Zerstörung des Publikums resultieren.
Das Gedicht kann nicht vor Publikum wiedergegeben werden.
Wäre es möglich, wäre das Gedicht nicht entstanden.
Wenn es möglich wird, wird das Gedicht unmöglich.
Ich wünsche mir die Zerstörung des Publikums.
Zerteilt, ionisiert, verstreut, auf der Suche nach Notausgängen
bildeten sich heilsame Verweise und Klumpen kohäsiver Expertise.
Das Gedicht kann, nachher, nicht vom Publikum wiedergegeben werden.
Wäre das Publikum möglich, würde daraus ein Gedicht resultieren.
Bitte greifen Sie bei Druckabfall nach der Luft. Halten Sie mich nicht
auf. Und bleiben Sie unter keinen Umständen ruhig.
.
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freiVERS | Enno Ahrens
Erdig
vom Angsthasenpfad
durchs Tal der Erlkönige
ins lichte Leben erscheint mir
alles im Blick meine
Füße so käseschmelzig wie
der Leib eines Neugeborenen
die Nase noch verpfropft rieche
ich mich selbst an kalter Quelle
eine Gehirnwäsche
wandle nun auf
ausgelatschten Wegen
Das Brenneisen der Zeit
prägt mir seinen Stempel
durch die Haut
Mein Erkundungsflugzeug
steht im Hangar eingemottet
Die Atmosphäre ist so verletzbar
geworden wie meine Haut
ein allergisches Schlachtfeld
Ich schreite zu Fuß die Fronten ab
versteckt hinter einer Schuldzuschiebemaske
und mit Moralabwehrgranate gewappnet
Mein Körper ist Lebewesen
zwischen Leben gewesen
wiederholt geraten
zwischen Panzerhaubitzen
und Atomwaffenbedrohung
will er ein Gemütskaninchen sein
nur noch Geist
Unverletzlichkeit der
Körperlosen
bis in alle Ewigkeit
tugendhaft in Tugendhaft
fraglos
in ungezählten Himmeln
steht die Zeit Kopf
.
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freiVERS | Jonah Rausch
volt
klick.
und mein körper auf hochspannung
da tropft strom von nabel zu finger zu herz
fließt durch die venen, pocht durch die haut
habe kabelenden, die keine anfänge finden
nur lücken.
von kabel zu stecker zu körper
reizstromhaut, ein druck der
narben hinterlässt und verbrennungen
und mein körper auf hochspannung
die energie zirkuliert kann mich jemand ausschalten
und jederzeit die kurzschlussreaktion
klick.
ich spüre energie hinter meiner stirn
so viel volt das die glieder schmerzen
wenn du versuchst dich aufzuladen
wenn du mich berührst
sei bereit zu explodieren
klick.
wie es pocht, wie alles in mir pocht
stromschlag
ich überhitze
alle kabel brennen
auch, wenn jetzt licht angeht
ich sehe mich nicht
auch wenn alles heller wird
ich sehe mich nicht
.
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