15 | Claudia Maria Kraml

zwischenstation

stummes wispern ferner zeiten
allegorie dem raureif gleich
lässt zurück des frühlings leiden
das neuer namen kenntnis weicht

alte lettern voll der mären
erwachend hoffnung leicht zerspringt
aufenthalt nicht um zu währen
kälte bald durch rückgrat dringt

wo der winterwind mit flocken
blasse straßen nachts durchfährt
und zerreißend hell der glocken
luftbotschaft einlass begehrt

und engelsschwert geformt aus stahl
vor des trubels froher schar
erdolcht der grenzen flieh’nde qual
rettet zukunft übers jahr

funkelnd blick wie kieselsteine
bleibt in traumes mut besteh’n
geflüstert wort es ist das meine
verweile doch du warst so schön

Claudia Maria Kraml

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.


freiTEXT 2014-15 als eBook

freiTEXT14-15

Ein Jahr freiTEXT ist vergangen - es wird Zeit für die große Nachlese. Die Anthologie mit allen Texten aus 52 Wochen freiTEXT ist ab sofort als kostenloser eBook-Download erhältlich.

mit Texten von Thomas Mulitzer, Tobias Roth, Andrea Weiss, Sabine F., Magdalena Ecker, Claudia Kraml, Eva Löchli, Andreas Haider, Madlin Kupko, Dijana Dreznjak, Ingeborg Kraschl, Fabian Bönte, Simone Scharbert, Renate Katzer, Jacqueline Krenka, Karin Seidner, Nico Feiden, Sabine Roidl, Sven Heuchert, Veronika Aschenbrenner, Sarah Krennbauer, Philipp Feman, Matthias Engels, Clemens Schittko, Eva Wimmer, Gerhard Steinlechner, Matthias Dietrich, Christine Gnahn, Eva Weissensteiner, Marie Gamillscheg, Satie Gaia, Lina Mairinger, Jonis Hartmann, Philipp Böhm, Lütfiye Güzel, Kerstin Fischer, André Patten, Katrin Theiner, Daniel Ableev, Marina Büttner und Martin Piekar.


freiTEXT | Claudia Kraml

Wolkenbruch

Und vielleicht hätte ich doch lieber heimfahren sollen, denke ich mir zögerlich, als ich um Punkt drei Uhr nachts erwache und im Takt der prasselnden Desorientierung um Luft ringe. Stickig ist es hier im Zimmer, und heiß, so unendlich heiß, als ob man sich erst einmal mit scharfen Messern bewaffnet hindurchkämpfen müsste, um wieder Klarheit in seine Gedankengänge zu bringen. Luft, Gedanken und Angst, mehr ist es eigentlich nicht. Ja, Angst, um sie nun endlich zu nennen, und nicht etwa Furcht, denn diese augenblickliche Emotion ist durch nichts und niemanden begründbar.

Draußen herrscht gerade frühsommerlicher Weltuntergang, die Blitze jagen sich gegenseitig hinter dahinrasenden Wolkenfetzen, und Sturmregen lässt die Grenzen zum Hagel mit jedem leisen Knall auf dem Blechdach ein bisschen mehr verschwimmen. Aber das allein ist noch längst kein Grund für meinen jämmerlichen Zustand. Ich weiß ganz genau, dass es wieder mal eine von diesen Panikattacken ist, dass ich um Himmels willen Ruhe bewahren und meinen Atem nicht gewaltsam unter Kontrolle bringen soll. Mein Hirn ist nämlich längst nicht so klug, wie es manchmal tut, und gaukelt mir die furchtbarsten Szenen vor, die ich an dieser Stelle lieber nicht beschreibe, um nicht ein weiteres Mal hineingezogen zu werden in diese düstere Welt des zitternden Konjunktivs. Genauer gesagt ist es dumm, unendlich dumm, nimmt sich Monat um Monat viel zu viel vor und beginnt mich mit Szenen wie der jetzigen zu bombardieren, sobald es merkt, dass das alles vielleicht doch ein bisschen zu anmaßend war.

Ach Victoria, mit mir ist so vieles nicht in Ordnung. Kannst du eigentlich schlafen, drüben auf der anderen Uferseite, inmitten all des Getoses und unnötig hallenden Lärms? Natürlich würde ich es dir wünschen, aber irgendwo ist dann doch auch immer die egoistische Hoffnung, nicht allein zu sein mit meiner angstvollen Bewusstheit der Dinge.

Zu Hause wäre mir das nicht passiert, hält mir der vernünftige Teil meines Ichs wieder vor, und ich ziehe die Möglichkeit in Betracht, dass du vielleicht doch auch schon heimgefahren bist. In deine kleine Welt des Vertrauten, wie auch ich eine solche kenne, Bann und Erholung zugleich, vorhersehbar in ihrer Beschränktheit und doch vor allem auch Rückzugsgebiet, wenn die peitschenden Kleinstadtwellen über dir zusammenzuschlagen scheinen. Nein, ich weiß nicht wirklich, wovon ich rede. Wie denn auch, sind mir so lange Ansprachen in der zweiten Person Singular doch eher fremd, und ich kann eigentlich nichts weiter behaupten außer der Tatsache, dass dein leerer Stuhl neben mir wieder einmal wie ein Mahnmal wirkte. Die Dinge kommen leider zumeist anders, als man es sich erwartet hätte. Aus logischer Hinsicht ist das völlig einleuchtend, denn wenn man all seine Hoffnung in genau einen von zigtausend möglichen Ausgängen setzt, kann es eigentlich nur schiefgehen.

Nun gut, ich werde nicht mehr versuchen, mit dem arroganten Elias über nur in meiner Phantasie existente Dichternachlässe zu debattieren, im naiven Glauben, du mögest vielleicht irgendwann doch wieder erscheinen und dich gemeinsam mit uns im ausweglosen Hypothesengewirr verlieren. Es hat schlicht und einfach keinen Sinn. Solche Erkenntnisse sind hart, tun weh, aber nicht so, dass ich es nicht ertragen könnte. Der Mensch hält so vieles aus, vielleicht mit etwas Schlafentzug und gelegentlichen kognitiven Störungen, Trugbildern, unfreiwilligem Gestammel – allein: Er tut es.

Ergo verfüge auch ich über ungeahnte Kräfte, wie etwa jene, trotz völliger Übermüdung um halb vier Uhr nachts Texte wie diesen mit bebenden Fingern auf den Bildschirm zu pinnen. Was nun aber nicht etwa eine hervorstechende prosaische Qualität implizieren sollte, denn wer diesen hier gelesen hat, kennt eigentlich schon all meine Schreiberzeugnisse – weil es ja doch immer nur um dieselbe Sache geht und ich nicht aus meiner Haut herauskann. Aus meinem beschränkten Sichtfeld, das mir Tag um Tag nur die eigene verfahrene Situation vor Augen führt. Manche nennen sie filmreif, aber so weit würde ich nie gehen. Die Leute sehen einfach gern zu, wie man sich plagt. Ich weiß, ich bin eine Person der Fragezeichen, und es ist bei weitem nicht alles so, wie ich es sage, wenngleich das nicht heißt, dass meine Worte nicht wahr wären. Manchmal herrscht bloß Schweigen vor, und mitunter verrate ich mich auch und hoffe, dass es niemand mitbekommt, was bei gedankenlosen Halbsätzen zwischen Tür und Angel ohnehin sehr unwahrscheinlich wäre.

Die Gegenwart wird durch die Vergangenheit geprägt, und Letztere war nun einmal etwas kurios, wie ich es auszudrücken pflege, aber auch das ist schon wieder viel zu konkret und ich sollte lieber den Mund halten. Darauf achten, dass einfach nichts passiert und am Ende des Jahres erleichtert das Schwinden des Damoklesschwerts zur Kenntnis nehmen. Irgendwann einen abenteuerlichen Roman darüber schreiben, falls mir die Worte bis dahin noch nicht abhandengekommen sind. Die Leerstellen füllen, die sich durch kryptische Andeutungen wie diese immer mehr auftun, je lichter die Welt am Horizont nun schon wieder wird.
Aber letztendlich ist alles ja doch so einfach und es lässt sich mit punktgenauer Präzision erkennen, dass mir wieder mal jemand ganz Bestimmter im Kopf herumspukt, nennen wir es: Ein Du. Welches mich nicht mehr loslässt, seitdem ich nach der vermeintlich ersten Begegnung mit voller Wucht gegen eine dieser feuerfesten Glastüren prallte.

Und vielleicht ist das auch schon das Einzige, worum es hier geht.

Claudia Kraml

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Lesung am 22. Jänner um 20:00 im Atelier du Bureau!

 


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freiTEXT | Claudia Kraml

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Tintenzeichen

“Einfach schreiben, Zeile um Zeile, nur nicht nachdenken, immer weitermachen. Das Blatt füllen, sodass das Weiß zurückweicht, die beängstigende Leere, die Anforderungen stellt, nach perfekten Sätzen und den richtigen Worten an der richtigen Stelle verlangt. Sobald man über sie zu reflektieren beginnt, ist es aus, denn das Zögern verhindert jede weitere ehrliche Aussage. Die Buchstaben werden zu Teilen trügerischer Kartenhäuser, die durch den leisesten Windhauch zerstört werden können. Wieder einmal verstecke ich mich hinter ihrer Fassade, verschlungene Gedanken und unablässiges Hinterfragen haben mich meiner Sicherheit beraubt. Daher auch die Angst vor allzu kurzen Sätzen, denn: Was kommt nach dem Punkt?
Was du hier siehst, ist nur ein kleiner Teil von mir. Doch wenigstens zweifeln darf ich nicht, nicht an der Rechtmäßigkeit, dir das hier zu schicken, nicht an meiner Macht über die hundert Worte, die mir gleichzeitig in den Sinn kommen und und sich so schwer bändigen lassen, nicht an deiner Bereitschaft, den Umschlag zu öffnen und dir Zeit für mich zu nehmen. Für die wenigen schwarzen Tintentropfen, aus denen diese Sätze entstanden sind. Vorausgesetzt, ich bringe tatsächlich den Mut auf, dir den Brief zu schicken. Der Weg zum Postamt ist ein sehr weiter, wenn man sich selbst nicht einmal sicher ist, ob man das Recht hat, ihn zu beschreiten.
Erneut habe ich eine Pause eingelegt, nicht gewusst, wie viel von meinen derzeitigen Erlebnissen ich dir tatsächlich preisgeben soll. Genau den Fehler habe ich schließlich schon einmal begangen, mich bedingungslos und voller Zuversicht anvertraut, mit all meinen Schwächen und Unzulänglichkeiten, dem naiven Optimismus und all der Einzigartigkeit, die jedem Menschen eigen ist. Die Strafe kam nicht abrupt, doch umso gnadenloser, ich rannte gegen selbst erbaute Mauern und versuchte doch immer wieder, sie zu überwinden, weil nicht ich ihr Schöpfer war. Irgendwann muss ich mir dabei etwas gebrochen haben, denn ich konnte mich nicht mehr weiterbewegen, sank erschöpft zu Boden, deprimiert und am Ende meiner Kräfte. Ich glaube, ich liege dort bis heute.
Was ich dir sagen will, wozu mein Kopf meine Hand drängt, es aufzuschreiben, was meine Gedanken wiederum verhindern wollen, die mich bremsen, die meine Worte für nicht gut genug halten, die alles zensieren, was eigentlich längst auf diesem Blatt Papier stehen sollte… Es ist eigentlich nicht viel. Ja, ich weiß, das sage ich immer, wenn dann wieder ein Redeschwall kommt, wenn ich dich zutexte, egal ob in gesprochener oder schriftlicher Weise.
Wie gern würde ich dir gegenübersitzen, oder, noch besser, neben dir, reden und lachen und nicht darüber nachdenken, wer wir sind, was es bedeutet und wohin uns die Zukunft führen wird. Nur im Moment leben, für ein paar Augenblicke. Den Sommer in deinen Augen sehen, egal, was für ein Tag es ist.”

Mit spöttischem Grinsen legt sie das Blatt zur Seite, sieht auf die Uhr. Ganze zehn Minuten verbrachte sie nun mit dem dicht beschriebenen Stück Papier in der Hand. Vergeudete Zeit, mit Unmengen sinnvollerer Beschäftigungen nutzbar, einfach so verstrichen. Einzig und allein wegen ihrer Unfähigkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Doch das wird sich jetzt ändern.
Ruckartig erhebt sie sich, wirft noch einen Blick auf den Umschlag mit den bemüht regelmäßig aussehenden Buchstaben, die in schwunghafter Kursivschrift Namen und Adresse ergeben. Beim Anblick des Absenders hätte sie das Schreiben sofort wegwerfen sollen, ungelesen, ignoriert. Warum sie sich überhaupt damit beschäftigt hat, darüber möchte sie nicht nachdenken – es gibt genug andere Dinge, die sie all die Tage, Wochen, Monate hindurch auf Trab halten. Wann das aufhören wird, weiß sie nicht, sie will es nicht einmal wissen, aber jedenfalls darf sie nie innehalten, keine Fehler eingestehen, sich nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen.
Und so segelt diese in hohem Bogen in den Papierkorb.
Dicht gefolgt vom Brief einer Möbelfirma, die einen Teil ihres Sortiments mit Rabatten bewirbt.
Der Preis wäre immer noch zu hoch gewesen, in beiden Fällen.

 Claudia Kraml

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Titelbild_11_webmosaik11 - Collectio

ab sofort erhältlich und in Kürze auch digital.

mit:

Adreas Haider, Lisa Viktoria Niederberger, Birgit Birnbacher, Thomas Mulitzer, Markus Hittmeir, Florian Lambrecht, Claudia Kraml, Christine Gnahn, Ogi Georgiev, Ina, Nadine Fejzuli, Andreas Neuhauser, Marko Dinic, Sarah Eder, Marlen Mairhofer, Werner Schlor, Peter.W., G13, Karin Seidner, Annemarie Hochkönig, Gerhard Steinlechner, Sabine F., Christian Lorenz Müller, Anja Wanger, Sigrid Klonner, Birgit Schwap, Max Güntert, Theresa Seraphin, Juliane Winter, Eva Wimmer, Wolfgang Fels, Barbara Keller, Andrea Weiss, Natasa Tasic, Fabian Widerna, Marian Wehmeier, Magdalena Ecker, Edda Emilia Steiner, Dominik Obermaier und Josef Kirchner.


Ostern - Pfingsten

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