Amtliche Filzstifte

Der Umstand, dass dem Beamten innerhalb von sechs Minuten und achtundvierzig Sekunden fünf Filzstifte der Marke “Sauberschrift” den Dienst versagten, führte dazu, dass der nun schreibunfähig gewordene Beamte ernsthafte Gedanken darüber anstellte, ob er selbst oder die Firma “Sauberschrift GmbH Germany” für das Versagen der Filzstifte verantwortlich zu machen sei, ohne auf eine einigermaßen befriedigende Lösung zu kommen, so dass er sich genötigt sah, bei dem für Filzstifte zuständigen  Beamten der unteren Laufbahn, um genau zu sein, dem Saaldiener, vorzusprechen und ihm von der Mangelhaftigkeit dieser vor acht Monaten kistenweiseerworbenen Filzstifte Mitteilung zu machen, was allerdings dadurch erschwert wurde, dass er, der Beamte, an jenem Tag bereits dreimal bei dem für Filzstifte Zuständigen wegen besagter Filzstifte vorgesprochen und demnach jedes Mal neue Filzstifte erhalten hatte, so dass, würde er nun ein viertes Mal vorsprechen, unweigerlich der Eindruck entstehen müsste, dass er sich eine Sammlung Filzstifte anlege, sie eventuell mit nach Hause nehme, oder noch schlimmer, sie andernorts verkaufe, was laut Beamtendienstgesetz Artikel 5, Absatz II, Strich c, f und g strengstens verboten und laut Artikel 5, Absatz h/ j, Zeile 26 mit einem Disziplinarverfahren und einer darauf folgenden Strafe, bestehend aus der Halbierung des monatlichen Gehaltes bis zu der Sperrung eines ganzen Monatsgehaltes führen konnte, so dass der Beamte nach reiflicher Überlegung und unter Hinzuziehung aller gegen und für ihn sprechenden Argumente erwog, nicht bei dem für die Filzstifte zuständigen Saaldiener vorzusprechen, sondern vielmehr in das erste Geschäft an der Ecke zu gehen und sich aus eigener Tasche neue Filzstifte zu kaufen, um dann die quittierte Rechnung in je drei Durchschlägen an das zuständige Rechnungsamt einzureichen, welches, einige Tage später, an den die Rechnung eingereichten Beamten zurückschreiben würde, er, der Beamte, dürfe keine Rechnung für zum persönlichen Gebrauch benötigte Filzstifte einreichen und folglich sehe sich das Rechnungsamt nicht genötigt, diese Rechnung zu begleichen, worauf der Beamte das für den Erwerb der Filzstifte vorgestreckte Geld nicht zurückerhaltend, sich letzten Endes gezwungen sehen würde, beim für die Filzstifte zuständigen Saaldiener vorzusprechen, um andere Filzstifte zu erhalten, worauf er, der Saaldiener, sagen würde, er, der vorsprechende Beamte habe in den letzten Tagen bereits sechsmal vorgesprochen, um neue Filzstifte zu erwerben, unmöglich könne er, der Saaldiener, dauernd neue Filzstifte ausgeben, immerhin müsse er, immer noch der Saaldiener, bei einem derartigen Verschleiß an Filzstiften, einen Rechenschaftsbericht abliefern, andernfalls er in den Verdacht geriete, die Filzstifte andernorts zu verkaufen, weshalb er dem Beamten mit größtem Bedauern keine weiteren Filzstifte aushändigen könne, was wiederum zur Folge haben würde, dass der Beamte, nicht gewillt, seine von ihm persönlich erworbenen und aus eigener Tasche bezahlten Filzstifte für eine für den Staat zu leistende Arbeit zu vergeuden, arg ins Hintertreffen geraten und bereits nach drei Tagen einen beachtlichen und kaum noch aufzuholenden Rückstand an den ihm zugeteilten Schreibarbeiten aufweisen würde, was schließlich nach einem Monat unerledigter Arbeit, einer Zeit, in der der Beamte ohne Filzstifte sein Amt versehen musste, zu einer Disziplinarstrafe und laut Beamtendienstgesetz Artikel 3, Absatz a und b, gleichfalls zu berücksichtigenden Artikel 3, Absatz c/d, Zeile 39, zu einer Kürzung von zwei Dritteln des dem Beamten gebührenden Gehalts führen müsste, wozu es dann auch am Ende tatsächlich kam.

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Fernand Muller-Hornick

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