Lotte
Wir sitzen auf einer Bank im Park und genießen die Sonne. Lotte sitzt neben mir, Bella, ihre Hündin, liegt im Gras und hechelt in der Hitze.
„Ganz schön heiß, heute“, sagt Lotte und nippt an ihrem Milchshake, den ich ihr vorn an der Eisdiele gekauft habe.
Ihre dunklen, kinnlangen Haare umspielen ihr Gesicht. Ihr roter Lippenstift ist ein wenig zu grell, aber Lotte möchte gern erwachsener sein, als sie ist. Erwachsener als Valentina. Dabei hat sie meine Schwester noch nie wirklich gesehen.
„Schmeckt der?“ Ich zeige auf ihren Milchshake.
„Nach Schokolade.“
Sie grinst. Der Shake hat ihren Mund etwas dunkel gefärbt. Sie leckt sich über die Lippen, verschmiert den Lippenstift, lacht.
„Hast du mal mit ihm geredet?“
„Was?“
„Ob du mit ihm geredet hast, Süße.“
Sie ist die Einzige, die mich so nennen darf.
„Mit Jonathan?“
„Nein, mit dem lieben Gott.“ Sie rollt mit den Augen.
Ich boxe sie gegen den Oberarm. „Aua.“ Sie zieht eine Schnute.
„Hast du?“
„Nein.“
Wir sitzen in einer abgelegenen Ecke vom Park. Gut, dass uns niemand hören kann.
„Mensch, Klara. Wie soll man dich bloß verkuppeln?“
Sie seufzt, dann lacht sie. „Morgen rede ich mit ihm.“
„Nein, das wirst du nicht.“
„Werde ich.“
„Nein.“
„Doch. Hast du Schiss?“
„Ich will nicht, dass du mit ihm redest. Du kannst nicht frei machen, nur um auf unseren Schulhof zu kommen.“
Fast habe ich geschrien.
„Dann musst du mit ihm reden.“
„Ich…“
„Was?“
„Er findet mich bestimmt komisch.“
Blödsinn. Lotte grinst. Ihr Modellächeln, nennt sie das. „So müsst du wirken, im Friseursalon. Lächeln und mit den Wimpern klimpern“, hat sie mal gesagt.
Auf dem Heimweg halte ich Bella an der Leine. Sie zieht ganz schön. An der Ecke meiner Straße verabschieden wir uns. Küsschen, Küsschen. Dann geht Lotte weiter.
Als ich nach Hause komme, steht Mama in der Küche und kocht.
„Wie war die Schule?“
„Okay.“ Ich zucke mit den Schultern. Gut, dass Lotte schon arbeitet. Sonst würden wir uns die Unterrichtszeit mit spannenden Geschichten vertreiben. Lotte kennt die besten Geschichten. Unglaublich, was die Leute einem im Friseursalon so alles erzählen.
„War noch mit Lotte im Park.“
„Wann lernen wir sie denn endlich mal kennen, deine Lotte?“
„Sie arbeitet, Mama.“
„Auch am Wochenende?“
„Meistens.“
Das ist nicht wahr. Eigentlich will ich nur nicht, dass Lotte meine Eltern kennenlernt. Wer weiß, wie sie dann über mich denken würde. Das brave Mädchen von nebenan. Nee, bloß nicht!
Am nächsten Tag stehe ich lange im Flur vor dem Klassenraum, dabei bin ich bereits fünf Minuten zu spät. Ich will nicht darein gehen. Er sitzt da drin. Und wenn mich Lotte nachher fragt, ob ich Jonathan endlich angesprochen habe, muss ich schon wieder eine Ausrede erfinden. Schließlich gehe ich doch hinein. Frau Reinhardt stellt mich zur Rede.
„Hab verschlafen, sorry.“
„Habt ihr keine Wecker zu Hause?“
„Nein.“ Die Klasse lacht. Ich setze mich an meinen Platz.
Wann wohl der nächste Elternbrief kommen wird?
Ich schwänze die sechste. Lotte wartet auf mich bei unserer Bank im Park. Sie raucht.
„Hey.“ Ich setze mich neben sie.
„Schlechter Tag?“
„Jep.“
Sie reicht mir die Kippe. Ich schüttele den Kopf.
„Meine Eltern wollen dich mal kennenlernen.“ Ich weiß selbst nicht, wieso ich dies sage.
„Das geht doch nicht, Klara.“
„Okay.“ Ich zucke mit den Schultern. Ich habe sie noch nie nach dem Grund gefragt. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht mal, wo genau sie wohnt. Wir treffen uns immer im Park.
„Willst du mit zu mir nach Hause kommen? Meine Schwester kommt erst um drei und meine Eltern arbeiten.“
„Sturmfrei?“
Ich nicke. Sie grinst. Wenn sie lächelt kann man ihre Zahnlücke sehen.
„Meinetwegen. Aber nur wegen dir, Klara.“
Auf dem Heimweg bin ich nervös. Ob es eine richtige Idee war, Lotte mitzunehmen? Was wird sie zu meinem Zimmer sagen? Mein Zimmer, das vollgekleistert ist mit peinlichen Kindheitsfotos und High School Musical Postern. Ich schiebe den Gedanken beiseite.
„Habt ihr Alkohol da?“
„Was?“
„Schnaps? Bier? Wodka? Champagner? Irgendwas?“
Ich schweige.
„Jetzt guck doch nicht so entsetzt, Klara.“ Sie lacht, hustet.
Lotte raucht zu viel. Aber das habe ich ihr schon viel zu oft gesagt.
„Weiß nicht“, sage ich und öffne das Gartentor.
„Bam!“, schreit Lotte und lässt den Sektkorken knallen.
„Auf uns!“ Sie dreht sich mit der Flasche und erhobenen Armen im Kreis.
„Ach was! Auf deine große Liebe? Wie heißt der noch?“
„Jonathan“, murmele ich.
„Auf Jonathan“, schreit sie und schenkt mir ein. Manchmal finde ich ihre Energie nahezu unheimlich. Dabei hat sie erst ein Bier getrunken.
Ich nippe am Glas, fühle mich schlecht. Lotte dreht die Musik auf.
„Lass uns tanzen, Baby.“ Sie zieht mich ins Wohnzimmer.
Der Bass wummert in den Wänden, pocht in meinem Schädel.
Lotte kann gut tanzen. Viel zu gut. Neben ihr komme ich mir unbeholfen vor.
„Pirouette!“, schreit sie und dreht mich im Kreis.
Ich muss lachen. Sie dreht mich. Immer weiter und weiter.
„Nein, Lotte.“ Ich schließe die Augen. „Lass das, mir wird schlecht. Mir wird…“
„Klara?“
Die Musik ist abrupt verstummt. Meine Schwester steht im Zimmer. Valentina trägt braune Lederstiefel, eine enge, schwarze Jeans und einen knallroten, knielangen Mantel. Vermutlich ahnt sie nicht einmal, wie hübsch sie in diesem Outfit ist.
Ich bleibe stehen. Lotte hält mich, damit ich nicht umkippe. Ich lehne mich etwas an sie.
„Die Musik war ja draußen zu hören“, sagt Valentina.
„Hast du schon wieder geschwänzt? Und mit wem redest du überhaupt die ganze Zeit? Wer ist diese Lotte? Sag mal, bist du betrunken?“
Ich kichere.
„Das ist nicht witzig.“ Sie bleibt vor mir stehen.
„Ich mache mir Sorgen um dich, Klara.“
Ich drehe mich um, starre in Lottes Gesicht. Sie rollt mit den Augen.
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