everyday business

Eine Frau bückt sich, um ihren Schlüssel von der Straße aufzuheben, eine andere fährt auf dem Fahrrad an ihr vorbei. Eine Frau zupft ihr Kopftuch zurecht, wieder eine andere sucht nach etwas in ihrer Tasche. Ihr entgegen läuft eine weitere Frau, sie telefoniert, die Stimme scharf, die Brauen zusammengezogen. Eine Frau macht kleine Schritte, ihrem Rollator hinterher. Eine Frau sitzt in einem Café und schlägt die Zeitung auf, eine andere fragt sie nach etwas Kleingeld. Eine Frau schiebt einen Kinderwagen, eine Frau tritt gegen ein umgekipptes Straßenschild, eine Frau wirft den Kopf in den Nacken und lacht laut auf, ein tiefes, kehliges Lachen, eine Frau neben ihr muss auch lachen. Eine andere Frau läuft an ihnen vorüber, schaut in ihr Handy, folgt einem blauen Punkt in ihrer Kartenapp, runzelt die Stirn, sieht sich um, läuft weiter, über eine Ampel, hält Ausschau nach Straßenschildern und bleibt schließlich vor einem Hauseingang stehen. Sie schiebt sich ihre Sonnenbrille ins Haar, sucht das Klingelschild ab, klingelt und wird kurz darauf eingelassen. Im Treppenhaus wendet sie immer wieder ihren Kopf ins nächste Stockwerk, besieht die Türen und bleibt schließlich stehen, vor einer Wohnungstür, die offen steht und in einen großzügigen Flur führt. Die Frau schiebt sich langsam durch die Tür, tritt in den Flur, ihre schmutzigen Turnschuhe auf dem sauberen Dielenboden. Bücherregale ziehen sich bis unter die Decke, ein Sideboard, Marmor, darauf Kunst. Kunst auch an den Wänden. Ein Kronleuchter. Niemand, der sie empfängt, aber hinter einer offenstehenden Flügeltür, durch die ein schmaler Lichtstrahl in den Flur fällt, ist eine Männerstimme zu hören, fest, tief, bestimmt.

Die Frau lässt die Wohnungstür hinter sich offen stehen und läuft den Flur hinab, schiebt die Flügeltür vorsichtig auf, der Lichtkegel erweitert sich und umschließt sie dann völlig, sie steht in einem tageshellen Wohnzimmer, Couches, ein langer Tisch, mehr Kunst und Kunstbände, ein großer, mittelalter Mann, der an der Tischkante lehnt, eine Hand darauf abgestützt, ein Bein locker über das andere gelehnt, er telefoniert und wirft der Frau einen kurzen Blick zu, hebt erfreut die Brauen und bedeutet ihr, einen Moment zu warten.

Die Frau lächelt höflich und bleibt im Türrahmen stehen, den Blick gesenkt, sie wartet geduldig, während der Mann sich in Bewegung setzt und beginnt im Zimmer auf und ab zu laufen, seine Sätze mit ausschweifenden Gesten zu untermalen, wobei er zwischendurch einen Blick zu ihr rüberwirft, doch weniger auf eine verbündete, als auf eine beobachtende Art. In der großen, teuer eingerichteten Wohnung sieht sie wie ein Versehen aus, ihre Jeans ist abgeschnitten, sie hat blaue Flecken an den Beinen, ihr Top ist kurz und gibt den gepiercten Bauchnabel frei. Ihr Haare sind lang und sie trägt eine Cap ohne Logo. Sie lehnt sich an den Türrahmen.

Der Mann legt auf, legt das Handy auf dem Tisch ab und sagt, Entschuldigung, sieht sie dann ein paar Sekunden lang an, bevor er mit großen Schritten auf sie zugeht. Hi, ich bin Mirco. Mirco Werner. Er grinst auf eine eindringliche Art. Hi, sagt die Frau und gibt ihm die Hand, die er länger als nötig festhält. Er blickt an ihr herunter, durch ihr Top sind ihre Nippel zu sehen, sie fängt seinen Blick auf und lächelt höflich. Also, sagt er und reibt die Handflächen aneinander. Dann kommen wir wohl direkt zum… Geschäftlichen? Beim letzten Wort zwinkert er ihr zu. Sie hebt die Schultern, nickt und sagt, klar.

Gut, er deutet mit der Hand auf eine weitere Flügeltür, bitte, sagt er, das Schlafzimmer ist dort. Sie geht vor ihm, er legt ihr auf dem Weg zwei Fingerspitzen in den unteren Rücken, als würde er sie führen, öffnet über sie hinweg die Tür zum Schlafzimmer, wobei sein Brustkorb sich dicht an ihre Schulter drängt. Sie läuft weiter, ins Schlafzimmer, bleibt vor dem Bett stehen, und sieht sich etwas unsicher um. Das Bett ist weiß bezogen, die Wände kahl, die Fenster mit dünnen weißen Vorhängen behangen. Auf dem Nachtisch steht neben einem Glas Wasser ein eingerahmtes Foto, auf dem Mirco mit einer Frau zu sehen ist, beide strahlen in die Kamera, Mirco wirkt noch etwas jünger, als er es jetzt ist. Er stellt sich neben sie, legt die Hände zusammen und sein Blick fährt wieder an ihr herunter, als er leise sagt: Ich habe sowas noch nie gemacht. Sie sieht ihn erstaunt an, wirklich nicht? Er schmunzelt in sich hinein, seine Festigkeit von eben ist von ihm abgefallen. Er macht einen Schritt auf sie zu, meine Frau, sagt er und korrigiert sich dann, Exfrau, meine ich, ist gerade erst ausgezogen, und ich – er seufzt ein mal kurz, ich bin seitdem so unruhig. Er schaut sie an, schaut aufs Bett, sie lächelt noch immer, doch hinter ihren Augen schwindet die Geduld, ich fühl mich so einsam sagt er, und sie nickt langsam, er kommt ihr näher, sein Mund öffnet sich schmatzend, sie schluckt, er atmet hörbar ein, sie tritt einen Schritt zurück, sieht zu ihm auf, ihre großen Augen fragend, sie sagt: Wo, äh, ist denn dieser Lattenrost?

Mirco Werner ächzt und stöhnt, er braucht eine Weile, um den Lattenrost aus der Kammer zu holen, zu der eine kleine, fast unsichtbare Tür in der Ecke des Schlafzimmers führt. Es klemmt fest zwischen Staubsauger, Wischeimern und Kisten. Er zerrt es heraus, dabei rutscht sein Hemd aus seiner Hose und ein Stück seiner Hüfte ist zu sehen. Die Frau steht noch immer an der selben Stelle und sieht ihm zu. Als er den Lattenrost, zusammengerollt und mit einer Schnur verbunden, aus der Kammer befördert, stellt er ihn vor ihr auf und sagt, hier, hier ist er. Ich wollte einen neuen, wie gesagt, ich bin so unruhig, kann nicht schlafen, ich möchte alles neu machen, alles – sein Blick flackert kurz zu dem Foto auf seinem Nachttisch. Ich möchte einen Neuanfang, sagt er und die Frau vor ihm nickt wieder, sagt, Sie wollten 10 Euro dafür haben, oder?, und holt einen Schein aus ihrer Hosentasche. Er sieht kurz verwirrt zwischen ihrem Gesicht und dem Schein hin und her und sagt dann, Weißt du was, ich schenke ihn dir, ich brauche ja keine 10 Euro, dabei lacht er, als wäre es absurd, dass er überhaupt überlegt hatte, Geld zu nehmen. Sie zuckt mit den Schultern und sagt, cool danke, steckt den Schein zurück in die Tasche. Dann würde ich mal wieder los. Sie nimmt den Lattenrost hoch und er folgt ihr, durchs Wohnzimmer, Richtung Flur, und fragt sie, ob sie gern lese. Sie antwortet im Gehen, manchmal, und er sagt ihr, er sei Autor, und ob sie schon mal etwas von ihm gelesen habe, woraufhin sie verneint und er sagt, er könne ihr Freikarten für eine Lesung verschaffen, was sie dankend ablehnt, und als sie an der Wohnungstür angekommen sind, dreht sie sich noch einmal um und sagt, Danke noch mal für den Lattenrost, schönen Tag noch, während sein Blick, inzwischen kühl und aufmerksam auf ihr ruht. Sie wartet, ein, zwei Sekunden auf eine Antwort, und als keine kommt, wendet sie sich um, und in diesem Moment sagt er: Ich möchte doch mein Geld haben. Die Frau muss unwillkürlich auflachen. Mirco Werner sieht sie trotzig an und streckt die Hand aus. Gib mir meine zehn Euro. Sie sieht ihn an, amüsiert und gleichzeitig verunsichert. Okay, sagt sie und während sie den 10-Euro-Schein wieder hervorzieht, sagt Mirco Werner, er würde doch den Lattenrost seiner Frau, Exfrau, keiner dahergelaufenen – er sucht nach dem richtigen Wort und spuckt es ihr dann entgegen – Nutte schenken. So nötig habe er es nicht. Sie sei ja noch nicht mal so hübsch, dass sie das Recht hätte, dermaßen eingebildet zu sein. Die Frau sieht ihn nicht an, während er ihr den Schein aus der Hand nimmt, sie sieht ihn gar nicht mehr an, verlässt wortlos die Wohnung, läuft zum Treppenabsatz und er sieht ihr nach, das Gesicht wutverzerrt, wie sie die Stufen hinab läuft.

Draußen auf der Straße nimmt sie ihr Handy aus der Hosentasche und wählt eine Nummer. Hier ist Emma, sagt sie nach ein paar Sekunden. Ich hatte gerade meinen allerschlimmsten Ebay-Moment aller Zeiten. Sie klemmt das Handy zwischen Ohr und Schulter, hebt den Lattenrost an und läuft die Straße runter, vorbei an einer Frau, die mit einem Hund spazierengeht, einer Frau, die ein Regal durch eine Haustür trägt, einer Frau, die breit lachend über die Straße läuft, einer anderen Frau entgegen, die beiden umarmen sich herzlich und eine ruft: Yeah Baby!

 

Clara Leinemann

 

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