freiVERS | Renate Aichinger

#selfie:suche

weil der hass immer hässlicher
wollen wir immer schöner

Renate Aichinger

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freiVERS | Fabian Lenthe

Schritte aus dem Moloch
Schwere trägt ihren Gang
Sohlen schweben über den Morast
Zerknirschte Erden graben sich ein

Gestern liegt tief in den Augen und
Wind baut heimlich Wände
Regen wäscht gegen das Gesicht
Prallt in Gedanken auf Beton

Blicke finden einander und sterben
Aus Gassen fluten zähe Schatten müde Lichter
Glimmen zwischen zittriger Finger und
Glut schnürt blasse Fäden um rauchende Glieder

Erschöpft fallen Träume von den Dächern
Schlagen Krater in den Straßen
Sind Nahrung für am Boden Gebliebene und
Trophäen für die Götter

Fabian Lenthe

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freiVERS | Ianina Ilitcheva

Alltag, Liebe, Weltraum

5 Gedichte, 2016

1

Weltallfantasien
Selbstmordfantasien
er will Astronaut sein
er kehrt von einer Marsmission zurück
er erzählt, er habe in Paris Philosophie studiert
das zehrt natürlich
aufs Telefon sehen
warten auf das Zeichen
gib mir einen Grund, wie deinen

 

2

ich beobachte  das inaktive System. das System schläft.

kann denn schwarze Energie Sünde sein
ich sage Seele, wenn ich diesen verwirrten Ausdruck haben will

Computerliebe
es läuft darauf hinaus:
ein 3D Drucker schafft einen Körper, mit dem man kein Mitleid
empfinden muss

E im luftleeren Raum
Signalübertragung per miau
das Gegenteil von etwas ist alles, was es nicht ist
was ist daran so schwer zu verstehen, dass das Gegenteil von Vakuum

das Ereignis tritt in der Innenwelt ein
Multiple Innenwelt Theorie
früher nannten sie es Äther
Vakuum kam erst später

alles ist möglich, solange
Spiegelteilchen

miaut das Kätzchen, oder miaue ich

sehe ich dich an, verändert sich etwas
deinem inneren Joghurt den Befehl zu Schimmeln gegeben
mit meinem Blick
du süßer Wahn

"kritzlself" - Selbstportrait
"kritzlself" - Selbstportrait

3

wie in bulgarischer Disco
der Wetterbericht war falsch
Pegel von schwellendem Vogelsang
womit dealst du in der Nacht
schick dein Teil ins Labor
bevor wir satt sind
schließen sie das Tor
uns Vogel warnt schon
lauft schon lauft schon!
läppisch läppisch!
klingt wie What is Love
los schnell sonst
warum machen wir nicht
Urlaub auf den Faröern

 

4

Ich habe eine kryptische Ader
ich will dich darin
Fischkapseln essen sehen
und dann Wege rendern
mit so überkrass Charisma

und ich könnte mehr
Ausdauer beweisen lassen
in meiner Liebe
als Stonehenge
und ein Sieb geht zum Brunnen
in aller Feierlichkeit
die den Badboys gebührt
wandern sie zum Uluru

von wegen Feste Strukturen
bis die Gipfel verschorfen
rufe ich niemanden
bis in der Vorschau
ein weißer Tiger springt
ein nuklearer Februar
tapfer ertrage ich meine Zufriedenheit
morgen nehmen wir Drogen

 

5

frischverschlossene
an einem furchigen
an einem noch Feuchteabend

und du mein Anòrak
und der Anschein der Wahrzeichen
die Pfingstrosen
Gesichter zu lecken
ich kaufe dir dort den Planeten

husch husch die Kröten
husch husch die Löwenmäulchen
so geil auf Passanten
sensibel für den Ausdruck
am Automaten

und lass an dort der Mündung
das Ereignis gesprochen
call me in Realität Domja Vata
und die gefleckten Schultern
und das Sternnebel Ereignis
und die Nachbarn
gehen morgen in die Oper
in Luft und Internet
die Dienstleistungen Amen

Ianina Ilitcheva

Ianina war Teil von Lyrik für alle!, der 3. Babelsprech-Konferenz Salzburg 2016. Zur Konferenz im Dezember konnte sie krankheitsbedingt nicht anreisen, in der Festivalanthologie ist sie mit drei ihrer Texte aus diesem Zyklus vertreten. Ende 2016 ist Ianina verstorben. Retrospektiven finden sich bei KulturKeule22 - 5 Jahre mosaik am 25.1.2017 und in mosaik22 (März 2017).

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freiVERS | Judith Keller

Bessere Tage

Blätter segeln auf die Strasse, wirbeln ein bisschen, ein Ast nickt, solches und ähnliches geschieht, aber alles für sich. Seit Anton sich erinnern kann, sitzt er schwer auf einem Stuhl vor dem Fenster. Zu allem anderen kommt, dass eine  wichtige Frau seit Tagen nicht zurückschreibt. Aber in diesem Augenblick – es ist plötzlich vier Uhr – sieht er etwas, was er noch nie gesehen hat: Es sind bessere Tage, die wie scheue, bedächtige Tiere verteilt in der Ferne stehen. Anton betrachtet sie. Werden sie verschwinden, sobald sie seinen Blick spüren? Er verhält sich ruhig und schaut. Sie grasen. Sie sind hell und stabil. Sie bewegen sich plusternd, luftig, aber kaum. Glitzernde Schirme wachsen wie feine, konzentrierte Bäume lang und still um sie herum. Die besseren Tage grasen. Tief atmen sie ein und aus. Sie sind durchscheinend. Sie spüren Antons Blick. Sie denken nach, gesenkt, dem Gras zugewandt. Wie aus dem Grasen herausfinden auf den Weg? Wie sich den glänzenden Schirmen nähern? Mit Schwung? Angekündigt oder plötzlich? Wie aufgehen mit den Schirmen? Es ist kein leichtes Unterfangen, das wissen die Tage und auch Anton sieht es ein. Und muss ein bestimmter Wind abgewartet werden, ein bestimmtes Licht? Und dann, werden sie Anton finden auf seinem Stuhl oder werden sie verloren gehen auf dem langen Weg durch die Zeit? Solche Fragen sieht Anton sie durchscheinen. Er will ihnen helfen. Er flüstert nun heftig: Nur Geduld. Habt keine Angst. Ich werde euch winken. Haltet nach mir Ausschau und ich mache, was ich kann.

Judith Keller

Judith ist Teil der 3. Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016

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freiVERS | Moritz Gause

»Mit einem Gesicht wie Tauben«

lese ich im namenlosen Buch
des namenlosen Mannes in der Tram.

Wie sind Tauben?
Sie sind grau, sind viele.

Sie taumeln elegant – wenn keiner schaut –
im Sturm von Haus zu Haus.

Alle sind wir Tauben
in der namenlosen Stadt.

Moritz Gause

Moritz ist Teil der 3. Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016

Dieser Text ist bereits erschienen in Blue Monday (SuKuLTuR, 2015)

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freiVERS | Anna Ospelt

Budapest – Wien

Nach dem roten Abend mit Dir
ein farbenfroher Tag:
Mohnsträusslein am rostigen Bahnhof.

Anna Ospelt

Anna ist Teil der 3. Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016

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freiVERS | Tabea Xenia Magyar

lasst uns automobile kaufen, als würden wir
anderes kaufen.

-

das totale spiel hat seine eigenen regeln
wir können diesen gefühlen nicht mehr entgehen.

-

die struktur, die krabbe und hummer verbindet
hat auch mich letztlich erfasst.

-

wende die handflächen abwärts
alles zu mir und ich zu dir.

-

nach dem ende der jetzigen zeit
wird die vorherige wieder beginnen

-

im theater der gegenwart
lieben bereits unsere ohren.

-

die bestrafung eines unbeteiligten objektes
mitanzusehen ist schrecklich.

-

die verrückte anstrengung das ende
des 19. Jh. zu rekonstruieren.

-

seine gesten, der verschwundene raum
bedeutungsvoller momente.

-

leid, tut mir leid, es geht nicht anders,
zyklische präsenz ist immer nahe gelegen.

-

einfach enthüllt die bibliothek
ihre männer.

-

nach den frauen
müssen wir tiefer

Tabea Xenia Magyar

Tabea ist Teil der 3. Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016

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freiVERS | Jan Skudlarek

mit beiden fingern ins nutellaglas

so klapprig gekörpertes. wir als vehikel für ’ne seele? warum auch nicht.'
vor der haustür haben sie einen igel überfahren,

der igelmatsch zieht sich über zwei meter. im kuss sind unsre'
zungen ineinander

verschlungene delfine. einfach die augen schließen
und rein in die haselnussmasse

Jan Skudlarek

Jan ist Teil der 3. Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016

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freiVERS | Niklas L. Niskate

ewenken

gespensterjagd. treibnetze
wie subjekt. objekt. verwirrung
auf seiten der gegend
projektionen.

dein begriff setzt den fall zur falle

schaffst du den regen heute noch?
oder bekümmert das jemand anderes?
ach, funktionsradien. weite
überschaubare flächen

lügner. immer auf bewährung ich
möchte die namen vertauschen

und bomben in den identitätspool

den identitätstod runterladen
heißt sich die scheiße
aus dem kleid zu häuten, hase.

wer verliert ist
immer gewinner
beziehungsweise

Niklas L. Niskate

Niklas ist Teil der 3. Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016

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freiVERS | Daniela Chana

Nächte werde ich hier spinnen

Wie viele Abende werde ich hier strampeln
Und noch nicht ertrunken sein?
Kerzenlicht ist immer hinter mir
Weil mein Diener es für mich trägt
Manchmal steige ich mit einem Fuß
Auf ein heißes Sandkorn
Dann fliege ich
Ich spinne stundenlang herum
Auf der Veranda
Neben einem Glas Rotwein
Die Panik schwimmt so langsam über die Hügel
Und versinkt
Cowboys reiten auf Pferden vorbei
Einer lüftet den Hut, und ich spiele mit einer Haselnuss
Wie viele Nächte werde ich hier spinnen
Und noch nicht gestorben sein?

Daniela Chana

Daniela ist Teil der 3. Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016

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