freiVERS | Ferenc Liebig

Das Haus. Stillstand.

(1)

Das Haus ist zu groß für einen,
der seinen Lebensbaum längst
gefällt hat, um Brennholz
für den Winter zu haben.
Aber groß wäre es auch,
wenn man nicht einsam wäre,
inmitten der Leere,
die zu jeder Jahreszeit
durch die Fenster lugt
und ihre abgenagten Kadaver
auf die Veranda legt.

(2)

Man spricht über Tiere.
Der Marder hat den Schlauch
der Scheibenwaschanlage durchgebissen,
Ein Waschbär hätte die Vorräte im Schuppen
geplündert und unter dem Dach nisten Vögel,
im Anbau zeigst du auf drei Bienenstöcke,
draußen dann sagst du,
schau mal hier, durch dieses Loch im Zaun
wäre der Fuchs hindurchgekommen
und hätte sich die Hühner geholt.
Deine Erinnerung an früher
ist wie morsches Holz.
Du puhlst darin den Staub
der Vergangenheit hervor.

(3)

Und dann ist es ruhig.
Du hast die Axt zurückgestellt,
läufst barfuß über das hüfthohe Gras,
berührst die Blütenköpfe
mit der Neugier eines Kindes.
Die Sehnsucht würde dich
am Leben halten.
Die Sehnsucht lässt dich aufstehen
und an früher denken.
Wenn der Herbst kommt,
beruhigt dich die Dunkelheit.

(4)

Das Haus ist groß,
von innen wirkt es nochmals größer,
als würde einen optischen Trick geben,
der das Äußere kleiner erscheinen lässt.
Das Haus war schon immer zu groß gewesen,
selbst als die Eltern noch lebten,
mit Decken um den Beinen,
in den letzten Sonnenstrahlen des Spätsommers.
Du sprichst von Vergebung,
Hohlräumen unter deiner Haut,
damals noch mit Berührungen befüllt,
trocknen sie nun langsam aus,
werden kleiner, drängen sich an die Knochen,
bis sie gänzlich verschwunden sind und
nur noch ein ledriger Film verbleibt.

(5)

Durch die Wälder treibt es uns,
ganz tief hinein in die seligen Schatten,
wo wir uns Läuterung versprechen
und so sind es unsere bemoosten Füße,
die hinein ins wuchernde Dickicht laufen,
sich Schneisen bahnen
durch benachbartes Grün.
Nichts vermenschlicht,
nicht einmal mehr wir,
werden nur eins dieser Geräusche,
das noch kurz widerhallt
und sich dann gänzlich niederlegt.

(6)

Du holst tief Luft, hältst die Luft
in deinen Lungen, schließt deine Augen,
atmest langsam wieder aus.
Nichts könnte dich von hier trennen.
Während du das sagst, wird dir bewusst,
wie wenig du von der Welt gesehen hast.
Gestriger Regen tropft von den Blättern.
Ein Jaulen kommt aus den Tiefen.
Du holst erneut tief Luft,
berührst dabei deinen Brustkorb.
Es riecht nach Erde.
Die Baumkronen verdecken
den Großteil des Himmels.

(7)

Im Haus ist es dunkel.
Geweihe hängen an den Wänden.
Im Schrank warten polierte Gewehre.
Auf unbehandelten Holzbrettern in der Küche
befinden sich Tassen und Gläser und ein Foto
der Eltern wurde neben ein Kruzifix befestigt,
wie sie auf einem Berg stehen,
Arm in Arm, ein angedeutetes Lächeln,
im Hintergrund Wald und Wanderer.
Da waren sie noch glücklich, sagst du,
nimmst das Bild in die Hand und
schüttelst wortlos den Kopf.

(8)

In der Bestallung gibt es ein Versteck.
Als Kind hättest du dort im Verborgenen
Gedichte geschrieben.

.

Ferenc Liebig

.

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freiVERS | Lorena Pircher

Blaurot

.

I. Blau

erinnerungen / erfrierungen worte an wimpern ge- / weisses feld     über mir

nachthimmel mit wundmalen / ränder austretend / nacht deckt das damals zu

dein gesicht

lider geschlossen / blass die tage

weich

dein gesicht

.

erfrierungen / erinnerungen dein sein / wunden an meinem körper

ich sitze / im weißen gras des vergangenen / zupfe deine hände von bleichen halmen

dein gesicht

der nachthimmel

austretend nässend

.

erinnerungen / erfrierungen gemeinsames leben atmet

in den begrenzungen eines damals

weich dein gesicht

.

ich trinke

gebrochenes wasser

bläuliches feld über mir

die dämmerung wund

an den rändern

.

morgen weckt das damals auf

deine arme deine beine

zähflüssig die finger lange die tage

.

sonne steht hoch

schmelzwasser meine erinnerungen

algen fische meine nahrung

gräte schmücken mein haar

weich dein gesicht

.

erinnerungen / ein fluss gebärt in seinen tiefen

unser damals

.

II. Rot

feucht meine erinnerungen / erde schluckt         dein gesicht

rötliches feld über

mir glutsonne

begrenzungen auslaufend

die ränder bluten

.

tag schürft das damals ab

dein rumpf     deine rippen

spröde die schultern

süß der schweiß

sanft die stunden

.

es keimt

gräsern         dein gesicht

gelbliches feld / über mir

fragiler horizont / abendkühle zerfleddert an den rändern

.

abend legt das damals zur ruhe

deine lippen dein haar

dein schweigen deinen namen

leise die abende

.

mond steigt

wind wacht

deine worte kühlen meine wunden

weich dein gesicht

begräbt meine erinnerungen

rot die nacht

.

stille in der begrenzung / über mir der wundhimmel

an meiner seite meine hände meine augen haare lippen rumpf arme beine

blau der morgen / rot die nacht

.

Lorena Pircher

.

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freiVERS | Karoline Caesar

Alt

Hüpfen außer Atem
lenkt mich manchmal davon ab
Zwei Stunden Training und Schweiß
Kicks mit langen Beinen
sehen im Spiegel gut aus
Energie überrascht mich am Sandsack
Ich möchte mich in eine Holzschulbank
mit Deckel eng über den Knien quetschen
und hingebungsvoll schreiben

Ich schreibe ewig nichts
Plötzlich ruckartig würge ich wie eine Schlange ihr Mittagessen
drei Gedichte aus mir heraus
Erleichtert
dass ich doch
ein wenig
so lebe
wie
ich
es mir vornahm
als ich noch jung war

Alt

Mit vier störte mich die Frage der Tanten nach meinem Alter
Ich starrte panisch auf den Boden
und in mir wurde alles schwarz
Ich kam zwei Wochen zu spät auf die Welt
Mein Gefühl ist ja, ich wollte nicht eher
Die Leute machen so viel Drama darum
I c h verstehe das n i c h t.
Ich hangele mich von dir zu mir
und tupfe vorsichtig und leise mein Gesichtswasser auf

Alt

Mein Magen ist nervös
und ich denke es könnte auch Krebs sein
ich habe schon so abgenommen
und möchte es dennoch nicht genau wissen.
Ich sehe meinen Pflanzen beim Aufblühen zu
und beginne zehn neue Projekte gleichzeitig.

Alt

Schon mit 17 war ich eigentlich 35
Der Rummel um Silvester und Geburtstage ist mir ein Graus.
Jetzt verzettele ich mich in alltäglichen Spülmittelfragen
Und erschrecke vor Zahlen
und Uhrwerken
Die Mechanik lebt und rennt hinter mir her!
Ich werfe Teller hinter mir auf den Weg…!

-------------------------------

Es ist auch einfach Trotz.

Ich bin so eine
die sich beinah ganz aufgerichtet hat
und dann innehält.

.

Karoline Caesar

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freiVERS | Marcus Pöttler

wir finden nicht an diesen tag zurück

träumen, dass
der schnee uns zusammen hält,
die windgeritzten wangen,
flocken auf der haut
brennen, wie wir

die augenaufgerissene welt
umarmen, uns selbst
verschieben, die konturen
zerstreuen, zeigen erste
abwesenheiten

nichts lässt sich mehr
ändern, der letzte schachzug
über den rand, die dämmerung
sammelt erinnerungen, steigt
den hügel hinab

weiter oben bleibt graues haar
in den tannenzweigen, deine
moosigen locken, muster
auf der hand, leicht wie
vogelgeschrei

.

Marcus Pöttler

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freiVERS | Manon Hopf

auch das von andren
tieren lernen: das wort
so lange im mund halten
bis es sauer wird
und dann ausspucken

 

von andren tieren lernen:
befehle ignorieren
langsam sein
arbeit verweigern
streiken
außerplanliche pausen erzwingen
equipment zerstören
auch gehege
steine schmeißen
zurückschlagen
ausbrechen und wegrennen
alles in abfolge oder
zur gegebenen zeit

 

und von anderen tieren
das lachen lernen weil jeder verstandene
witz eine kerbe schlägt
einen haken fährt
auf der zunge:

menschen sind häßliche
vögel

.

Manon Hopf

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freiVERS | Harald Vogl

berufswahl

macheniker oder bräftrieger
flauschheier freusir
oder deumptor
krünfahrer kipätan
polit oder pilotiker

neicht so licht
mit der schräbschweiche

ebar jetzt
weiß ich´s
schreftstiller
ein letirat
sinst nochts

.

Harald Vogl

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freiVERS | Tom Riebe

blick I

morgens stehe ich auf der brücke
werfe steine auf das dunkle eis
unter dem sich weiße
klar voneinander getrennte
amorphe schlieren bilden
die erst verharren
dann aus sich heraus zucken
ich beobachte ihre bewegungen
schaue
wie sie trachten
sich zu vereinigen
um der vereinzelung
zu entgehen
etwas größeres
zu werden
als ihnen bestimmt ist

bis zum abend
haben es nicht alle geschafft
trotz meines unausgesetzten blicks.

.

Tom Riebe

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freiVERS | Eline Menke

Es sieht so leicht aus

wie die Sonne aufsteht
ohne Gähnen und Recken.

Wie sie schlafen geht in den
Langlaufspuren der Sätze

wo ich Dinge vermute, die sich
gegen die Laufrichtung stellen.

Es sieht so leicht aus, wie das
Wasser abläuft, Worte

auf dem Trockenen liegen
zurückgelassen an der

Mündung zum Satz.

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Eline Menke

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freiVERS | Sigune Schnabel

Im Meer sind Geschichten weicher als an Land

I Ursprung

In einer Maus werde ich wachsen.
Ich liege in ihrem Schoß
und rieche, wer ich bin:
Wind und Gras oder ein Tag,
der räuberisch verklingt.

Sie glauben, sie kennen mich
aus früheren Zeiten, aus Waldgebieten
und Nächten.
Ich lief durch die engen Schatten
ihrer Rufe, schlief
auf wilden Worten.

Bald werde ich ein neuer
Tag; doch verschwinden soll ich,
wo alte Geschichten
unter Zungen hausen.

Die Steine wissen vielleicht
noch von mir.

II Niemand kennt den Grund

Im Meer drehen sich die Zeiten
in die Tiefe.
Ich rieche den Atem der Steine.

Einst nahm sich der Staat Gewässer
und nannte sie sein Eigen.
Aber sie schwimmen davon
wie ich.

Überleben will ich in Wasserhöhlen.
Immer seltener möchte ich sprechen.

Am schönsten ist das Meer,
wenn es mich hält.

III Die Nacht fällt von der schwarzen Liste

In Laubwäldern heult der Wind
durch Bäume.
Kinder sprechen von Farbmustern.
Ihre Stimmen kann ich dunkel
von der Landschaft unterscheiden.

Das Leben ist schneller als ich,
überquert Flüsse und Gezeiten.

Mein Haus erzählt eine Geschichte.
Ich höre zu
und weiß nicht: Ist sie wahr?
Nie bin ich größer als ihre Worte.
Vielleicht stirbt sie vor mir aus.
Die Gräber kenne ich
und die Stille. In der Nacht
gehören alle Farben mir.

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Sigune Schnabel

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freiVERS | Julo Drescowitz

5,0

Du liegst
neben mir
im Bett
und du
fährst dir
auf diese
Art durch die
Haare
wie du es
immer tust,
und deine Arme
sind wie
Äste
und deine
Hände
würde ich unter
Millionen
erkennen;
und ich spüre die
Hitze und
Nässe
unter unserer
Bettdecke
und wir trinken
dieses
Billigbier
aus Dosen
es heißt:
5,0
und die Dosen
sind eiskalt
mit
Kondenstropfen
am Blech;
und wir trinken
das kalte
Bier
und du
fährst dir
durch die
Haare
und
sagst
die eine
Hälfte
deiner Familie
tränke,
weil sie die
Welt
nicht verstehen
würde,
und die andere
Hälfte
deiner Familie
sei tot
weil sie
sie
irgendwann
von Grund auf
verstanden
hätte;
und dann
schweigen wir
einen Moment,
und es ist
dunkel
in meinem
Zimmer
und kühle
Herbstluft
zieht durchs
Fenster
herein
und ich rieche
unsere
Haut
deine
Haare,
und du
trinkst und
lachst und
sagst
du würdest
einfach
nicht
wissen
wohin
du
gehörst

.

Julo Drescowitz

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