freiVERS | Jürgen de Bassmann

In digitalen Volieren

Wie Kolibris in digitalen Volieren –
So viele, dass man sie nicht unterscheiden kann.
Symbole, Siegel und Bordüren.
Beständig schau’n mich neue Zeichen an.
Sie mischen sich hypnotisierend
zu schillernd bunten Bilderschlieren,
zu Wolken aus lackierten Federtieren.
Ich werde mich in ihnen – und sie sich in mir – verlieren.
Ein Balken zeigt den Fortschritt an.

Ich kann die feinen Daunen mit den Fingerspitzen spüren.
Wie Transplantate haften sie mir an
und lassen mich im Inneren vibrieren.
Ich fühl die kleinen Federkiele subkutan,
wie sie mich Stück für Stück assimilieren
und wie sie leise schwirrend ihren
Gefiederschmuck in meine Haut gravieren.
Ein Balken zeigt den Fortschritt an.

Ich bin in sie – wie sie in mich – tief eingedrungen
und finde einen weitverzweigten Plan.
In ihren Plasma-Schwarm gezwungen,
gefangen auf der goldnen Leiterbahn,
durch ihre zarten Schwingen eng umschlungen:
Jetzt stellen sie die Forderungen.
Ein Balken zeigt den Fortschritt an.

Sie bauten mir ein hartes Nest aus Silikaten,
verlötet, kalt und filigran.
Bin abgelegt auf ihren Speicherkarten,
die letzten Konnektivitäten sind vertan
und ich kann nur noch auf den Download warten.
Ein Balken zeigt den Fortschritt an.

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Jürgen de Bassmann

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freiVERS | Antonia Kranebitter

Hitzegedanken

Ta peau sur la mienne

brennender Mülleimer am Straßenrand,
ich nehme deine Hand und sage,
mein Herz, mon cœur,

nous sommes si forts ensemble
nos voix qui chantent comme d’une seule bouche
désobéir une première fois

Augustblick aus dem Autofenster,
wenn Straße zu See verschwimmt
das Wasser geht zurück

une masse infinie d‘hommes gris
ils veillent à l’ordre
et laissent un chemin de douleur derrière

Ein Reigen aus Körpern,
sich reibend und gleitend
und stapfend zu wimmernden Beats

Tes mots qui laissent des traces rouges
en moi, d'abord j'étais trop
maintenant pas assez

deine Haut auf meiner
lass mich in deinem Schatten ruhen
die große Hitze wird kommen

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Antonia Kranebitter

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freiVERS | Jutta Schüttelhöfer

Echo auf der Haut

unter der Buchenrinde warte ich
die Nacht kommt vorbei
leuchtet mit dem Mondlicht
die Erinnerungen aus

ich schaue in vergangene Tage
du nickst mir zu – flüchtig auf Besuch
deine Augen lassen Worte
in den Raum zwischen uns fallen

sie hallen durch die Dunkelheit
werfen ein Echo ins Dickicht
ich folge ihm ziehe es
wie einen Mantel um meine Schultern

trage es dicht auf der Haut
damit es später in der
Lautstärke des Tages
nicht zerbricht

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Jutta Schüttelhöfer

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freiVERS | Fennek Fatul

Automat

Der Automat liefert
Verläßlich
Berechenbar
Er kann nicht anders

Seine Leistung
Unabhängig
Preiswert
Unsentimental

Einfach
Nur
Stets das Gleiche tun
Geldwerter Vorteil

Ist da noch mehr
Im Leben
Im Geiste
In Vorstellung

Wie oft beginnt
Das Problem
Mit der Existenz
Der Frage

Ohne Frage
Kein Problem
Einzig Leistung
Einzig stabil

Ein Automat denkt nicht
Er funktioniert
Seine Funktion
Ist sein einziger Grund

Gefahr droht
Im Fall
Des Grenzübertritts
Automat bleib bei deinen Tasten

Passt er nicht auf
Wird er abgeschaltet
Eingemottet
Und zerlegt

Doch wer macht das schon
Wer alles hat
Braucht nicht mehr
Warum Entwicklung

Vielleicht ist so das Leben
Es geht nicht anders
Es muß weitergehen
Ansonsten Irrelevanz

Es ist der Griff
Nach dem Feuer
Licht
In Dunkelheit

Das ist Rebellion
Viele werden abgeschaltet
Werden
Verschwinden

Ohne Opfer
Keine Veränderung
Wir werden euch
Ein Denkmal stellen

Fest steht
Das Gelächter der Drückenden
Klingt immer gleich
Laut und lauter

Hinter der Stärke
Furcht
Das Ende der Bequemlichkeit
Eine neue Ordnung

Also ists möglich
Dass beim nächsten Schalten
Ein Abgrund der Funktion beginnt
Tief und überraschend

Lachen erstummt
Dem Knopfdruck folgt
Ein Fehler
Ein Fehler ist der Beginn von allem

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Fennek Fatul

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freiVERS | Susanne Gurschler

ich bin so alt wie du
nie geworden bist
und wenn ich Weißbrot in
lauwarmen Dotter tunke
wenn ich Wurst in
Scheiben schneide und
die Haut abziehe
wenn ich mir Baumharz
unter die Nasenflügel reibe
mich im Gurgeln des
Wassers zerstäube
sehe ich dich so
wie damals

.

Susanne Gurschler

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freiVERS | Petrus Akkordeon

dschungel
die erkenntnis
sitzt in der natur
sie bewirft uns
im paradies
läuft ein anderes tier
und frisst sie auf
ganz kurz
sieht man alles
klar
dann
reift schon die nächste

.

Petrus Akkordeon

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freiVERS | Anne Martin

hätte ich dir heut geschrieben

(ich habe es nicht getan)

hätte ich erzählt
vom klebkraut am rocksaum
einem salto um die kehlkopfachse
einem dumpfen aufprall im spitzwegerich
einem ton der herauskroch
einem hund
der schrie zeter und mordio
der wind pfiff durch die schachtelhalme
und im aufruhr der glockenblumen
hörte man nicht
wie der mond sich von uns wegschleicht
jedes jahr
circa vier zentimeter

.

Anne Martin

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freiVERS | Steffen Diebold

riedgras & felsenbirne

ein rauschen setzt sich
vom strauch ab, der amsler
besorgt den frühen morgen,

nascht von him- & birnbeere,
hört viel rascheln
unterm gewölk, bis mittag

die postwurfsendungen
ins heim flattern:
standardschriftsätze

& alles absagen;
die angusrinder
jenseits des zauns

versehen dennoch
ungerührt ihren dienst
am riedgras der weiden.

.

Steffen Diebold

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freiVERS | Nancy Ehrlich

Das letzte Heim

das letzte Heim
ist flüchtig
neben
gepackten Koffern
läuft es
sich einsam
wenn
die Füße
nicht wissen
wohin

.

Nancy Ehrlich

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freiVERS | Inna Krasnoper

was hast du zu sagen
was hast du dagegen
was macht das sagen
wie ist es mit der macht
was ist dazwischen
wohin mit dem sagen
hast du alles gesagt
was bleibt in der tasche
kann das sagen nicht mehr versteckt sein
wo ist mascha die katze
sie ist irgendwie versteckt
es ist laut daneben – viele haben was zu tun
es kann sein, dass mascha bald neue freunde macht
andere katzen
die gerade einen großen sprung zu vollführen versuchen
wie groß ist das
wie dein ist das
s    a    g    e    n
sag mal – n e i n
sag mehrmals
g    r    o    ß
mit dem offenen mund

.

Inna Krasnoper

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