freiVERS | Anna Arning

stein bin ich
den du kaum anrühren kannst
ohne vor kälte zu verbrennen
schwarze wüste, totes land
darunter frost und feuer
ein salamander kriecht bei fuß
erstarrt in meinem schweigen
du kratzt daran es zischt
ein schwall aus toter glut
versengtes wort, ich schlucke es
und spucke trümmerteile
du hebst sie alle einzeln auf
füllst deine weiten taschen

 

Anna Arning

 

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freiVERS | el menges

pool boy

erinnere
1. ein schwimmbad, das
weniger offensichtlich klafft

2. kontrolle, wenn schlaf
einen mund besitzt

3. wasser als himmel
aus zweiter hand

ein klumpen fleisch
in meinem mund pulsierend
mein mund
in einem klumpen fleisch pulsierend

wie wund meine kehle
dich benutzen lässt

am gaumen reißt
der himmel auf

vermissen, fast ein wort

 

el menges

 

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freiVERS | Tanna Künemund

Ich (zer)säge sie

Ich mag es
Dinge selbst zu machen
die nur ich mir zutraue
denn
oft weiß nur ich
dass ich kann
was ich kann
ohne es zu wissen
weil ich nicht darüber nachdenke
sondern beginne
zu tun
was ich tue
auch wenns kein Mensch mir zutraut
und dabei kann ich es
was ja klar ist
und mich weiterhin
nicht besonders
wundert
oder überrascht
wobei ich fühle
dass es schön ist
das zu tun
von dem vielleicht
auch ich denke
es sei fast nicht machbar
dann es aber doch zu tun
ohne zu hadern
oder zu verzagen
einfach zu starten
und weiterzumachen
step by step
et peu a peu
und mich nicht zu wundern
dass es klappt
weil ich es ja zuvor
auch nie und nicht
in Frage gestellt hatte
irgendwie doch wissend
dass ich es könnte
denn weshalb
sollte ich es nicht können
oder weshalb sollten Menschen
das nicht können?
wo sie doch noch nicht einmal
und noch nie nicht
ausprobiert hatten
ob es klappen
oder gehen könnte
ganz einfach
nur so
beginnen
und Schritt für Schritt dranbleiben
dabeibleiben
sich ran wagen
und es durchziehen
und auch an ihre
scheinbare Selbstsicherheit
über die ich doch gar nicht
nachgedacht hatte
und auch nicht darüber
ob ich zweifeln sollte
oder verzweifeln
an mir
oder meiner Schwäche
die ich gar nicht habe
außer für Dich
und die Kunst
und Erdbeeren und so
und mir so sehr
meiner Stärke sicher zu sein
als würde ich mich schon
mein Leben lang kennen
und mir vertrauen können
so ganz und gar
vertrauen
weil ich weiß
ich würde das
gemeinsam mit mir
durchziehen
und mich nicht sitzen lassen
oder im Stich lassen
sondern richtig ranklotzen
und voll powern
und mit aller Kraft
dieses Ding
durchziehen
ganz ohne
oder nein
nur mit
Vertrauensvorschuss
und ohne Handschlag
oder Vertragsabschluss
nur ganz locker geplant
starten
und dann so richtig
zu arbeiten
wie Sau
volle Pulle
und alle Muskeln zu spüren
und meinen Atem wahrzunehmen
und zu wissen
falls es Muskelkater gäbe
fänd ichs schön
doch zu rechnen
war damit
wahrscheinlich nicht
weil sich
Muskelkatzen
nur selten
bei mir einstellten
oder vor
und genau so ungeplant
starte ich
am liebsten
minimal durchdacht
und nur wenig geplant
eher spontan
und impulsiv
mag ichs
loszulegen
und die Welt zu bewegen
ohne Schutzkleidung
oder Versicherung
aber dennoch vorsichtig
und Unfälle antizipierend
nur durch meine
Aufmerksamkeit
verhütend
klettere ich
wagemutig
und kühn
ohne Leiter
die acht Meter hohe Weide hinauf
und zücke
meine kleine feine
Handsäge
und starte damit
von oben nach unten
den dicken Baum
zu stutzen
und
es klappt natürlich
und macht Spaß
obwohl sie mir leidtut
doch sie ist krank
und würde aufs Dach fallen
früher oder später
und nur so
kann ich sie retten
indem ich sie
runtersäge
was Männer mir angeboten hatten
mit Nennung ihres Stundenlohnes
doch so
wie ich säge,
kann ich sie in Stille
sägen
ohne dass Motorsägen
den Spätsommer zerschrillen
und alles zu schnell geht
wobei auch ich schnell bin
denn die kleine Säge arbeitet gut
in meiner Hand
an der sogar die Ringe glitzern
was nie sein darf
beim Arbeiten mit Werkzeug
sägen wir zusammen
dreidimensionale Keile ins Holz
die die Fallrichtung
der baumgroßen Äste
vorskizzieren
der dann das Knacken folgt
und anschließend der Fall,
wobei ich zuvor
die 8 Meter langen Weinranken
voller Trauben befreie
sodass sie die fallenden Äste
loslassen müssen
damit sie fallen können
und zu Brennholz werden
das ich auch mit Hand säge
mich fragend
warum es so sehr Spaß macht
sich anzustrengen
oder die Muskeln spielen zu lassen.

ich säge sie
und zersäge sie.
alleine.
ohne Männer.
mit mir zusammen.
mit meinen kleinen Händen
meinen zarten Armen
meiner Balance
Kraft
Ausdauer
Hingabe.

oder ich schwimme durch den See
der ein Meer ist
weil Möwen über mir fliegen.

All dies geht ja nicht immer.
Manchmal kann dieser Körper nichts starten.
Dann wiederum
bewegt er Berge.

„Er“ sollte „sie“ sein.
Sie ist kräftig
wenn sie kann.

 

Tanna Künemund

 

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freiVERS | Sonja Kuzmics

die rehe sitzen in den gräben und warten
wenn du vorbei gehst springen sie heraus und erschrecken dich
ihre grünen augen leuchten
ihre leuchtenden grünen punkte erinnern dich an
a) den voll aufgeladenen akku deiner bohrmaschine
b) den spind in der therme bevor du ihn zusperrst
c) den spind in der therme wenn du ihn öffnest

 

Sonja Kuzmics

 

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freiVERS | Felix Reinhuber

die dunkelheit wird, schleichend, tinte

zwei füchse streifen dünn
erinnerte straßen, die

sich nach und nach formieren
an die arbeit gehen

nachtgeparkte lieferwägen
warten. im winkel

der vogel, schwarz. zerhackt
ein stück säugetier

aufgestellte härchen
                     gräser auf brachen

zittern

             flaum, pfirsichlicht

das fußballfeld empfängt, weit, den tag

 

Felix Reinhuber

 

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freiVERS | Eline Menke

Auf der Autobahn

Im Fahrtenbuch meiner Sätze
fehlt Geschwindigkeit.

Kein Wort ist meinem Weg voraus.
Es ist laut. Du vertraust Geräuschen,

die sich gegenseitig zerfleischen,
leckst Leere von den Lippen,

sprichst von Verdunklungsgefahr
im Freigang der Gedanken.

Ich schweige die Landschaft an,
rausche in sie hinein.

 

Eline Menke

 

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freiVERS | Elia Aubry

Wolken ist ein anderes Gefühl

Wann wirst du wiederkommen frage ich
wirst du wiederkommen?

Der Besuch er kommt zwischen die Zustände
ich meine Wirklichkeit
und meine Wirklichkeit
wo dich der Moment hin und her
wendet zuweilen auch Omeletten
wir fanden unter dem Laub eine Schar
Totentrompeten in Knoblauch geschwenkt

Dass ich denke (immer) wie
ich das gemacht habe mit den Vorstellungen
ich meine Luft unter den Flügeln
und der Wirklichkeit ich meine
Boden unter den Füssen
und der Lust ich meine
das Vergessen der Fallhöhe

wenn dir die Flügel bestellt
nämlich wie brachliegende Felder
im Hand-um-drehen

Der Besuch er linst aus dem Fenster so
als fahnde er dort nach dem Sinn des Lebens
den die Luft (wer weiss) als winzige Materie enthält

Ich meine die Geste des Hypnotiseurs die
dir die Augen in ihren Sockeln wegdreht

Ich flösse dem Besuch beruhigenden Tee ein
streiche ihm behutsam übers Haar und so
weiter halte ich seinen Kopf (Kugel) und richte ihn aus
auf die Einbildung die durch die Wirklichkeit pflügt

Der Horizont er kommt langsam ins Bild
und stellt Gegenwart her ein schmaler
Streifen Himmel erhellt sich
heller rot röter und so
weiter denke ich an einer Stelle so hell
dass es weh tut beim Hineinschauen es

ist 8 Uhr 34 und die Sonne wirft eine Zeichnung
an die Wand über dem Küchentisch
wir meinen die gleiche wie letztes Jahr

Wir führen Protokoll ein Inventar
vor einem Jahr

:in die Sanduhr
hinein
eine Oase denken

Der Besuch er sagt unsere Wörter sind wild
und scheu
nachts schleichen sie einsam durch die Gassen
und benehmen sich unangemessen

Es ist, letzten Endes, das gute
Recht der Wörter, die Dinge durcheinander
zu bringen und […] (G.B.)

Der Besuch er ist gegangen er kommt
und geht wie es ihm passt
er hinterlässt Sätze mit Augen
und Ohren gestohlen
ausgeschüttet am Küchentisch

:der Schreibende wobei
er sich darüber nicht (mehr) im Klaren ist

Ich schreibe: ich schreibe…
Ich schreibe: «ich schreibe…»
Ich schreibe, dass ich schreibe…(G.P.)

Ich schreibe:
wer sich aufs Schreiben einlässt
der tut es nicht um sein Leben zu retten
er tut es um sein Leben zu leben und

merke die Wörter sie hecheln nach Luft

die Möglichkeit ein Wort zu tauschen
die Möglichkeit ein Wort zu leihen
die Möglichkeit ein Wort weiterzuverleihen
ich habe das lange nicht verstanden
die Anatomie von
ich meine die Evolution eines Satzes

Gib mir eine Erinnerung sagt der Besuch
Einfach so eine zufällige?
Ja die erste die sich um 8.45 am Küchentisch einstellt

Die Unmöglichkeit ein Wort zu tauschen
Die Unmöglichkeit ein Wort zu leihen
Die Unmöglichkeit ein Wort weiterzuverleihen
fast hätte ich gesagt Sprachlosigkeit

oder wir legten Wörter in unsere Köpfe
wie etwas Zerbrechliches in etwas Zerbrechliches

Wie lange noch fragt der Besuch
wann werden wir
und eine Handvoll Wunder am Wegrand
Bilder machen um zu sehen
ob sie uns entsprechen

Der Besuch er sagt
ich werde ein Gefühl für dich
an dem du entlangleben kannst

Morgens liegen wir träumend in der Schwerelosigkeit
das Erwachen wie ein Wiedereintritt
wie Verrat an den Träumen
die Schwerkraft als Strafe

Und Träume solche die hinüber
wollen und kleben bleiben
fast hätte ich gesagt wie Scheisse
schlagen wir in den Wind
Bäume im Wind nie sind sie schöner
ich meine Gedanken in den Wind
nie schöner vielleicht
in den Wolken

Wolken ist ein anderes Gefühl

 

 

Literaturnachweis:
Georges Bataille, 2005, Kritisches Wörterbuch, Merve Verlag Leipzig
Georges Perec, 2013, Träume von Räumen, Diaphanes Verlag Zürich

 

Elia Aubry

 

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freiVERS | Torsten Siche

andächtig

Vermoosung unter der Zunge
mehr als ein aufgestoßenes Gebet
zwischen den Seiten zittern
die Finger ein Lied herbei

ein Krächzen gespuckt statt Lobpreis
die Erinnerung splittert unter den Nägeln
schnell überwachsen die Spuren im Gras

noch knistert das Laub des letzten Jahres
unter den Schuhen erhebt sich der Gesang
wie fallen gelassen kurz nach der Geburt

Bruchstein unter Efeu vergessen
beim Näherknien bricht das Dickicht
unter der Stirn keine Melodie
kein Klageton

 

Torsten Siche

 

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freiVERS | Lukas Leinweber

Der Wald und lauter Bäume

Die Überzeugung liegt falsch
und holt sich ein steifes Genick
Die Meinung macht sich breit
und bleibt im Türrahmen stecken
Das Gefühl schlägt Alarm
und trifft wen im Gesicht
Der Menschenverstand steht goldrichtig
und weicht den Argumenten aus
Der Glaube fliegt hoch hinaus
und drunter vergammeln Tatsachen
Die Erkenntnis geht fehl
und wird in der Sackgasse heimisch
Die Wahrheit tanzt im Kreis
und ihr wird schwindelig dabei
Die Kritik kommt zu spät
und dafür bestraft sie das Leben
Das Denken fährt fort
und erholt sich von sich selbst

 

Lukas Leinweber

 

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freiVERS | I. J. Melodia

Es fehlt uns der Hunger

Wir schlafwandeln
durch die Langeweile
auf einem Weg aus Worten
die es nicht mehr gibt

Mir gingen die Synonyme aus
meine Metaphern verfehlten
blieben in der Kehle stecken

Unsere Tage streunen
durch den Regen

Wir pflücken Strandgut
aus der Stille
warum redest du von morgen

Verzeih mir
dass ich dich schon zuvor
geliebt habe

 

I. J. Melodia

 

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