mosaik36 - Eine Wohnung mit Zukunft

mosaik36 - Eine Wohnung mit Zukunft

Winter 2022

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INTRO

Wir wohnen seit zehn Jahren im bedruckten Papier.
Literaturzeitschrift.
Eine Zeitschrift mit Zukunft.
Hier wollen wir alt werden.

Man macht das eigentlich nicht, aber wir hoffen auf Milde aufgrund unseres Alters: Wir haben uns für diesen Einstieg einer Textstelle von Pia Schmikl (S. 20) bedient und an unsere Situation angepasst. Es ist nämlich so, dass wir dieser Tage das zehnjährige Jubiläum der mosaik1 feiern. Und es ist auch so, dass wir traditionell lieber nach vorne als zurück blicken. Vor zehn Jahren haben wir das nicht gemacht: Niemand hat sich überlegt, was wir dereinst beim 10-jährigen Jubiläum wohl machen sollen. Und so feiern wir unseren ersten runden Geburtstag etappenweise: In dieser Ausgabe findet ihr ein paar wenige, ausgewählte Texte, die uns besonders in Erinnerung geblieben sind. Im Herbst werden wir mit euch allen gemeinsam ein mosaik-Fest feiern. Und dann fällt uns sicher noch weiterer Jubiläums-Schabernack in diesem Jahr ein.

Und gleichzeitig blicken wir weiter in die Zukunft – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es warten spannende Projekte auf uns: Bücher, Kooperationen und neue Ideen! Aber gleichzeitig hat sich auch nach zehn Jahren wenig an der prekären Situation des Projektes mosaik geändert. Wir arbeiten gerne und nur von Idealismus getragen – hinterfragen diese Praxis aber immer öfter und fragen uns, wie es weitergehen kann.
Bevor wir jetzt aber selber zum Partycrasher oder zur Spaßbremse werden, wünschen wir euch viel Freude mit dem neuen Heft. Aber nicht vergessen: „Lesen ist eigentlich asozial.“ (Stefanie Stegmann, S. 82)

euer mosaik

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Inhalt

Spezial: 10 Jahre mosaik

Stell dir vor, du kommst nach einer Lesung ins Gespräch: Was es bräuchte, wäre eine stärkere Förderung junger und neuer Autor*innen, am besten mittels einer Zeitschrift! Man beschließt die Gründung einer solchen. Gefühlt drei Tage später feiert man das 10-jährige Jubiläum.

Wir sind keine großen Freund*innen von Sentimentalitäten, aber wir erinnern uns in dieser Ausgabe sehr gern zurück, haben Wegbegleiter*innen des mosaik gefragt, an welche Texte sie sich erinnern, welche hängen geblieben sind – und präsentieren eine nicht repräsentative Auswahl auf den ersten Seiten. Nur original auf kariertem Papier (wie bei mosaik1). Viel Freude mit dem bisschen Nostalgie.

Wellengang oder Geflüster

Pia Schmikl – Ein Fisch kennt keine Angst vor dem Ertrinken
Georg Großmann – Altokumuli | Einige Pilzarten
Stefanie Nebenführ – Das Haus
Sigune Schnabel – Kindheit
Giovanna-Beatrice Carlesso – Der Hase rennt

dringende seelenstoffe

Elke Steiner – ich schenke dir mein natternhemd
Christina König – Gegenüber
Jimmy Brainless – Der Eiswürfel
Ronja Lobner – mein letzter rest

halb Wunschvorstellung

Leo Lemke – Der Wasserwandler
Signe Ibbeken – Kurz vor Glücksstadt
Hannah Beckmann – Dunkel, Linie, Dunkel
Vera Hohleiter – Fundstücke
Anja Bachl – Kaleidoskop

Kunststrecke von Ursula Wimmesberger
BABEL – Übersetzungen

Miklós Radnóti, geboren am 5. Mai 1909 in Budapest, war ungarischer Dichter jüdischer Abstammung. Sein Werk war beeinflusst von der tschechisch-ungarischen Avantgarde und dem französischen Expressionismus. Seine Tätigkeit als Handelskorrespondent im Unternehmen seines Onkels legte er 1930 nieder, um Ungarische
und Französische Philologie zu studieren. Im selben Jahr veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband ‚Pogány köszöntő – Heidnischer Willkommensgruß‘.

Der zweite Gedichtband wurde aufgrund des Vorwurfs der Obszönität verboten und brachte ihm beinahe eine Haftstrafe ein. In den frühen 1940er Jahren wurde er zur Zwangsarbeit eingezogen und schließlich nach Bor im heutigen Serbien deportiert. Bei einem Gewaltmarsch Anfang November 1944 kollabierte er nahe der österreichisch-ungarischen Grenze und wurde mit 21 anderen Mithäftlingen hingerichtet. Sein Leichnam konnte später in einem Massengrab identifiziert werden. Bei sich trug er ein Notizbuch mit seinen letzten Gedichten. Darunter den hier vorliegenden Zyklus ‚Razglednicák‘.

Miklós Radnóti – Homály / Dämmerlicht
– Két karodban / In deinen Armen
– Razglednicák / Razgledinicen

[foejәtõ]

Wo findet (denn eigentlich) Literatur statt? Im Kulturteil setzen sich diesmal gleich mehrere Texte mit möglichen, neuen und sinnstiftenden Orten der Literatur, von Lesungen, von Gesprächen über Kunst auseinander: Raoul Eisele bewandert den urbanen Raum, Hartmut Hombrecher und Martin Peichl beleuchten jeweils innovative Ideen und Umsetzungen von unabhängigen Lesereihen, Stefanie Stegmann berichtet im Interview von ihrer zwischen/miete – Lesungen in WGs!

Kreativraum mit Friedrich Rücker

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23 | Martin Peichl

wenn jemand stirbt, soll man alle Spiegel verhängen,
damit sein Geist nicht gefangen wird im Glas,
dann bleiben sämtliche Uhren im Haus stehen,
die Zeiger und die Ziffern zucken, schweigen,
man soll die Fenster weit aufmachen, auch im Winter,
der Beginn einer langen Reise, wenn jemand stirbt

im Kühlschrank liegen jetzt andere Produkte,
ist nichts mehr am selben Platz, und die Zimmer
sind ein paar Zentimeter nach außen gewachsen.
wenn jemand stirbt, wird es Zeit für neue Rituale:
am Fünfundzwanzigsten lege ich den Adventskranz
auf dein Grab und wenn genug Schnee liegt,
schaut nur mehr die höchste der vier Kerzen raus.
jemand wird vorbeigehen, ein Foto machen,
eine Geschichte dahinter vermuten, vielleicht

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Martin Peichl

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freiTEXT | Martin Peichl

Gespenster zählen

(erste Postkarte)

Das Unheimliche ist die Wiederkehr des Vertrauten in einer neuen Verkleidung. Jedes Laken verwandelt sich, wenn lange genug nicht gewaschen, in ein Gespenst.

Das Erste, wonach meine Augen beim Einchecken ins Hotel suchen, sind die Notausgänge. Mich fasziniert, mit wie viel Optimismus die Fluchtwege beschrieben sind. Mit wie wenigen Adjektiven die Anweisungen auskommen.

Vielleicht gehörst auch du zu den Menschen, die davon träumen, in einem Hotelzimmer zu sterben, beleuchtet vom kühlen Licht der Minibar, bis dich jemand vom Zimmerservice findet. Das weiß überzogene Bett eine Einladung, eine Bühne für noch nicht erfundene Opferrituale.

Ich ziehe den Vorhang zur Seite, kippe das Fenster. Gespenster radieren an der Gegenwart, machen das Papier, aus dem sie gemacht ist, ganz dünn, indem sie Vergangenes wiederholen. Das nennt man Spuken. Ob die Menschen, die nach mir dieses Zimmer belegen, wissen, dass es sich um einen Tatort handelt?

Direkt unter dem Fenster flackert eine Straßenlaterne, Morsezeichen vielleicht. Welcher Code, wie viele Fingerabdrücke entsperren mittlerweile dein Handy, will ich wissen, und bin mir sicher, dass du nicht rangehen wirst, wenn ich deine Nummer wähle. Mein Name auf deinem Display – das Letzte, mit dem du gerechnet hast, heute Nacht.

Also gehe ich duschen, trage Parfum auf, steige in den Lift, verwandle mich in leichte Beute.

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Martin Peichl

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freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
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01 | Martin Peichl

Ständiger Verlust an Materie

Kometen, erzählst du mir, während draußen der erste Schnee fällt, verlieren mit der Zeit ihre Helligkeit. Sobald sie sich der Sonne nähern, werden Gase und Staub aus ihrem Kern freigesetzt, vom Sonnenwind weggeblasen und gehen unwiederbringlich verloren.

Alle 75,3 Jahre zieht der Halleysche Komet durch unser Sonnensystem, seine nächste Wiederkehr wurde für das Jahr 2061 berechnet. Ich überlege, wie alt ich dann sein werde, wie alt du, ob es uns noch geben wird, verrechne mich wahrscheinlich.

Noch am Anfang des 20. Jahrhunderts, sagst du, haben die Menschen sein Auftauchen als schlechtes Omen gedeutet, haben sie auf einen ganzen oder zumindest halben Weltuntergang vorbereitet, vor allem in den Städten hat dies zu mehrtägigen Trinkgelagen, zu Orgien geführt, ein wenig so wie Silvester 1999, als viele geglaubt haben, es ist vorbei, weil sie ihre Videorecorder nicht mehr programmieren konnten, ungefähr so soll ich mir das vorstellen.

In den Katastrophenfilmen, mit denen wir aufgewachsen sind, gibt es immer eine Person, die versucht die Regierung rechtzeitig zu warnen, aber natürlich reagieren die Verantwortlichen nicht oder zu spät, und es gibt immer auch eine Lovestory, ein Mann und eine Frau, die sich inmitten der Katastrophe gegen alle Widerstände finden, vielleicht sogar gemeinsam die Welt retten. Sie leiden nicht wie der Halleysche Komet, sie leiden nicht wie wir am ständigen Verlust von Materie, sie erstrahlen kurz bevor die Credits rollen noch heller als am Anfang des Films.

Später dann im Bett greife ich nach deiner Hand, schließe die Augen. Und wie jede Nacht verwandelt sich die Welt vor unserem Fenster in eine Schneekugel und wir warten: auf das nächste Schütteln.

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Martin Peichl

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mosaik31 - und jetzt raus hier

mosaik31 - und jetzt raus hier

Frauen mit Geld
  • Martin Peichl – Männer ohne Eigenschaften
  • Hera R. Blau – Zwei Bier und wir
  • Kanella Baleka – Tommy, Montag 11:00, Musikkonservatorium
  • Kerstin Nethövel – Explosionen
Platz am Rand
  • Patricia Büttiker – Short Pieces
  • Bülent Kacan – Agitatoren und Abgründe
  • Angelika Brünecke – Unsicherbar
  • Michael Pietrucha – „Hajastan“ – oder Die Armenischen Miniaturen
Schwitzwässer nachts
  • Susanne Huck – Gottfried hat schon wieder was angestellt
  • Jochen Weeber – Badewannen
  • Paul Jennerjahn – vernissage, winter
Kunststrecke von ISIPAINTING
BABEL – Übersetzungen

Unsere Affinität zu slawischen Sprachen rührt nicht von irgendwo her: Seit den Anfängen unserer Arbeit als Zeitschrift kamen wir des Öfteren mit Autor*innen in Berührung, die östlich der Salzach ihre ersten literarischen Schritte unternahmen und mittlerweile in Ländern wie Slowenien, Tschechien oder Serbien feste Größen in ihren heimischen Literaturszenen sind. So wie etwa der preisgekrönte und in dieser Ausgabe von BABEL vertretene, slowenische Dichter Uroš Prah, mit dem uns auch das Zeitschriftenwesen verbindet (Uroš war jahrelang Redakteur der in Slowenien äußerst populären Literaturzeitschrift IDIOT). Daneben schätzen wir sehr die Arbeit von Übersetzer*innen wie Patrick Valouch, der nie müde wird, uns die spannendsten neuen Autor*innen aus Osteuropa in eigener Übersetzung vorzustellen. Dass sich in dieser Ausgabe ein Holländer eingeschlichen hat, sei jetzt mal dahingestellt – auch Holland liegt ja schließlich östlich vom Meer.

  • Karel Jan Capek – Mrtví na lovu / Die Toten auf der Jagd (Tschechisch)
  • Volha Hapeyeva – жыву […] / Ich wohne […] (Belarussisch)
  • Katsjaryna Makarewitsch – мора? / das meer? (Belarussisch)
  • Uroš Prah – jutro ob bazenu / Ein Morgen am Pool (Slowenisch)
  • Arnoud Rigter – Ding van dons / Ding aus Daunen (Niederländisch)
  • Uroš Miloradović – Svaka stolica […] / Jeder Stuhl […] (Serbisch)
[foejәtõ]

„Lyrik ist unproduktiv“ titelt Lisa-Viktoria Niederberger in ihrem Leitartikel des neuen [foejetõ]. Welche gesellschaftspolitische Kraft Lyrik hat – und was deren Aufgaben sind – darüber spricht Tristan Marquardt im Interview über die Festivals Fokus Lyrik und ULF, das Unabhängige Lesereihen Festival. Und dann stellt uns Jonas Linnebank die Literaturszene von Köln genauer vor – inklusive Fleischhammer.

Kreativraum mit Katherina Braschel

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05 | Martin Peichl

Alte Landkarten

wenn die U-Bahn einfährt und unser Leben zu einem Windkanal wird und bellt: über den Zaun springt fast

ein Wald aus gelben Haltegriffen, der orange Mann mit dem orangen Kind, die Sitze rot: eine Alarmstufe / und das Essverbot, das wir auf uns beziehen

was wir alles in die Postkästen im Stiegenhaus stecken (aus den Augen, aus dem Sinn), als könnten wir hinter den geschlitzten Fächern ein ganzes Leben wegsperren

(ich: der Nachbar, den es nicht mehr gibt)

in meiner Hand: nichts, nur deine Hand oder der Schatten einer Hand (was ist der Unterschied, hier: im Winter)

wenn der Schnee Wurzeln schlägt in deinen Haaren

woraus Zeit gemacht ist: wir wissen es nicht, aus alten Dias und Projektoren, die nicht mehr funktionieren vielleicht / ein Wort, das wir einer Bewegung geben, deren Richtung wir nicht verstehen / und jedes Mal, wenn wir ein Foto machen, einen Moment festhalten, verlieren wir: ein paar Sekunden nur, sie summieren sich: werden zu Halden

(ganze Tage, die wir im selben Türrahmen verbracht haben, auf die nächste Katastrophe wartend)

und zurückbleibt: eine leere Schneekugel, ein Schütteln

die Buchstaben hängen über den Stühlen, liegen auf der Couch und auf dem Tisch gleich daneben, zum Teil auf dem Parkettboden verteilt

jemand muss die Wörter zerstückelt haben, während wir geschlafen haben (ich schaue auf meine Finger: kein Blut, das eingetrocknet unter meinen Nägeln wartet)

deine Jalousien: sie klingen wie alte Landkarten, gegen die Faltlinien zusammengelegt und im Handschuhfach verstaut / aus dem Wasserhahn tröpfelt: die vorletzte Jahreszeit

jemand hat die Stadt mit Nebel eingerieben und wir: haben kein Alibi

 

Martin Peichl

 

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freiVERS | Martin Peichl

Orpheus in Tschernobyl

/1/
an sonnigen Tagen, bei ausgeschaltetem Licht
sind im Reaktor von oben herabfallende Lichtsäulen zu sehen
der Sarkophag: ein Leichnam, der noch atmet
Menschen, die sich in Kraftwerke verwandelt haben
(als sie sterben, wird das Krankenhaus renoviert)
ihre Körper: zerfallen (ein lauerndes Leuchten in ihren Augen)

/2/
eine Katastrophe der Zeit
ein noch ungedeutetes Zeichen
die Zerstörung des normalen Lebens
was bleibt: eine lebenslange Vorsilbe
unsichtbar, lautlos, ohne Geschmack
Radioaktivität, die sich nach Körpern sehnt

/3/
der kollektive Suizid der Feuerwehrleute
sie betreten eine undurchschaubare Welt
begraben Erde: in der Erde
für ein Leben im bankrotten Raum
Dinge und Landschaften ohne Menschen, Wege ins Nichts
ein Besetztzeichen, das in den Telefonleitungen pocht

/4/
etwas Unsichtbares liegt auf der Erde
und kriecht hinein
hängt in der Luft, in den Straßen
sie sagen: Dunkelheit ist nichts anderes als
die Abwesenheit von Licht
eine Substanz mehr, die wir nicht verstehen

/5/
Menschen, die wie Sandsäcke
auf den Reaktor geschleudert werden
sie waschen die Häuser
sie kämpfen mit Schaufeln gegen das Atom
sie werden sterben: den Tschernobyl-Tod
DAS IST KEINE ÜBUNG

/6/
die Kinder spielen:
nicht EINKAUFEN oder SCHULE,
sie spielen KRANKENHAUS
und wenn die Puppen sterben
werden sie mit einem weißen Tuch bedeckt
(und das Spiel beginnt von vorne)

/7/
Tschernobyl ist eine Mondlandschaft
ein Museum ohne Eintrittskarten
niemand hier braucht Science-Fiction
die Menschen haben sich in Astronauten verwandelt
in wandelnden Staub
ihre Tage sind Mondlandungen (ohne Fernsehübertragung)

/8/
wir haben Angst: vor Schnee,
vor dem Wald, Angst vor den Wolken,
vor dem Wind, vor der Physik,
in die wir verliebt waren
(wenn die Menschen weg sind,
vergeht auch die Zeit anders)

/9/
die Sperrzone als Magnet
wir stehen vor einer Kulisse
wir fotografieren (etwas stimmt nicht mit der Belichtung)
haben die Apokalypse im Sonderangebot gekauft
wir zahlen SARGGELD: eine Entschädigung dafür,
dass wir leben

 

Martin Peichl

 

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mosaik29 - neutral wie üblich

mosaik29 - neutral wie üblich

Fernreisende
  • Christiane Quandt – Chak Mool
  • Daniel Klaus  Angeln
  • Paul Jennerjahn  fensterstudie
  • Thomas Ballhausen  Stormy Miranda
  • Anne Laubner  so gut wie wir
Artgenossen
  • Anne Martin  sanft
  • Christoph Schwarz  Der Kanzler
  • Camilla Schütz  manchmal wird es wenigstens abend
  • Knut Birkholz  Ausflug
  • John Sauter  Flaggen
Vierzehn Fremnde
  • Martin Peichl  Evolution
  • Gloria Ballhause  Rendezvous mit Vogel
  • Thordis Wolf  48komma3 gigabyte du
  • Thyra Thorn  Kakerlake
  • Stefanie Schweizer  Nachricht nach dem Tonsignal
  • Katherina Braschel  Die Wippe als Metapher für einen Früchstücksgedanken.
Kunststrecke von Vanessa Steiner
BABEL – Übersetzungen
  • Jerzy Jarniewicz – Drzwi zamyka kto ostatni / Der Letzte schließt die Tür (aus dem Polnischen von Michael Pietrucha)
  • Camelia Iuliana Radu – Îmbrățișare / Umarmung (aus dem Rumänischen von Manuela Klenke)
  • Alen Besic – Poezija nastaje / Die Poesie entsteht (aus dem Bosnischen von Jelena Radovanovic)
  • Peter Spafford – People with kids / Leute mit Kindern (aus dem Englischen von Matthias Engels)
Kolumne
  • Peter.W.: Das halbe Glas, Hanuschplatz #17
Rezension
  • Andreas Neuhauser – „Das Problem mit der Geschichte“ (Rezension BELLA triste #53)
Zeitschriftenschau
  • Josef Kirchner: Dadasophie & Deutschland
Interview
  • Marko Dinić – „Lyrik für 1354 Menschen“
    (Interview mit Daniela Seel vom Verlag kookbooks)
Kreativraum mit Zoltán Lesi

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mosaik28 – Dass alles immer weitergeht

mosaik28 – Dass alles immer weitergeht

INTRO

Dass alles immer weitergeht, dafür braucht es viele Dinge: Als erstes bedarf es Autor*innen und Künstler*innen, die etwas zu sagen haben und dies auch im Format einer Zeitschrift wie der unseren tun möchten. Dann braucht es Menschen „hinter den Kulissen“, die dafür sorgen, dass die Beiträge gesichtet, diskutiert, ausgewählt, zusammengestellt, korrigiert, grafisch aufbereitet und in ein Gesamtkonzept gebracht werden. Es werden Mails geschrieben, Telefonate geführt, Pläne geschmiedet, zwischendurch verworfen und am Ende doch irgendwie eingehalten. Es braucht Räume, die in diesem Prozess vereinnahmt werden (siehe Kreativraum auf der letzten Seite), Ideen, Ziele, Visionen und auf dem Weg dorthin auch einige Kompromisse.

Es braucht Menschen, die für das Ergebnis brennen, die die Zeitschrift lesen, andere dazu ermutigen, es ihnen gleichzutun. Menschen, die uns auf vielfältigste Weise unterstützen. Und es braucht (in einer Welt wie dieser: natürlich) auch Geld.

Ehrlicherweise muss man sagen: Es braucht verdammt viel Geld. Und es braucht verdammt wenig Geld. Je nachdem, wie man es betrachtet. Wenn man mal ehrlich kalkuliert (siehe Seite 2), merkt man schnell: Eine Zeitschrift wie diese ist kaum bezahlbar. Wir sind vor acht Jahren allerdings mit einer Mission gestartet: Literatur für die, die sonst weniger oder kaum oder keine Literatur in die Hände bekommen. Darum war und ist die Zeitschrift mosaik kostenlos erhältlich.

Wer wissen möchte, wie das möglich ist, kann sich auf Seite 2 die Kalkulation ansehen, die Logos der Fördergeber darunter betrachten und hier im ersten Absatz nachlesen, welche Arbeiten alle unentgeltlich geschehen.

Warum wir das schreiben?
Ob wir Mitleid wollen? Bitte nicht. Wir haben ein unfassbares Privileg, etwas machen zu dürfen, das uns begeistert.

Ob wir Geld wollen? Wenn uns jemand unterstützen möchte, freuen wir uns natürlich sehr. Das ist allerdings kein Spendenaufruf oder Ähnliches. Nicht alles, was einen Wert hat, muss auch einen Preis haben. Es geht uns schlicht um Bewusstseinsbildung. Wir sind nur ein Beispiel von vielen. Neue Zeitschriften entstehen (siehe Seite 69), andere verschwinden, einige begleiten uns weiterhin auf unserem Weg. Wir leben in einer Gesellschaft, die Dinge mit einer Zahl und einem Währungssymbol dahinter verbindet. Diese Zahl für das mosaik einmal aufzuschreiben ist ein erster Schritt in Richtung Transparenz.

euer mosaik

Inhalt

Die alleinige Regie
  • Katharina Körting – Großer Bahnhof
  • Stefan Heyer – Januar
  • Simon Stuhler – Charms
  • Konstantin Arnold – Mammon
  • Katharina Wulkow – Hotelstaub
Zu zart zum Schlagen
  • Marina Büttner – Der Mantel
  • Sophia Fritz – Die sieben Totsünden
  • Harald Kappel – Bang Bang und das ganz normale Glück
  • Mascha Schlubach – Die Mutter
  • Sonja Gruber – Kindheit am Bauernhof
Sicherheitsdienstleistungen
  • Steffen Kurz – Abschluss
  • Johanna Wurzinger – Leumundszeugnis
  • Magdalena Sams – Die Insel / Verhagelte Bananen
  • Lisa Gollub – Siebensachen
  • Marianna Lanz – bienenfleißig
  • Svenja Reiner – Friedrichsblau
Kunststrecke von Mark Daniel Prohaska
BABEL – Übersetzungen
  • Alexander Estis (Übersetzung) – Pirozhki (anonyme Internetgedichte)
Kolumne
  • Peter.W.: Ich habe ein Problem!, Hanuschplatz #15
Zeitschriftenschau
  • Felicitas Biller – „Zwischenräume sollen bewohnt werden“
Buchbesprechung
  • Lisa-Viktoria Niederberger – Beziehungsstatus: Wertvoll (über: Martin Peichl – Wie man Dinge repariert)
Interview
  • Marko Dinić – „Da uns vieles reizt, übersetzen wir alles.“
    (Interview mit Helmut Ege vom Versatorium)
Kreativraum über das Basislager Hüttenberg

23 | Martin Peichl

Wie man Dinge repariert (Auszug)

WEIHNACHTEN – das ist verkatert den Zug ins Waldviertel verpassen und zwei Stunden lang auf den nächsten warten. Es ist kurz nach Mittag, die Geschäfte am Hauptbahnhof haben noch offen. Ich überlege mir ein Bier zu kaufen, aber dann fällt mir ein, was du dir von mir zu Weihnachten gewünscht hast, also setze ich mich auf eine Bank und öffne meinen Laptop. Irgendwo nach Tulln ist ein Baum auf die Schienen gestürzt. Ich muss die S-Bahn nach Absdorf-Hippersdorf nehmen und dann weiter Richtung České Velenice. Ich will dir 3 FUN FACTS über Absdorf-Hippersdorf schicken, aber eine schnelle Internetrecherche ergibt, dass es nicht einmal 1 FUN FACT über Absdorf-Hippersdorf gibt.

Die -30-Prozent-Schilder in der Auslage sind genauso rot wie die -50-Prozent-Schilder, sind genauso rot wie die -70-Prozent-Schilder. Es wäre besser, denke ich, wir würden uns alle selbst Rabattschilder umhängen, das würde vieles erleichtern, wenn ich mir zum Beispiel ein -30-Prozent-Schild umhängen würde, das wäre ehrlich, weil 100 Prozent zu verlangen, wenn man genau weiß, dass man selbst keine 100 Prozent geben kann, ist dreist, ist auch irreführend, ist schlichtweg Betrug. Und je nach Lebensphase oder Situation könnte man die Rabatte auf das eigene Ich anpassen. In der Bar nach dem vierten Bier zum Beispiel könnte man mit dem Preis noch weiter runtergehen. Oder, wenn man ausnahmsweise mal ausgeschlafen ist, ein wenig rauf. Angebot und Nachfrage würden sich ganz natürlich selbst regulieren. Und zu Weihnachten dann Ausverkauf, runter mit den Preisen, ALLES MUSS WEG.

Es ist eine seltsame Zeit mit dieser Endjahresstimmung direkt unter der Haut, wenn die Listen im Kopf ganz schwer werden und die Gedanken einstürzen wie Schneehöhlen, wie Vanillekipferl-Bruchstücke hineinbröckeln in deine Wahrnehmung und aus dir rausbrechen in Form von sentimentalen Ungenauigkeiten. Ich überlege, dir das zu schreiben, immer überlege ich, dir zu schreiben, aber du bist nicht alleine, du bist besetzt, bis ins neue Jahr hinein. Stattdessen schreibe ich ein paar Listen für dich: die 10 schönsten (alternativ: die 10 schirchsten) Hauswände, gegen die ich dich gedrückt habe. Oder: die 10 Momente, in denen ich Angst gehabt habe, es könnte dich jemand schwängern (alternativ: die 10 Momente, in denen ich Angst gehabt habe, du könntest ein Kind wollen von mir).

Länger schon schreibe ich an einer Liste mit Wörtern, die wir betrunken besser aussprechen können als nüchtern. Deine Nummer 1: BINDUNGSHORMONE. Meine Nummer 1: KURZFRISTIG. Die Liste ist WORK IN PROGRESS, und wärst du jetzt hier, würdest du sagen, weil alles für mich WORK IN PROGRESS ist, auch unser Verhältnis, unsere Fast-Beziehung oder unsere Manchmal-Beziehung oder was auch immer das ist, was wir uns da einbilden. Du hast ja recht: alles WORK IN PROGRESS, vor allem das eigene Ich. Und egal an wie vielen Leben ich mich parallel versuche, kein einziges davon habe ich im Griff. Und ich will dir schreiben: Schau, ich weiß nicht, wer du für mich bist, aber ich weiß, dass niemand so schön das Wort SCHNAPS ausspricht wie du.

Martin Peichl

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen:

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