freiVERS | Manon Hopf

auch das von andren
tieren lernen: das wort
so lange im mund halten
bis es sauer wird
und dann ausspucken

 

von andren tieren lernen:
befehle ignorieren
langsam sein
arbeit verweigern
streiken
außerplanliche pausen erzwingen
equipment zerstören
auch gehege
steine schmeißen
zurückschlagen
ausbrechen und wegrennen
alles in abfolge oder
zur gegebenen zeit

 

und von anderen tieren
das lachen lernen weil jeder verstandene
witz eine kerbe schlägt
einen haken fährt
auf der zunge:

menschen sind häßliche
vögel

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Manon Hopf

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10 | Manon Hopf

Wir sind drei oder vier. Am Meer fällt kein Schnee, wir pusten ihn aus den Feldern, wechseln unsere Verortung. Wir sind ein Wald, in unserem Blick wohnt ein Kreis. Dort fällt eine Flocke, landet. Auf der Zunge ist sie nichts. Auf der Haut, im Fell bleibt sie als Zuneigung. Als Menschen stehen wir ungerade, haben einen Hang zur Erde.  Als Tiere sind wir gleichauf, wie überliefert, weithergebracht. Sind eine Erzählung, ihre Worte lecken wir uns ins Fell. Da überwintern sie.

Wenn eine ausfällt trauern wir. Dann ist wir eine weniger. Dann suchen wir uns etwas aus. Es gibt ein Spiel, das heißt, uns einen Schatten holen. Der Schatten wächst. Wenn er größer wird als wir, dann müssen wir ihn abhängen. Das heißt, wir rennen davon. Teilen ihn auf. Wir teilen uns nie, aber der Schatten wird kleiner, wenn er zerrissen ist. Bleibt hängen im Gestrüpp. Von dort zieht er in Fetzen in die Erde.

Einmal im Jahr kommt der Schnee. Wenn er nicht kommt, werden wir nicht älter. Älter werden heißt, Schatten im Boden vergraben. Dann legt sich der Schnee darauf und man vergisst. Wir vergessen nicht. Wir haben gelernt, dem Schnee zu danken. Danken heißt, etwas zurückzugeben. Einmal im Jahr bleibt eine liegen. Einmal im Jahr kommt der Schnee. Wenn er nicht kommt, liegt eine umsonst.

Umsonst ist immer zu wenig. Zu wenig heißt, dass man sich etwas nehmen muss. Wir nehmen uns etwas vom Mann. Es geht immer sehr schnell. Etwas Lebendes bleibt in den Händen, wenn man es hat. Dann schieben wir es uns in den Bauch, setzen uns fest. Wunden lecken heißt auch, die große Narbe trösten, wenn sie weint. Dann kommen wir aus uns selbst.

Wie es ist, sich selbst im Arm zu haben. An den Brüsten. Wir jaulen, wenn wir Hunger haben. Wer Hunger hat der isst. Was essen, wenn es nichts gibt als uns selbst. Am Waldrand stehen Augen. Ein andres Spiel heißt, wer sie schneller schließen kann. Liderlecken, unter den Lefzen Träume. Der Schlaf kommt immer aus dem Bauch.

Sich nur den halben Schlaf holen. Ein Auge immer halbauf. Das hat der Mond uns ins Gesicht gemalt. Wir lecken ihm ein Loch in die Stirn. An irgendwas muss er sich aufhängen können. Wie wir, wir hängen in den Bäumen. Die am längsten hängt, verliert. Es kracht wenn man sich an die Beine hängt, wie Äste. Ein Baum hat mehr als ein Genick.

Wie schwer der Schnee im Rücken liegt, das weiß der Frühling. Wie wenn man aus der Erde kommt, nur blau. Mit blauen Lippen kann man besser singen, sagen wir. Wir schütteln unsere Wörter ab wie Schnee. Mit vollen Händen trinken wir sie wieder auf. Stecken uns Zapfen rein. Was kalt auf der Zunge liegt, stillt einen Durst. Ob er gelöscht wird liegt an unseren Worten.

Was sprechen, wenn der Durst nicht sterben will beim Trinken. Wie nennt man eine Angst die nicht vergeht, wie ein Verlangen. Wir sagen nichts, wir gehen durch die Zeit. Kann süß sein, das kann Nacken brechen. Die Zeit findet in uns dann einen Ort, sie findet statt. Wir wissen zu vergehen. Vor Hunger, Kälte, vor Wald. Wir wissen auch, wie man sich weitergeben kann, verwandeln. Einmal im Jahr kommt der Schnee. Wenn er nicht kommt, werden wir kälter.

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Manon Hopf

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20 | Manon Hopf

WENN DIE MÜTTER ZU
frieden sind
kochen sie
richten sie
den Teig
und rollen die Finger
in die Füllung
dort liegt die Hand
im Bauch
sie brauchen sie dann
nicht an der Waffe
sondern im Gewicht

 

Manon Hopf

 

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freiVERS | Manon Hopf

UNTER UNSEREN Atem ein
Ziehen, wir hechten mit
den Bächen ins Moor
dort asten wir
unter den Bäumen liegen
unsere Beine wie
Wurzeln nach einem
Sturm aus den Röcken
gehoben heben wir den Schritt
in die Luft, tragen
am Waldrand das Gesicht
auf den Schenkeln

 

Manon Hopf

 

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12 | Manon Hopf

HABEN UNS GEDACHT in die Berge da steht im Hang der Schnee und schläft bis wir ihn wecken mit hellen Stimmen seinen Groll ziehen auf uns er folgt uns bis in die Täler

haben uns gedacht in die Berge da steht im Wald ein Auge es zuckt ist ein Rennen in Korridoren die unsere Stimmbänder gezogen haben zwischen die Bäume

haben uns gedacht in die Berge die tragen den Winter wie ein Kissen unterm Bauch es dämpft unser Stürzen stützt die herabfallenden Hände überm Rücken auf dem Grat

haben uns gedacht in die Berge die sind ein großer Kopf am Horizont mit wachen Augen er denkt uns sieht uns holt uns mit leisen Blicken in die Hänge dort knien wir im Schnee und haben nur kurz das Gehen vergessen

Manon Hopf

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freiTEXT | Manon Hopf

wir haben noch den Schwindel einer Reise in den Beinen als wir schon im Feld stehen, aus dem tiefen Wein Erinnerungen ziehen die noch nachts in unsren Hosen halten, wüste Klettenköpfe sind am Schienbein, in den Kniekehlen ein Ziehen, Beugenwollen, wir sind groß geworden auf den Wegen senken wir die Blicke, suchen unsre Erde, unsre Gräser zwischen Kieselsteinen, Schotter, die Augen, die den Händen näher waren, jetzt ein Kopfumblicken sind, ein Sehen ohne Hand und Fuß, die Landschaft einsortierend, Nutzen, Schönheit die ein Nutzen ist der malträtierten Seelen, sie lassen sich scheuchen vom einsilbigen Kirchturmläuten durch die dünnen Gassen wächst ein Holzgeruch, im Ofen liegt die Ruhe einer schwarzen Nacht, die mit uns in dicken Jacken auf der Dachterasse sitzt, sich nach dem weißen Rücken streckt des greisen Mont Ventoux

Manon Hopf

freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
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mosaik26 – ich bin keine pflanze

mosaik26 – ich bin keine pflanze

INTRO

„denken sie darüber nach wie es ist
ohne frau zu leben“
– Steffen Kurz (S. 20)

Dieser Tage kam eine Frage auf uns zu: Sag, liebes mosaik, wie hältst du’s mit dem Gendern? Und wir waren etwas überrascht – nicht über die Frage, sondern darüber, festzustellen, dass wir noch nie im Team darüber diskutiert oder aktiv darüber nachgedacht haben. Seit wir uns erinnern können ist der Asterisk da, als wäre er eine selbstverständliche Gegebenheit, wie der Umstand, dass wir nicht auf Kunststoff sondern auf Papier drucken (was wir im übrigen auch nie diskutiert haben).

Kritik an dieser Praxis kommt dieser Tage nicht nur von den Eh-scho-wissen, sondern zum Beispiel auch vom Wiener Philosophen Robert Pfaller, wie er es u. a. in einem Interview mit dem Standard formuliert hat: „Eine Kunstsprache zu verwenden, also zu ‚gendern‘ oder ein Binnen-I einzufügen“, scheint ihm nicht der richtige Weg, „man klingt dabei schnell nicht mehr wie ein vernünftiger Mensch.“ Und er markiert das Gendern als eine Form, sich über eine andere Gruppe zu erheben. Womit wir schnell bei einer Frage sind, die uns in Wellen immer wieder beschäftigt: Was kann/soll Kunst/Literatur im gesellschaftlichen Zusammenhang?

Wir verstehen uns auf einer Mission, Literatur zugänglich zu machen. Doch was bedeutet das? Ist es Aufgabe der Kunst, sich mittels Simplifizierung (über die Themen, Wege und Mittel) neuen Bevölkerungsschichten anzunähern oder ist es Aufgabe der Gesellschaft (des Staates?) Initiativinteresse für Kunst zu schaffen? „Man muss Kultur zu den Menschen bringen“ ist ein häufiger Schlachtruf, der in Sozialprojekten in sogenannten „Problembezirken“ endet und damit genau jene Überheblichkeit zelebriert, die auch Pfaller ankreidet.

„Sei unbesorgt: Von den hundert Namen,
die ich trage, ist kein einziger
Eva“
– Marina Berin

Seid unbesorgt, liebe Leserinnen und Leser, liebe Lesende, liebe Leser*innen, wir geben uns nicht mit einfachen Antworten zufrieden. Dafür kann eine Antwort dann auch mal länger dauern. Vor allem dann, wenn man vom Hundertsten ins Tausendste kommt. Letzteres wünschen wir euch für die vorliegende Ausgabe.

Inhalt

elektrisches zirpen
  • Dagmar Falarzik: Aufziehender Sturm / Der Sturm / Nach dem Sturm
  • Erik Wunderlich: Liebes Dreifingerfaultier
  • Thomas Ballhausen: Stanze
  • Stephan Weiner: Buch vom Zweck
  • Ursula Seeger: Unwillkürliches Flattern. Teil 31: Feingefühl und Anfälligkeit von Maschinen für Unausgeglichenheit und Exzentrik
waldwerden
  • Steffen Kurz: eine blume zwischen zwei abgründen
  • Manon Hopf: Fangen
  • Fabian Lenthe: Sie verlassen mich
  • Michael Pietrucha: Oh. Philia und deine geteilte Pflege mit dem Leben
  • Martin Peichl: 1000 Tode
und du nur so. oh.
  • Barbara Marie Hofmann: wiegenlied [totenschaukel]
  • Marina Berin: Du bittest mich
  • Katherina Braschel: Der Dosenrost sagt den Kieselsteinen, sie sollen mir temporäre Cellulite an den Knöcheln machen. Oder was?
  • Dustin Young: bitte komm
  • Hannah Bründl: wenn wind
Kunststrecke von Dominika Ziober.Król
BABEL – Übersetzungen
  • Jacek Dehnel: Miasta Dalekie / Ferne Städte (aus dem Polnischen von Michael Pietrucha)
  • Enesa Mahmic: Blatusa (aus dem Bosnischen von Marko Dinic)
  • Tobias Roth: Firn / Neve di Primavera (ins Italienischen von Nicoletta Grillo)
  • Yevgeniy Breyger: Schöne Lagunen / Lagune Frumoase; Vorsicht / Atentie (ins Rumänische von Krista Szöcs)
Kolumnen
  • Peter.W.: High Noon an der Datumsgrenze, Hanuschplatz #14
  • Marko Dinic: Über das Plagiat, Lehengrad #5
Buchbesprechung
  • Josef Kirchner: „Buchstaben sind Schmutz auf Papier“ – Zeitschriftenumschau
Interview
  • Miss Tell und Miss Spell – Gespräch Franziska Füchls und Lisa-Viktoria Niederberger
Kreativraum mit Magic Delphin