freiVERS | Maja Loewe
SpiegelZeit
Erste Töne rauschen aus dem Gefieder eines Traums
Der sich vom stillen glasigen Grund erhebt, um das
Blinde Silber meiner Erinnerung ins Hell zu tragen
Seelenvogel, der in meinen Kopf/Raum einfällt
Mit wildem Flügelschlag; In meiner Kopfklangschale
Die Uhrzeittiere aus den Ecken treibt; Zeigerlose
Fraktale im Traumzeittiegel
Mäander des
Ich
Maja Loewe
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freiVERS | Anke Glasmacher
Der Preis
keine blühenden landschaften
die wurzeln braun
ihre namen hatte ich schon vergessen
bevor ich bezahlte
das auge in den staub geworfen
die stengel verfault
Anke Glasmacher
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freiVERS | Karl Stephan
Der Fenstersturz
Als P. sich aus dem Fenster stürzte geschah dies lang und wohl durchdacht
Drum schien auch, außer den Passanten, niemand so wirklich überrascht
„Nun, irgendwie war´s zu erwarten“, sagte man in der Nachbarschaft
„Ich fand sie immer etwas seltsam“, meinte Frau M. aus Stockwerk Acht
Begleitet von verstohlenen Blicken wurde P.s Leichnam weggebracht
Man sah hinab von den Balkonen, betroffen guckend, doch gefasst
„Sie hatte es nicht leicht, die Arme und so zu sterben – ekelhaft!“
Dann ging ein jeder weiterleben und was man eben sonst noch macht.
Karl Stephan
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freiVERS | Nora Sauer
Ohne Titel
Ich habe die Sonne gesehen
als es noch hell war.
Du hast die Katzen beschrieben.
Ich die Hunde.
Du fragst mich ob ich glücklich sei.
Ich betrachte die Türen deines Systems.
Ich habe durchgeschaut , mich hinter Vorhängen versteckt.
Du hast mich gefragt : Wie es so wäre mit der Sonne ?
Ich habe geantwortet : Es wechselt.
Und das Ende fragst du mich ?
Steht offen , Blau soll es werden sagst du und hältst vorsichtig meine Hand.
Nora Sauer
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freiVERS | Beate Ronacher
Never learn
not to love
Allerdings,
welche
Rolle spielt
die Einsamkeit
schon
heute
Beate Ronacher
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freiVERS | Andreas Schumacher
gestatten,
ich bin
oder
vielmehr eigentlich
lautet mein künstlername
rené nikolaus mollenkopf-kolbenhaupt,
erster und einziger sohn
der zürcher ballettchoreografin
dorothea henriette mollenkopf
und des berliner schauspielintendanten
heinrich von kolbenhaupt;
erwecker, erneuerer, vollender, eigenhändiger sensenmann
der totgeglaubten deutschen sprache (lyrik);
gottvater, sprachrohr, überheld
einer bereits heute bedrohlich nachdrängenden
erfolgreich-besonnenen generation
zweifelhafter schmalzumflorter weichwichsepigonen.
ich will
(und habe es tausendfach getan)
gedichte basteln
und zusammenklauen
aus alten
nur mir bekannten
lou reed- und
nick cave- und
neil young-
b-seiten.
ich will jurylyrik schreiben
und hauptpreisprosa
und ein büchnerstipendium will ich
für schön gewachsene schriftsteller,
förderfeuilleton fabrizieren,
stipendiatsstücke vom stapel lassen,
konfettigefeierte konsequent kontrollierte konzeptkonsenskunst,
und gewächshauslorbeeren will ich,
gewächshausloorbeeren und vorschnelle essayvorschüsse
von der wiege bis zur bahre,
eine ausgeprägte vitaliteratur zu schreiben ein leben lang!
den biobibliobabylobabybrabbelpreis BABA-abraham-brecht will ich und
den theodor-fontane-fötusförderpreis für teilfertige textfragmente und den
erich-fried-gedenkpreis für politische lyrik und den
ulla-hahn-gedenkpreis für apolitische lyrik.
ich will 250.000 signierte exemplare meiner gedichtsammlung verkaufen.
ich will eine grandios phänomenale gratisvollverteilung meines handgefertigten
goldfadengehefteten lyrikbändchens laubbläserblues
an alle vorhandenen haushalte,
speziell und gerade auch an jene,
die „eigentlich erst mal gar nicht so viel bock haben
auf poesie
oder gedichte
oder lyrik
oder balladen
oder poeme
oder wie das zeug sonst noch heißt“,
die kleine putzige bitte keine kostenlosen lyrikbände-kleberchen
auf ihren briefkästen und -schlitzen stehen haben
oder laubbläserblues? – nein danke!
und dass dann jeder doch gibt, was es ihm wert ist,
nämlich 30 euro oder eigentlich 100 oder mehr.
ich habe die dead kennedys gegründet
the clash gecastet
johnny rotten beraten
ich bin so punk,
ich kaufe mir den business
punk,
gebe der verkäuferin einen angepimmelten euro trinkgeld,
schneide das „business aus dem cover des „business
punk“ punk“,
schneide das „usiness“ aus „business“,
klebe mir „b auf die stirn,
punk“
setze mich bei penny auf die einkaufswägen,
kaue zungenverfärbendes schlumpf-haribo,
höre helene fischer
und
spucke
aus.
ich bin überhaupt so underground,
jules verne hätte an mir seine helle freude gehabt.
„voted biggest asshole and role model of the year”
ich will keine schokolade,
keine kreide fressen,
kein blatt vor den mund nehmen,
mich immerzu schön ausgeleuchtet ins rechte licht rücken.
ich will mich einhundertundeinfach klonen
und regie führen und die hauptrollen spielen
in the human centipede 4.
i got straight edge
i walk the line
ich bin der größte,
ich bin der geilste,
ich hab den längsten!
ich will durch die goethe-institute dieser welt backpacken,
eine lebensgroße goethe-pappfigur im sack
und in schöner regelmäßigkeit
ein loch in selbiger
auf höhe des anus
(darstellend einen anus,
den anus goethes)
per umschnalldildo penetrieren,
dazu verwurstend
unter einsatz eines flammenwerfers
till lindemannsche gedichtzyklen rückwärts rezitieren,
einfach, weil ich es kann,
weil’s, wenn ich es sage, kunst ist.
ich bin der heimliche autor
des benimmführers
ich geb euch gleich erregung öffentlichen ärgernisses,
ich schrieb den beziehungsratgeber
ich geb dir gleich nen trennungsgrund,
ich schmierte zusammen den unsterblich
dauerbrennenden
wühltischbestversumpfer,
das aus heutiger sicht mitunter etwas zähe
und stellenweise doch zu dick aufgetragene
wer zuerst kommt, malt zuerst –
bukkakische weisheiten zur jahrtausendwende.
ich bin reinhard schmälzle aus meinem
autobiographischen telenovelaroman
der dauerprobeabonnent.
i want to hold your hand
i want you to want me'
i want to lay you down in a bed of roses
i want it that way
i wanna be loved by you
i wanna be your dog
i want a new drug
i want to know what love is
i want to break free
i wanna be a hippie
i wanna be sedated
i want to ride my bicycle
i want to conquer the world
d.i.y.!
d.i.y.!
d.i.y.!
i want to start my own fanzine
ground my own selbstverlag
edit my own text+kritik sonderband
ghostwrite the reclam lektüre-schlüssel
to my railbreaking poetry collection
leavesblowerblues
i want to introduce a after me called poesiepreis
write autolaudatios
and then to verleih me the goethe-medaille –
ich habe die erde, gott und last but not least mich selbst
aus dem nichts geschaffen
(in genau dieser reihenfolge)
auf doppelbödige, dreifache, sechstausendfache
nicht-fache (nicht-)art.
wenn ich „schlecht“ denke,
vor meinem geistigen Auge,
in meinen Gedanken,
IN MIR DRIN –
implodiert das universum (fakt!),
nur ich bleibe dann übrig,
allein, enttäuscht von der welt,
aber – dankt es mir – ich denke
gottlob!
NIEMALS „schlecht“, zu
meinem
deinem
unserm
glück.
mann (48) überfällt bank und will beute
gleich auf sein konto einzahlen
ich will mir beim bachmannpreis
obercowboylike ein sofa
auf die bühne hieven
eigenhändig
mir oben ohne
working class
einen offenen bruch
lupfen
platz nehmen
schweiß verströmen
das publikum
in den ersten
32 sitzreihen
mit kontaminiertem
eau de toilette
bespritzen;
die flache hand
vorn in die hose
den strohhalm
rein ins
sangria-
eimerle!
preisgekrönte prollternative massenlyrik
ich i
will w
das a
a- n
lles, t
will i
das t
a- a
lles, l
und l:
zwar n
so- o
fort w
Andreas Schumacher
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freiVERS | Martin Reiter
Die Wellen schlagen gegen Steine, wie eine Faust gegen ein Gesicht
und so geht das immer weiter bis dann eins von beidem bricht
Und wir sehen nicht den Wald, weil das Ding voll Bäume ist
Die Wurzeln sieht man auch nicht gleich, weshalb man darauf gern vergisst
Wir kaufen Bomben für den Frieden, schlagen mit Kissen gegen Wände
verheddern uns im falschen Netz und reichen niemandem die Hände
Und vom Hören und vom Sagen bleibt das Eis doch ziemlich dünn
Darunter häufen sich die Fragen, die Frage ist nur kannst du auch schwimmen?
Und differenzieren und unterscheiden jeden Tag aufs neue - Sisyphos
Und ich weiß es fällt uns schwer, wir müssen runter von unserem Ross
Wenn wir am selben Boden stehen dann fällt uns plötzlich auf
dass dort drüben noch ein Turm steht, da sind ‘ne Handvoll Leute drauf
Wenn wir am selben Boden stehen dann fällt uns plötzlich auf
dass dort drüben ein Scheiß Turm steht, das Ding haben wir eigentlich gebaut
Und während das Wasser langsam steigt, schlagen wir uns die Köpfe ein
Und dort oben lachen die Geier, was könnte für sie besser sein?
Martin Reiter
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freiVERS | Susanne Rzymbowski
Unantastbar
bist du geworden
in den Jahren der Einsamkeit
die dich erfüllt
im Mantel von Stille
den auszuziehen
du nicht bereit
im Halten von Fragwürdigkeit
eisigem Tablett
der einen Antwort wartend
die nie gestellt
Susanne Rzymbowski
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freiVERS | Thomas Mulitzer
Eine Krume für die Vögel
Immer wenn ich
nicht schreibe,
bin ich unsichtbar
für meine Nachwelt,
also setz ich hier und da
ein Zeichen,
streue Krumen auf dem Pfad,
ein Spickzettel im Mauerspalt,
eine Botschaft auf obskuren Blogs,
ein Graffito hinterm Hochaltar,
ein als Leserbrief getarntes Manifest,
ein Brandzeichen am Arsch der Queen,
graublaue Bojen auf See,
und die Literaturwissenschaftler der Zukunft
werden Antiquariate durchforsten,
Recherchereisen unternehmen,
den Boden abtragen und Schatzkarten erstellen,
oh ferne Germanisten,
filzt meine Möbel und huldigt meinem Staub,
ich tu euch den Gefallen und schreib einen Reim
auf die Wand über meinem Klo,
oh Nobelkomitee, oh Akademie,
ich teile meinen Ruhm mit euch,
oh Gleichgesinnte, Schwärmer,
sammelt rege Raritäten
und riecht an meinem Schweiß,
oh zukünftige Biografen,
suchet und findet,
aber ich mach es euch nicht leicht,
ich wünsche viel Erfolg
bei der Jagd nach den
Meisterwerken
meines frühen Schaffens.
Thomas Mulitzer
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freiVERS | Nico Feiden
Heimkehr
Lasst uns heimkehren,
wie konnten wir uns so lange verirren.
Fern von Zuhause,
wissen wir nicht wo unsere Heimat liegt.
Nur in den Blicken der Kinder,
die uns mit Augen betrachten,
die wie Apfelblüten leuchten,
erkennen wir unsere Heimat wieder.
Lasst uns heimkehren,
solange sind wir fort gewesen.
Mir scheint es eine Ewigkeit
& all das Heimweh setzt die Segel.
Das Lachen der Welt,
nichts als ein nutzloser Gesang in den Städten …
Lasst uns heimkehren, in den Schoß der Kindheit,
zu Weinbergen & rebbewachsenen Hängen am ruhenden Fluss auf dem
der Fährmann seine Kreise zieht.
Auf die Wiesen unserer Jugend zu Malve, Klee & Nelken.
Lasst uns heimkehren, zu Burgen die auf Bergen über das Land thronen,
zu Fachwerkhäusern & efeubewachsenen Türmen,
über gepflasterte Straßen mit Weinflaschen stolpernd.
Lasst uns heimkehren, in die Zweifel unserer Jugend,
mit mutigen Schritten über Gräber, die uns nicht fremd sind
& die wir doch niemals gesehen haben.
Lasst uns heimkehren,
Ringsum ist alles still,
liebende Hände streicheln über Stirn & Haar,
schattige Räume von gebrochenen Sonnenstrahlen durchdrungen.
Der Gesang unserer Großmutter, mit Schlaflippen in wiegenden Träumen.
In Gesichtern spiegelt sich Staub.
Wir suchen richtige Dinge, an falschen Orten …
Das endlose Ringen nach Glück,
in der Heimat scheint es fast bedeutungslos zu sein.
Nico Feiden
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