freiVERS | Manon Bauer

fehlst du dem meer?
hat es dich nicht längst
vergessen weil du häuser
gebaut hast an land
und land gebaut hast
über dem wasser habt ihr
euch belogen als ihr sagtet
das seien eure brücken du
hast nicht damit gerechnet
dass jemand wasser baut
in die luft nur um dich
zu erreichen

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Manon Bauer

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freiVERS | Johanna Schmidt

Berührungen.

körper

Ich wälze mich in Gefieder fremder Körper,
halte mich warm in Räumen,
die nie meine gewesen sind.
Ich reibe mich an der Bettkante,
ziehe mir einen Splitter ein,
blute ins weiße Leinen
und frage mich,
ob der Fleck jemals wieder verschwindet,
ob wir nun Verwandtschaft sind.

Die Handflächen, die Finger
in Krater schieben;
zersplitterte Gebiete
überziehen nackte Körper
werden zu Unebenen,
ein zerkratztes Relief und du:
legst dich auf mich
und suchst und spürst und gräbst
beinahe alle Narben aus.

Deine Bewegungen radieren alle Schatten weg,
nicht einmal das Gegenlicht weiß
dich einzufangen

Ich würde dich gerne sehen,
wie du deine Initialen
in die Maserung
meines Rückens schnitzt.
Wie du die Härchen brichst,
gefrorenes Gras durchstreifst,
es auftaust
im ersten Frost.
Wie deine Muskeln versteifen,
verästeln, brennen,
bevor sie sich
in andere Richtungen strecken.

An bettwarmen Gesichtern
kaltgewordene Hände reiben,
Münder und Lippen nicht nur
für Unaussprechliches
brauchen
wir
uns noch
oder sind wir längst vergangene Ideen,
verheizt in schneeschwarzen
Winternächten?

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Johanna Schmidt

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freiVERS | Miriam Tag

prien, fuchs

erst schleiche ich mit großem abstand an dir vorbei,
mager und wachsam, mein struppiger pelz aufgerissen
von verwegenen streifzügen.

die erde duckt sich unter mir.

in meinem fell hängen die noch warmen reste des tages.
nun ist es nacht, und mein begehren, diese sanfte rote waffe,
dehnt sich über den gesamten körper aus.

ich bin bereit für ein erneutes kühnes spiel, ich bin bereit
für den riskanten moment, wenn ich im strahl deiner augen
erstarre, bloß, deinem blick ausgesetzt,

selbst beute bin

 

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Miriam Tag

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freiVERS | Anna Arning

dämmerung

da sitzt einer
bei seinem zelt am deich
der wartet
auf den untergang
der sonne

die wohlbehausten düssel
städter schlendern oben
radeln, rennen im letzten licht
allein, zu zweit, in gruppen fit
for fun, für’s business oder
einen nicht schlank genug
geratenen hund der kläfft
ins zelt und hebt sein bein
auf pappkarton steht danke
falls jemand doch mal dosen
oder pet-pfand oder ein paar
ausrangierte sneakers hinterlässt

da unten am rhein
bogen sitzt einer
der blinzelt zur sonne
und wartet
weiter

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Anna Arning

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freiVERS | Alexander Rall

Rheinlandschaft im September

Vor der Staffelei

Der leicht fallende Wind an einem kalten Septembertag
zeigt die Straßengesichter in seinem bläßlichen Blau
wie Papier auch die versprühten Farben

Eine Porzellankatze sieht mich lange an und ihr Besitzer
fürchtet ich würde sie mitnehmen ohne zu bezahlen

Die Tümpel und Kohleschlepper sind
in das gleiche bläuliche Licht getaucht
wie die Berge aus sortiertem Schrott
die Lastkähne und der Uferstein

Es scheint als sei auf diese Landschaft
eine Mündung gerichtet

Zwei Männer sitzen in einem geschlossenen Wagen
und trauen sich nicht nach draußen zu gehen
jemand anders bleibt im Dunkel seines Bürofensters
und ich zeichne die wirkliche Mündung seiner Waffe

Er fuchtelt mit ihr, als wisse er noch nicht
worauf er zielen solle, - vielleicht, denke ich
will er die Landschaft als ganzes zum Verschwinden
bringen
bevor sie ihn zum Verschwinden bringt

Der leicht fallende Wind läßt trockenes Laub blühen
und kleine Stückchen Dunkelheit
finden sich an den Flusssteinen, den Grabsteinen
die jemand zu ihnen ans Ufer geworfen hat
aus Achtlosigkeit oder aus Wut

Ich höre auf das Schlagen des Wassers
Segler schweben nah vor dem schwarzen Dom
fahren unter gezeichneten Brücken
in Farbpunkten, Strichen und dem zittrigen Licht
unterschiedlich bedeutender Zeichen

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Alexander Rall

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24 | Sigune Schnabel

Erziehung ist wie ziehen

Von Gott sollst du kein Bild machen.
Die Linsen verzerren seine Kanten,
verfärben die Schattierung im Gesicht.
Mutter steht
mit wehendem Handtuch
auf der Treppe.

Ich weiß von ihm
aus nebligen Geschichten,
suche im Gartenhaus
und zwischen Giersch.

Gib mir das Abendlied,
rufe ich,
damit ich dich besser verstehe.
Ich bin ein Erfinder.
Reiche es mir auf dem Silbentablett:
ein Klang überm Meer,
ein Wort,
das niemand kennt.

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Sigune Schnabel

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21 | Katharina Forstner

Beweisführung

Es ist bewiesen: Frankreich existiert
mit seinen Banlieues der großen Stadt,
wo grenadineverklebte Zungen weiche Worte schlingen,
das Trottoir bestreikt von Autos und Cafés.
Es existiert -  ich habe es gesehen –
wie meine Zehen unter schwarzen Socken
das Strafgesetzbuch
und die Einsamkeit.

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Katharina Forstner

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20 | Susanne Sophie Schmalwieser

kurven (Studie zum Ende einer Geschichte)

blätterspiegel
gold und braun dahingeschwunden
monatliche lippensteife stoff und haare
zuckerverklebt ein martinshorn
blau der mund macht mich strg+d. löschen
ist übung wie alles andere, der karlsplatz
zerrüttet vom geräusch eines stehenden helikopters in der luft

die strassen ausgestalten mit nur einem
hauch, das licht ist mir egal geworden
den teil eines geruches vernehmen und ihm bekanntschaft heucheln
und dann wieder weihnachten
wieder dejavus und das vergehen feiern
wieder einmal bin ich eine zu wenig
(eine zu viel)

du bist mir wie ausgedacht gewesen
einen winter und ein paar stunden lang
(immer ist es der herbst der mich menschlich spült)
einmal im jahr will ich tauber sein oder das wozu ich mich verstümmelt fühle
als hätte man den kopf falsch herum an die wirbelnerven angewebt
wenn mein bruder mich fotografiert finde ich mich hässlich und ihn einen verräter dass er mich zwingt zu sehen wie er mich kennt.
(das gesicht so verzogen als hinge ich schief)

ich zapple wie du; das tappen des fusses
sieh wie wir im selben
schatten wohnen oder einmal
wieder einmal kurz von gewohnheit geklebt
mich nicht lösen können. dich nicht
behalten ist übung wie alles andere
die halbe familie schreibt meinen namen anders
(im handy der tante ein Z erspähen wo ich es nie geschrieben habe)

wieder fast winter doch wärme gemessen (zu lange zu wahr)
wieder fast winter und ich bedenke die grossmütter ein glas sturm ein abend ein essen und so wohlsam verwirrt bin ich von dir gewesen, ein fiebriges kalt über meine finger

zwerchfellknoten; ich frage mich nicht mehr wer an mich denkt
was hat man mir abgeschnitten mit der nabelschnur
ausser einer mutter die mein räuspern nicht erkennt
oder die hinkende silhouette am ende einer strasse
ich störe mich erst seit ich an meiner hässlichkeit gezweifelt habe
das goldene kleid sitzend, sässe ich nicht in ihm
(einmal sind alle meine kleider rot gewesen und der körper darin seltener entrückt)

neujahr in new york
die schwester schwitzend im
krankenhausbett für fünfhundert dollar die heilung
mir ist als wäre ich als einzige von einer alten zeit als rest geblieben
kinderklagen
die einen mit offenen händen die anderen mit offenem hals
wohlsam warmsein nur in splitterstücken
einer wirklichkeit.
keine eisblumen jenseits der
jugend durchrumpelt vom klirren einer menschheitsgeschichte
(deine eigene familie sind ja auch einmal menschen gewesen)

ein auto am anfang der kurve
sein ende im schilf
(wer hat gerufen und wen gebremst)
ein cafe namens soul, dein gesicht so verzogen
und deine seele im wetterwind kurz vor oslo verglüht

du fehlst dir selbst am meisten
in marokko lassen sie uns keine feuerwerke sehen
gefährlichkeiten gemessen in soldatengruppen marschierend
durch die hotelallee fakultative prohibition
programmepos
ein strassenspiegel biegt uns wanderende in kurven
der weg zur kirche einmal sorgloser zwischengesang
später bewegungsweise gezittert
verzittert die zweisame zeit vor dem ende der kurve das flutlicht das quietschen das brechen und bersten als letzte gemeinsamkeit

kerzen und die meisten kreise um die sie sich drängen sind runder
wenn du bis zehn zählst ist dann alles nur ein traum gewesen
oder jedes jahr ein neuer diese paar tage in frieden
und wer meint den denn schon zu verdienen, zwischen den zu seltenen beweinungen der vertrockneten grabkränze, letzte gedanken erbrechen im röhricht
einen abschied aus worten haben wir nie gebaut;
nur jedes jahr zum festtag ein paket in gold-rote bänder gewickelt und gestanden dass wir uns genug sind.
(wie reproduzierbar das glück doch ist,
heute versuche ich wie ein kind es abzupausen
mein bleistift bricht
und eine stille über mich herein.)

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Susanne Sophie Schmalwieser

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17 | Silke Gruber

Landvermessung

Dein Blick
spuckt grobe
Gebirgskettensilhouetten
aufs offene Gelände

Meiner schlägt
statt Grenzpflöcke
seine erbärmlichen Haken
ins längst vermessene Feld

Vor Freunden
sprechen wir synchron
von: Lot, Kataster,
Waffenruhe

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Silke Gruber

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15 | Jens Röhling

Schnee

Ich habe Pfeifen aus Weidenästen geschnitten
habe Brücken und Dämme gebaut
bin über Gräben gesprungen
habe auf Blumenwiesen getanzt
ohne Angst vor Zecken
Ich habe Spielkarten gegen Fahrradspeichen schlagen lassen
und bin damit durch die Siedlung gefahren
Bin über Baustellen geschlichen
und habe einen Hammer geklaut
der unachtsam im Kellergeschoss vergessen gewesen
Bin von Bäumen gefallen
und in Brennnesseln
mit Loch im Kopf beim Arzt gesessen
und doch wieder heraufgeklettert

Und all das habe ich vergessen

Ich habe Bier getrunken
das achtlos am Kiosk verkauft
und Grashalme geraucht
Salpeter mit Zucker vermischt und
im Erdhügel brennen lassen, dass es schien wie ein Vulkan
Ich bin heimlich auf dem Güterzug mitgefahren
und habe mich von meinen Eltern wieder abholen lassen
zweihundert Kilometer entfernt
Ich habe einen Bergbach gestaut, der drei Tage
danach bei Unwetter über die Ufer getreten ist
und die Straße weggespült hat, auf der ich
5 Minuten zuvor noch gefahren bin
und mich lange gefragt, ob es meine Schuld war.

Und all das habe ich vergessen

Ich bin in der Dunkelheit durch glitzernde Wellen geschwommen
nackt, mit den anderen, die ich seit zwei Stunden kannte
habe mit dem Mädchen geschlafen am Strand
das mich in die Arme geschlossen und geküsst hat
bis wir untergingen
und weiter
durch den Sand gewälzt, dass wir wie panierte Backfische
glücklich nebeneinander lagen
um uns ein letztes Mal in die Augen zu schauen
und uns nie wieder zu sehen
Ich bin stehen gelassen worden wegen einer Runde Schnaps
und saß lange enttäuscht in Dünen
bis zum Morgengrauen einsam sehnend
nach diesen grünen Augen.

Und all das habe ich vergessen

Nach und nach hat sich meine Sprache verloren
Worte abgetrennt wie Gliedmaßen
zunächst nur die Nägel
in mechanischer Geste, gar nicht wahrnehmend
dann Fingerkuppen, Unterarme
jetzt schmerzhaft aber unausweichlich
Bis zuletzt nur ein Torso aus Pragmatik
ganz zu Staub zerfiel
die Asche verwehend
um die Frage nach mir
im Raum stehen zu lassen

Ich greife in den dreckigen Schnee
knete daraus einen Ball
und werfe ihn gegen das Schild am Straßenrand
Ich treffe nicht
und weiß doch noch, wie es war.

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Jens Röhling

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