freiTEXT | Lina Mairinger
eiserne Kälte
Begonnen hat es in der Medizin. Die Ärzte hatten zusammen mit den schlausten aller Schlausten eine große Entdeckung gemacht. Eine Entdeckung, die die Welt für immer verändern sollte, hieß es, eine Entdeckung, die den Menschen aus seinem ewigen Evolutionsverhalten stoßen würde und ihn zum Übersein befördern würde.
Ich weiß noch, anfangs flüsterten die Leute darüber, es waren ja bloß Gerüchte, man hatte noch keinen Beweis bekommen. Ich war damals noch ein Kind und durfte von all dem nichts wissen.
Einen Monat später war die Welt wieder wie gewohnt, das heimliche Geflüster hatte sich aufgehört und die Leute schienen wieder ihren gewöhnlichen Nachbarchaftstratsch zu verbreiten. Draußen regnete es in Strömen, mein kleiner Bruder, der schon seit seiner Geburt Asthma hatte, hatte sich zusätzlich eine Erkältung zugezogen, wodurch wir schon früher als normal Fernsehen durften. Meine Eltern setzten sich zu uns um Nachrichten zu schauen und diskutierten über unseren unfähigen Finanzminister, als sie plötzlich verstummten und wie erstarrt auf den Fernseher blickten. Die Nachrichtensprecherin sprach von einem medizinischen Wunder. Ich schaute nochmal zu meinen Eltern, die noch immer wie gebannt auf den Fernseher blickten. So schlimm kann es nicht sein, dachte ich, wenn etwas schlimmes ist schicken Sie uns immer weg. So war es zumindest als Opa starb.
Mit weit aufgerissen Augen folgten wir den Nachrichten und sahen das erste Mal das eiserne Herz.
Verblüffend nicht wahr, ein Herz aus Eisen etwas hartes, etwas kaltes, übernimmt die Funktion von einem der wichtigsten Muskeln in unserem Körper, dem Organ das uns warm hält. Die Regierung beschloss im Sommer darauf ein neues Gesetzt zu verabschieden, das KSP - Körperschutzprinzip, es sollte dazu dienen die Sterberate bei Säuglingen und Kindern zu verringern, indem man gesetzlich festlegt wie sich um einen Körper zu kümmern ist um ihn gesund zu halten, bei Regelverstößen wurde ersetzt.
Ich war damals gerade 11 geworden und kümmerte mich wenig um Gesetze und noch weniger um die, die die Regierung vorgab. Als es jedoch einige Jahre später an unserer Tür klopfte, änderte sich alles. Es waren 2 Herren in weiß, sie bräuchten meinen Bruder, er müsse mitkommen. Mein Vater erstarrte, meine Mutter brach in Tränen aus. Sie flehte die Männer an, sagte, sie hätte doch aufgepasst während der Schwangerschaft und dass es angeboren sei, doch die Herren blickten kalt an ihr vorbei, legten meinem Bruder Handschellen an und gingen ab.
Ein Jahr lang sah ich meinen Bruder nicht, als er eines Tages vor der Haustür stand, war mir klar, dass er nicht mehr er war. Er redete wenig und lachte kaum. Er sagte, es wäre schwer. Die neuen Lungen wären schwer, die seien kalt und schwer. Wenn die Luft draußen kalt ist und eisiger Wind weht spürt er es nicht. Wenn der warme Sommerduft durch die Straßen weht spürt er es nicht. Es ist nichts außer fremd, sagte er.
Aus meiner Schulklasse verschwanden ebenfalls die Schüler. Jene, die Brillen hatten oder einen Plattfuß und vor allem jene, die arm waren. Die Armen waren schlimm dran, denn wer arm ist kann sich keine teuren Lebensmittel und Behandlungen leisten um die Gesundheit zu unterstützen und auch für Sport haben sie weniger Zeit da sie viel arbeiten müssen.
Im Alter bekam ich Krebs. Ich wusste, dass ich es hatte und versteckte ihn lange vor den Ärzten. Mir war klar, dass mir nicht viel Zeit bleiben würde, ehe sie ihn finden würden. Geld war der beste Weg, ich suchte einen Arzt der unter den Reichen für seine Korruption bekannt war. Er solle mir die Befunde fälschen, bat ich. Es kostete viel, nicht gesund sein zu dürfen. Ich hatte extra keine Kinder bekommen, damit ich Ihnen den Schmerz nicht antun müsste. Meine Eltern hatten es psychisch nicht verkraftet was mit meinem Bruder passiert war. Sie wurden krank, seelisch krank, also wurden auch eines Tages sie von den weißen Herren weggeführt. Beschuldigt der Gesetzesmissachtung bezüglich der KSP. Die Leute nennen es die Seelenchirugie, ein Verfahren bei dem alles was einem ausgemacht hat, chirurgisch entfernt wird. Der Sitz der psychischen Erkrankung muss entfernt werden, so sagen es die Mediziner. Meine Eltern bekamen ein eisernes Gehirn um sie zu heilen.
Es schreckte mich nicht, natürlich war ich erschüttert, aber das war die neue Welt, der neue Mensch.
Lina Mairinger
freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
mosaik wird 4 - Geburtstagslesung
Vier Jahre ist es schon her, als mosaik1 das Licht der Druckerei erblickte. Und jetzt stehen wir vor mosaik17. Was euch am 29. Jänner erwartet:
- Präsentation von mosaik17
- Finissage der Schulterratten-Ausstellung
- Lesung von und mit:
- Musik von Waste of Ink
Freitag, 29. Jänner | 20.00 | Atelier du Bureau (Künstlerhaus)
sei dabei...
freiTEXT 2014-15 als eBook
Ein Jahr freiTEXT ist vergangen - es wird Zeit für die große Nachlese. Die Anthologie mit allen Texten aus 52 Wochen freiTEXT ist ab sofort als kostenloser eBook-Download erhältlich.
mit Texten von Thomas Mulitzer, Tobias Roth, Andrea Weiss, Sabine F., Magdalena Ecker, Claudia Kraml, Eva Löchli, Andreas Haider, Madlin Kupko, Dijana Dreznjak, Ingeborg Kraschl, Fabian Bönte, Simone Scharbert, Renate Katzer, Jacqueline Krenka, Karin Seidner, Nico Feiden, Sabine Roidl, Sven Heuchert, Veronika Aschenbrenner, Sarah Krennbauer, Philipp Feman, Matthias Engels, Clemens Schittko, Eva Wimmer, Gerhard Steinlechner, Matthias Dietrich, Christine Gnahn, Eva Weissensteiner, Marie Gamillscheg, Satie Gaia, Lina Mairinger, Jonis Hartmann, Philipp Böhm, Lütfiye Güzel, Kerstin Fischer, André Patten, Katrin Theiner, Daniel Ableev, Marina Büttner und Martin Piekar.
freiTEXT | Lina Mairinger
Ich bin die Sprache los
Ich habe meine Sprache verloren. All meine Worte, welche ich für normal pausenlos aus meiner Lunge quetsche, sind abgehauen, ohne Abschiedsworte, ohne große Reden. Es war ein sprachliches Ende, das ich eigentlich hätte vorhersehen können, denn nach wochenlangen algebraischen Rätseln, war annehmbar, dass meine sprachlich fähigere linke Gehirnhälfte, die nicht in Worte fassen konnte was ich an Zahlen zu verstehen versuchte und was ich bei den Zahlen überhaupt suchte, kapitulieren und sich aus dem Staub machen würde. Aber es ist gut, somit habe ich nämlich mehr Zeit dafür, ohne vorher lange Reden zu halten, auszurechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass meine linke Gehirnhälfte nach Argentinien geflüchtet war und nun ein als, verschwiegen bekanntes Opossum, erfreut. Dieses Opossum begeistert womöglich nun mit meiner sprachlichen Gehirnhälfte, zahlreiche vor Erstaunen sprachlose Opossums, mit verwirrten Reden und konjugiert die Möglichkeitsformen von possum.
Vielleicht gründet das Opossum eine neue sprachliche Gattung. Nicht umsonst berichteten schon früh in der Antike Op-mer, Op-vid und Op-laton von dem kommenden Staatssystem der Op-olitiker, angeführt von Op-ama. Die Opossums wären auch bald viel beliebter als alle Menschen, denn während diese sich mit mathematischen Formeln definieren, gewinnen die Opossums mit wörtlichem argumentieren. Sie würden die Sprache revolutionieren, denn die tote Sprache Latein, würde neu fungieren. Mit O-possum als moderne Möglichleiten etwas zu können.
Menschliche Forscher ziehen sich wortlos in die Statistiken über Sterberaten von „an Worten erstickten Opossums „ zurück und hätten somit ein Hobby für ihre restliche Existenz. Inzwischen habe ich mich vermutlich einhirnig und verkrüppelt zurückgezogen. Denn der bessere, schwerere Teil meines Gehirns fehlte ja nun und ich gehe ich ja stets schief. Mit meinen neu erworbenen mathematischen Kenntnissen, kalkuliere ich vermutlich meinen beruflichen Erfolg als Bestattungsunternehmer für Opossums, denn das spannende, waren die vielen Scheintoten Opposums, die sich die Möglichkeiten des O-possum seins zunutze machen und ihren Tod vortäuschen um an ihr O-Pension ranzukommen.
Eines Tages wenn ich dann gerade kritisch ein scheintotes Opposum untersuchen würde, sehe ich vielleicht ein Opa-ossum, das die Straße entlang an mir vorbeispaziert, mich erkennt, mir und den vielen Mathematiknachprüfungen dankt, die ihnen das Wort in den Mund legten und sich dann unsicher wegen meiner bedeutungsschweren Existenz tot oder ‚nichttot‘ umfallen würde. Schweigend würde ich mich dann für mein restliches Leben wie Prometheus fühlen können, wenn nicht sogar besser, denn was ist schon das Leben verglichen mit der Sprache.
Ja, so wäre es wohl, wenn meine linke Gehirnhälfte nicht, nach langen mathematischen Foltermethoden, abgehauen und Ich nun für immer sprachlos wäre.
Lina Mairinger
freiTEXT ist eine Reihe literarischer Texte. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? Sende ihn uns doch an mosaik@studlit.at
mosaik14 - Gegenwarten
mit:
Renate Aichinger, Satie Gaia, Eva Wimmer, Eva Weissensteiner, Katharina Haslauer, Matthias Engels, Sven Heuchert, Nico Feiden, Christof Sommersguter, Theresa Brigitte Gangli, Fabian Widerna, Lina Mairinger, Denise Übleis, Marie Gamillscheg, Miriam Zeh, Max Güntert, Clemens Schittko, Franz Jäger-Waldau, Eluisa Kainz, Daliah Frühling, Maria Köchler, Claudia Wallner, Mark Daniel Prohaska und Marina Büttner.