freiVERS | Julo Drescowitz
5,0
Du liegst
neben mir
im Bett
und du
fährst dir
auf diese
Art durch die
Haare
wie du es
immer tust,
und deine Arme
sind wie
Äste
und deine
Hände
würde ich unter
Millionen
erkennen;
und ich spüre die
Hitze und
Nässe
unter unserer
Bettdecke
und wir trinken
dieses
Billigbier
aus Dosen
es heißt:
5,0
und die Dosen
sind eiskalt
mit
Kondenstropfen
am Blech;
und wir trinken
das kalte
Bier
und du
fährst dir
durch die
Haare
und
sagst
die eine
Hälfte
deiner Familie
tränke,
weil sie die
Welt
nicht verstehen
würde,
und die andere
Hälfte
deiner Familie
sei tot
weil sie
sie
irgendwann
von Grund auf
verstanden
hätte;
und dann
schweigen wir
einen Moment,
und es ist
dunkel
in meinem
Zimmer
und kühle
Herbstluft
zieht durchs
Fenster
herein
und ich rieche
unsere
Haut
deine
Haare,
und du
trinkst und
lachst und
sagst
du würdest
einfach
nicht
wissen
wohin
du
gehörst
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
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freiVERS | Julo Drescowitz
Störche
Störche
im Himmel
zwei Stück
auf den Treppenstufen vor der Bib
am Fluss
das Wasser rauscht
ich tue, als ob ich
etwas
fangen
würde
Dummkopf
einen Kürbis
einen Ball
aus dem Himmel
ich stehe auf und
lache
mein Kumpel
auf der Treppenstufe
neben mir
ich balle die
Faust in
den
Himmel
und sage
Wieso
habt ihr mir
ein
Kind
geschenkt?
Später
lache ich
nicht mehr
Haut an Haut
liegen wir
im Bett
feucht vor Schweiß
dein Geruch
Tränen in
deinen Augen
Ich erzähle
dir
von den
Störchen
und du
hörst mir
zu
still
schließt die
Augen
Es sind
Dinge wie
Störche gesehen
zu haben
die
uns Glauben schenken
Schweiß auf
deiner Stirn
das Rauschen
des Flusses
vor unseren
Fenstern
die
Störche
weiß
mit
langen
Hälsen
fliegend
irgendwo
dort draußen
sie zu
sehen
ist
ein eigenes kleines Wunder
und
diese Art
der
Wunder
lassen
uns
weiterleben
.
.
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mosaik38 - ein bisschen Nähe
mosaik38 - ein bisschen Nähe
Herbst 2022
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INTRO
„Alle feiern“, sagt meine Mutter. „Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.“ Sie sagt: „Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.“
„Ja“, sage ich. (Julo Drescowitz, S. 28)
Auch wenn es schon abgedroschen klingt und jede*r Zweite beim nächsten Satz seufzend das Intro-Lesen abbrechen wird: Wir leben in turbulenten, intensiven, bedrückenden Zeiten. Aber! Es ist schön zu beobachten, dass es Künstler*innen gibt, die sich den unterschiedlichsten Aspekten dieser lange andauernden Krisenprozesse annehmen und die diversen Implikationen auf Mikro- und Makro-Ebene thematisieren.
Aus Gesprächen wissen wir, dass viele Autor*innen von der Weltlage oder individuellen Notlagen am Schreiben gehindert werden – vielleicht findet sich in dieser Ausgabe für jeder*n von uns ein Text, der wieder Energie und Perspektive gibt.
„Schreiben braucht Gewusel“, meint Jakob Kraner im Kreativraum. Dem können wir uns nur anschließen: Der persönliche Kontakt, die geistige und körperliche Nähe, der Austausch, das Vertraute und das Neue – all das kann Kraft, Sicherheit, Vertrauen schenken. Das klingt auch im bewusst gewählten Titel der Ausgabe an.
„Ich suche in mehreren Sprachen, für eine Sammlung, sage ich, und bin umgeben von wackeliger Sprachigkeit“ – Franziska Füchsl (S. 65) führt uns in einen Schwerpunkt im [foej tõ], der uns schon lange ein Anliegen ist. Wir sind überzeugt, dass der Austausch zwischen den Sprachen nicht nur die möglicherweise wackelige Sprachigkeit festigt (und aber auch wackeliger macht), sondern auch die Distanz zwischen Menschen verringert. Und wenn wir in unseren Zeiten etwas brauchen, dann ist das „ein bisschen Nähe“ – wenn vielleicht auch räumlich getrennt.
euer mosaik
Inhalt
stets notbeleuchtet
Maja Goertz – Hinter der Deadline
Georg Großmann – Laternenfische
Helmut Blepp – Nachtarbeiter
Simon Scharinger – woanders
Es pocht
Anna Krauß – einmachglasvollwelt.
Tsovinar Hakobyan – Palermo
Clara Maj Dahlke – Imago
Julo Drescowitz – Grillfest
kein Sound?
Sascha Bruch – Das Schweigen häuten
Zoe Dackweiler – Der Verschleiß des Körpers (Einflussgrößen) – Zoe
Natalie Campbell – Läuterung
Kunststrecke von Veronika Klammer
BABEL – Übersetzungen
Das Thema unseres Feuilletons – nämlich Mehrsprachigkeit – steht hier bei BABEL in guter Tradition immer schon im Mittelpunkt, ohne sich aktuellen Trends anbiedern zu wollen. Schließlich ist Mehrsprachigkeit unser tägliches Geschäft – wenn es auch stets in einer deutschen Übersetzung mündet. Verstehen, Verstand, Verstandenwordensein, Verständigen oder Verständigthaben – unser Anliegen ist die Verständigung, obgleich wir uns der bescheidenen Wirkmacht unserer Rubrik bewusst sind. Also bitte, habt Verständnis, wenn wir euch in die Verantwortung nehmen! Stellt euch vor den Spiegel und lest die folgenden Gedichte laut im Original, damit ihr erahnt, wie groß die Welt eigentlich ist – und wir so klein.
[foejәtõ]
„Written in a Kloster, it natürlich turned out to be a book of erotic poetry.” – Wovon der chilenische Autor und Übersetzer Tomás Cohen hier spricht – oder auch: wie er spricht – ist ein Beispiel für Mehrsprachigkeit. Zahlreiche Positionen zu diesem weitreichenden Feld wollen wir hier versammeln: Die Zugänge von Übersetzer*innen, die Ansprüche von Verlagen, spannende neue Projekte, individuelle Herausforderungen. Herausgekommen ist eine klarerweise unvollständige Sammlung an Positionen, die das weite Feld öffnet und mehr Fragen aufwirft als sie beantworten will. Ein Gebilde aus „wackeliger Sprachigkeit“, wie es Franziska Füchsl in ihrem Intro formuliert.
Kreativraum mit Jakob Kraner
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