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lauthals

ich trau mich nicht die töpfe zu säubern, die gläser die gabeln die löffel die tupper die dosen deinen letzten speichel wegzumachen, deine wimpern wegpusten zum staub, deine durchsichtigen fußabdrücke mit dem besen zu kehren, obwohl die straße längst darin übrig ist, zwischen die fliesen gekullert. deinen letzten speichel, den ich so lange vermisst und jetzt wieder misse, mein herz, worüber beugt sich meins, liebling deiner neurone wenn du dir müde den schlaf aus den augen wischst und deine haare zerzaust, wenn du mit müden füßen und durchlüfteten lungen abends durch deine wohnungstür eine sprachnachricht aufnimmst und summst

ich hab den schlaf gesammelt, den du dir aus den augen gewischt hast, hab alle wimpern geschluckt, die du weggepustet hast von meiner zunge in meine luft röhren reiniger kaufe ich nicht brauche ich nicht, weil ich bei jedem halskratzen deine wünsche schmeck en noch nach gelben gummistiefeln zwei paar an verandatreppen runtersteppen in den garten, ich trau mich nicht schon wieder auf etwas zu warten was in der spülmaschine bricht.
ich traue mir zu, dass ich mich an irgendwelchen scherben schneide, deshalb spül ich nicht ab, spür ich nicht hin, schreib ich dir nicht
liebesbriefe
weißt du hab ich oft genug und vorgetragen und immer hör ich dann münder sagen ich dich nicht

ich trau mich nicht mein handy auf laut zu machen, weil was wenn wer anruft und was wenn es bingt und was wenn es du bist und was wenn es klingt, als würde es dir egal sein als wäre das was, was du dich einfach traust

ich trau mich jetzt wieder auf die straßen, diese stadt gehört auch mir meine haut, die
lass ich mir nicht nehmen (nur auf den busbahnhof trau ich mich immer noch nicht ganz)

traue mich (nicht) zu weinen, wenn er bricht, es kullert rückwärts, weil ich außen sonst nicht ernst genommen sonst emotional bin, als wäre das was schlechtes, rückwärts der dammbruch meiner wirbelsäule, wenn alte wunden feuern in alle richtungen und ich decken für die feuer suche, stick dicht im rauch dicht es mir aus den augen quillt statt tropft, rückwärts läuft es meine kehle runter und tropft auf
die zeit zurück, in der wir
im dunkeln flüstern
wir nicht mehr wie tagsüber, weil nur noch wir uns hören können und wenn nur du mich hörst, kann ich gar nichts falsches sagen, wenn nur du mich hören kannst verrate ich dir lauthals, dass ich meine stimme hasse, aber wenn nur du mich hörst, bleibt das unter uns und vielleicht können wir tauschen?
zusammen tragen wir uns durch die stadt, wir trauen uns in jede straße, in jede dunkle gasse, die wir alleine nicht betreten würden, zusammen mit dir traue ich mich zurückzuschreien, wenn uns jemand f**tze aus dem autofenster zubrüllt, du zückst deine mittelfinger und ich traue mich das jetzt auch
das habe ich von dir gelernt und meine zunge, die habe ich dir zu verdanken und meine zähne, die auch. beißen haben wir zusammen gelernt und spucken mit energie, dass es vom pflaster zurückspritzt, winkel berechnet, in die richtige richtung
direkt auf die windschutzscheibe und es wird lauter gebrüllt und der motor aufgeheult und wir flüchten auf den fahrrädern durch die nacht aber hauptsache zurückgebrüllt, hauptsache zusammen
trauen wir uns in jede nacht in jede noch so dunkle ecke
das hab ich von dir gelernt, das nicht schlafen gehen müssen und dass es nachts genug gründe gibt wach zu bleiben und meine schlafstörungen, die hab ich dir zu verdanken

ich trauere nicht mehr um dich.
wir standen in meiner küche, als du gesagt hast, du findest das mit uns ist mehr so freundschaftlich und ich habe genickt, damit mein hals aufgeht und die tränenflüssigkeit sich auf meiner netzhaut gleichmäßig verteilt und bloß keine kleinen kügelchen bildet

ich traue meiner zunge nicht, wieso zitterst du, wieso verrätst du mich
ich traue meiner zunge nicht, weil sie manchmal so high pitched spricht, obwohl ich doch so masc obwohl ich doch so lässig wieso zitterst du wieso sprichst du nicht mich wieso brichst du das bild an solchen tagen trau ich mich nichts sagen dann mach ich mich sprachlos
an supermarktkassen, weil meine stimmbänder sich nach alten regeln anschlagen

alle regeln zerschlagen
das hab ich von dir gelernt
und meine zunge zeigen hab ich dir zu verdanken.
heute hab ich keinen empfang, ich schreib dir briefe aus lesbos, versprochen, ich trau mich jetzt
fang! hechte voraus und sag mir, ist es das, wo wir hergekommen sind
ich trau mich denn der blick zurück sagt vorne liegt mehr der blick zurück sagt zieh los mach dich auf
und ich trau mich das jetzt
irgendwann.

 

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