4 | Yvonne Koval

winterschlaf

heute geht's mir nicht so gut
die nabelschnur zieht an mir
zieht mich runter, macht mich
rund & unerträglich, ewig
bis der winter vorrüber

also sag wenn du alleine
wenn du unter menschen
punsch & geschenke
& spaß haben willst

dann können wir mich einpacken
mir ein kleines nest bauen
wo ich winterschlaf halte
während deiner freude
& drei jahreszeiten lang

so warte ich, & kann die zeit
an zwei händen abzählen
bis du zurückkehrst
& mich auspackst
als ob ich zerbrechlich
& all das da drinnen

nach einem winterschlaf
das sagt die forschung
geht es tieren gar nicht gut
ihre hirnaktivität
sei dann gleichsam der
nach tagelangem schlafentzug
(ich hoffe, es geht schnell zum schluss)

nur dazwischen ganz unscheinbar ein widerspruch
mein winterschlaf : ein schlafentzug
(ich dachte, eines folgt dem anderen)
hauptsache ist wohl, dir geht's gut

.

Yvonne Koval

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freiVERS | Yvonne Koval

ein Gefühl

wie aufgeraute Felsen
vom Wasser verschlagen
die Sprache.

& ganz unten, in der Tiefe, Risse
dort wo niemand tastet
schon lange Zeit, nicht aufgebrochen, nur stetig
stetig am Sauerstoff ziehend, zerrend
dem Wind entgegen, ergraut der Felsen.

aufgeraut, rissig & porös
dort wo niemand achtsam
niemals wach geworden
vom Zerfallen, da nur allmählich
alltäglich, mitgenommen von den Wellen
aufgebraucht, doch standgehalten.

nur dazwischen die Fissuren
die schon lange Zeit
ganz unbemerkt
davon erzählen.

.

Yvonne Koval

.

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freiVERS | Yvonne Koval

das Aufbrechen von Wasserstoffbrücken

eine Gedankenkette strickend, zwei Fäden eines Teiles
häkeln sich nach Bauanleitung, Strick um Strick
weben sie Zeilen in die Bauchdecke:

sollen wärmen dieses Nest, dessen Aufbau
Schritt für Schritt umgesetzt, stets Anleitung
verfolgt, Zeilen Laut für Laut genau, fast schon
Verfolgungswahn, so ummantelnd dass nicht mehr
eingebettet (sondern angekettet), nur zwei Fäden
an der instabilsten Stelle fest verknotet,
können so einengend sein, Schnur fast schon
Strick um den Hals, doch perfekt ausgefädelt
(in letzter Sekunde) widerstrebend Nest verlassen
an der instabilsten Stelle die Laute verloren.

die Zeilen nun vor sich gesehen (wie heimatlos)
gesehen wie selbst schlagend, selbst atmend und
Laute / Schritte setzen, selbst Bauchdecke wärmen und
brüchiges Leben, selbst Hals aus Strick fädeln (vogelfrei)
Nestwärme war gestern.

und als Atmendes erstmal Zellbausteine begriffen,
Atome strukturiert, sortiert, der Größe nach geordnet,
da selbst erst gesehen: bloß zwei Fäden und eine Bauanleitung
gesehen wie fast schon Strick um den Hals, danach
wie Nest verlassen. und nun in Sprache gefasst:

„du bist; nicht Teil meiner
Fäden nun ausreichend verweichlicht, diese Bauanleitung unlesbar.
du bist; nicht verankert / abgebildet hier nicht eingeladen.
hier abgeladen hast du so viel von deinen Fäden/Lauten/Zeilen,
abgelehnt hab ich Teile (deiner) an mir selbst. begreifst du?

es gibt Atome und Leere, alles andere ist nichts, ist bloß
Ansichtssache, wie dich hier hineininterpretiert, hineingewoben
in Doppelhelix bist du nicht / meine Zellbausteine aufbauend.

daher aufklauben was mich erinnert, was nicht Teil meiner
und dann rausbringen, rausgequetschte Tropfen
tropfen bloß auf Handtuch (bewusst rotes gewählt damit unauffällig)
bis Tuch verweichlicht, alles was mich erinnert an
was nicht hineinpasst / nicht Teil meiner
hab ich weggeschwemmt, flussabwärts / -auswärts
Wege geflossen zwischen Erinnerungslücken,
Zellbausteine losgelöst und weggeflutet wie
ein Blutgerinnsel, Gefäß durchgespült, mitgenommen
das Gerinnsel, das nur verstopft / blockiert
mit allem, was nicht Teil meiner.

Doppelhelix danach betrachtet, plötzlich bruchstückhaft.
Leere erzählt von Aufgeklaubtem, vom ausgefiltert worden Sein,
fortgeflutet / -geflüchtet, war wohl nie Teil dieser Bauanleitung:
Fäden/Laute/Zeilen waren falsch verortet, dort fest verknotet,
haben bloß blockiert, dann weggespült wie aussortiert,
letztendlich das Handtuch wärmend rot signiert.

und die Helix nun verformt, so lückenhaft dass ungenügend
dass es nicht wie ich geboren werden hätte können,
sonst wäre wohl Todgeburt in jemandens Uterus: verweichlicht.

und erst nach so langer Zeit
(bewiesenermaßen lebensfähig)
mit Hirn und Gedanken (Gedächtnis)
war endlich aussortiert/ausgesiebt was verknotete.
all das erst, nachdem Teile deiner herausgelesen,
gegriffen mit der Pinzette nach allen einzelnen Atomen,
ausgeschabt, herausgequetscht (rotes Handtuch
schon vorbereitet für Fremdes, Deines)
bis Leere wo einst erinnerte,
bis Doppelhelix wie bruchstückhaft
– da war erst ausgesiebt was verknotete.

Und nun?
Atome und Leere, alles andere ist nichts, ist bloß
Ansichtssache / Bruchteil davon. nun Bauanleitung
wie in Stückchen zerfetzt, Erinnerungslücken und brüchig.
Fäden / Nähte nach und nach aufgetrennt
Riss um Riss und Identität bruchstückhaft.
Tropfen am Handtuch ausgehärtet und kalt, nicht verweichlicht.
Ich bin keine Verweichlichung von Ansichtssachen,
keine Verweiblichung der Teile deiner / Bruchteile davon.
nun Zellbausteine ausgehärtet (unverformbar)
Fremdes ausgesiebt: grobe Körner
kratzen nicht mehr an der Hautoberfläche.
Bauchdecke war gestern.

Nun Genkette aus allen Ankern gerissen, wie altes Metall
(Stahl schon verrostet) das für sich allein durch’s Meer treibt
allein für sich Ozean überqueren / kennenlernen was fernbleibt
Bauanleitung unbrauchbar, Handtuch ausgewaschen
Erinnerungslücken bauen Brücken in die Leere
wo zerfällt und zerfallend diese Genkette
zusammenhangslos, Teil von keinem und
keines Teiles ein wärmendes Nest / sein Heim,
heimatlos.“

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Yvonne Koval.

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