17 | Verena Dolovai

lebkuchen im sonnenbad

die glasur glänzt wie
regennasses gras
tropft vom tisch

du wischst
die schokolade weg

verwirrt
irren wir durch die jahreszeiten
war schon winter?
fragt das kind

die katze im sommerkleid
schnappt nach insekten
die zu dicht
in der luft tanzen

wir atmen ein
blasen unsichtbaren hauch aus

das frühe dunkel
hüllt den tag ein

drinnen
glühen unsere wangen nicht

.

Verena Dolovai

.https://www.mosaikzeitschrift.at/tag/Sigune-Schnabel

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen:

advent.mosaikzeitschrift.at

24 | Verena Dolovai

Fischköpfe rollen nicht

Tagwache 6.00. Den Sekt und das Bier einkühlen. Die Kartoffeln aufsetzen. Kaffee im Stehen. Keine Zeit verlieren.

Zeit zum Fischmarkt zu fahren. Sich um kaltes Wasser scharen. Sich drängen. Einen schweren Plastiksack entgegennehmen.

Er tropft. Es riecht. So wie wenn Mutter die Tage hat.

An einem Tag werden 2 Millionen Tiere in Deutschland geschlachtet.

Zu Hause den Fisch mit Salz und Kräutern einreiben. Ihn im Keller kaltstellen.

Die Hände sind kalt. Sie riechen nach Fisch. Die Hände einseifen. Happy Birthday singen. Dann sind die Hände wieder sauber. Sich gut abtrocknen.

Ins Schlafzimmer gehen. Die Hände fischen ein Spannleintuch aus dem Kleiderschrank. Falten es auseinander. Überziehen das Bett, das kein Gästebett ist, mit dem Leintuch. Streifen es glatt für die Verwandtschaft.

Die Verwandtschaft braucht Platz. Platz machen.

Die Kinder wandern in den Keller. Breiten Matratzen aus. Machen ein Lager aus Decken, Pölstern, Stofftieren. Die Katze drängt sich zwischen die Stofftiere. Legt sich hin.

Den Christbaumschmuck aus der Kiste holen. Den Nadelbaum vollhängen.

Nadeln im Wohnzimmer. Nadeln im Schlafzimmer. Nadeln in der Küche. Nadeln im Bad. Nadeln im Klo.

Es dämmert. Das Nachbarskind bringt das Friedenslicht. Es brennt.

Im Ofen verbrennt das erste Keksblech.

Die Verwandtschaft läutet zu früh an der Tür.

Schnell den Tisch decken. Den Salat anrichten. Die Getränke bereitstellen.

Hektik.

Die Geschenke heimlich einpacken. Das Tixo ist aus. Das Papier mit einer Schnur umwickeln. Namenskärtchen einklemmen.

Sich duschen. Die Dusche ist verstopft.

Sich schön machen.

Sich festlich anziehen.

Sich besinnen.

Alexa, spiel Weihnachtsmusik! Kinderchöre.

Heute nicht streiten.

Zu streiten beginnen.

Wann kommt endlich das Christkind?
Wann ist das Essen fertig?
Warum hast keinen Weißwein eingekühlt?
Wo sind die Sektgläser?
Hast keine Servietten gekauft?
Wer hat den Saft ausgeleert?
Warum ist der Kamin nicht eingeheizt?
Hat jemand die Katze gesehen?

Wer hat die Kellertür offengelassen?

Die Katze ist im Keller.

Die Katze schiebt den Fischkopf mit der Pfote vor sich her. Zieht Fettschlieren am Boden.

Stille Nacht.

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Verena Dolovai

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mosaik35 - Hahn oder Henne

mosaik35 - Hahn oder Henne

INTRO

„Besonders gut im Erzählen sind natürlich Kinder. Daneben aber auch marginalisierte Menschen – sie verbringen viel Zeit mit Tätigkeiten, die man gemeinhin unter Müßiggang fasst, spielen also zum Beispiel in den Parkanlagen, sprechen dem Bier zu und unterhalten sich ziellos. Genaugenommen sind sie Erzählprofis, vielleicht sogar in einem strengeren Sinne als wir Schriftsteller*innen, denn sie tun tagelang nichts anderes, als sich Geschichten zu erzählen.“

Die Fragen, wer im Literaturbetrieb erzählt und welche Geschichte(n) dadurch erzählt werden, treiben uns schon seit Langem um. Mit der Entscheidung, keine Biografien abzudrucken, prägen wir seit 35 Jahren die Tradition #fucklebenslauf. Gleichzeitig wissen wir dadurch auch kaum, wer hinter all den Texten in der Zeitschrift steckt. Wir hoffen, euch wieder möglichst ausgewogene Diversität präsentieren zu können.

Und zur Sicherheit haben wir einige Autor*innen, die wir besonders schätzen, eingeladen, im Kulturteil ihre Erfahrungen beizusteuern. So berichtet uns Alexander Estis – von dem auch das Eingangszitat stammt – über
seine Begegnungen in Köln-Kalk. jiaspa fenzl entführt uns nach Wien und in BABEL könnt ihr wieder neue Stimmen aus ganz Europa kennenlernen. Wer auf der Suche nach spannenden Zeitschriftenprojekten ist, wird im liberladen fündig – eine Hand voll stellen wir euch wieder gegen Ende der Zeitschrift vor. Und weil Kinder
anscheinend besonders gut im Erzählen sind, endet auch diese Ausgabe wieder mit Texten von Kindern für Kinder.

euer mosaik

Inhalt

Schöne süße Welt

Verena Dolovai – Fütterung
Marlene Schulz – Hilla
Stefan Heuer – flitschen
Steve Strix – schwein im angesicht

Ein leises Oh

Stefanie Maurer – Die Eschen fallen
Christian Günther – Drei ältere Männer
Roland Grohs – Allein-Arbeit
Sagal Maj Comafai – music for commercials
Hanna Quitterer – Das Haus an der Bahnlinie

Zum lieblosen wechseln

Raoul Eisele – fast k:eine Liebe
Majka Hausen – Der vergessene Krieg
Otto Dvoracek – In idealer Fremde
Tara Meister – Nach den Samstagen
Alexander Weinstock – Im Schrank

Kunststrecke von Stefanie Hintersteiner
BABEL - Übersetzungen

Die Einsamkeit der Lastwägen, die frische leere Autos abtransportieren – Autos fahrende Autos also, oder doch die Beichte eines Selbstmörders? Ins Spaghettiregal eingetauchte Finger, und die letzten Zeichnungen eines todkranken Mädchens. Egal ob in tschechischer, ukrainischer oder serbischer Sprache – dem Tod und der Einsamkeit haftet Zeitloses in der Literatur an. Die Suche nach Sinn obliegt einer universellen menschlichen Sehnsucht, die Fragen stellt, ohne konkrete Antworten zu ernten: Was bleibt von uns, wenn wir einmal weg sind? Wohin gehen wir? Wer waren wir überhaupt?

Alle Texte in der vorliegenden Ausgabe von BABEL widmen sich auf die eine oder andere Weise diesen existenziellen Fragen, die in der Literatur – wie wohl in keiner anderen Kunstform derart – Trost zu spenden suchen vor der Welt und ihrer Endlichkeit.

  • Petr Hruška – paluba v normandii / Ein Deck in der Normandie
  • Petr Hruška – market ve frankfurtu / Ein Supermarkt in Frankfurt (Tschechisch)
  • Matiiash Dzvinka – Тиждень / Die Woche (Ukrainisch)
  • Uroš Ristanović – Кравата / Krawatte (Serbisch)
[foejәtõ]

Wir stellen die Frage, wie divers der Literaturbetrieb ist – und dann ist am Titelbild des [foej tõ] ein weißer Mann abgebildet. Ein Versehen? Eine Provokation? Rückmeldungen bitte an schreib@mosaikzeitschrift.at
Was wir in diesem Kulturteil aber aufzeigen möchten: Es gibt sie, die neuen, spannenden Projekte. Marginalisierte Gruppen finden Gehör. Und dennoch stößt z.B. queere Literatur weiter oft auf Unverständnis. Es gibt noch viel zu tun.

Kreativraum mit Lisa Gollubich

freiVERS | Verena Dolovai

love’s end

ich könnte verstummen
und du würdest es zulassen
weil du nicht mit mir sprichst

ich könnte weggehen
und du würdest es nicht merken
weil du nicht bei mir bist

ich könnte mich verwandeln
und du würdest mich nicht erkennen
weil du mich nicht ansiehst

ich könnte verschwinden
und du würdest mich nicht finden
weil du mich nicht suchst

 

Verena Dolovai

 

freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at

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