freiTEXT | Henni-Lisette Busch

Untersuchung des Drogenvokabulars auf sein poetisches Potenzial:

Nur das kann ich, denn ich saß am See, als sie hinter mir tanzten, oder am Feuer saßen auf der befleckten Matratze, oder im Auto auf den zurückgelehnten Vordersitzen mit Ketamin im Gehirn und tauben Synapsen. Du existierst dann nicht mehr, sagte mir einer von ihnen, nicht du, als wir auf der Matratze am Lagerfeuer saßen und du, nicht er, dich im Rausch auf meinen Schoß legtest. Du bist einfach nicht mehr da oder nur noch ein ganz kleines bisschen und das ist manchmal sehr erleichternd, sagte er. Ich legte meine Flasche Billigwein in den Rasen und kraulte deinen nicht vorhandenen Kopf. Du löst dich auf und bist an einem Ort, wo sich deine Nicht-Existenz anfühlt wie Apfelmus mit Vanillesoße und du lachtest in meinen Schoß.
Meine Hand eckte nach unten, stieß den Finger zwischen kleine, kalte Halme und kratzte in den Boden; das Stroboskop zuckte blau und weiß und grün und warf mit kantigen Schatten. Ich hielt ihm stand mit weiten Pupillen, die pulsierten wie die Bässe in der Luft aus Regen und die Musik jagte das Licht und ich saß am Feuer auf der Matratze, kopfloser Schoß.

Warum ich da war?

Kein ich, kein wir, nur atmen in Baumkronen und selbst gefühlte Unwichtigkeit. Letztendlich ist es egal, ob ich unter Schwarzlichtlampen oder in Hörsälen sitze, es ist auch egal, wie Apfelmus mit Vanillesoße schmeckt und das ist gar nicht pessimistisch gemeint, sagte ich dir in meinem Schoß, ob du existieren willst oder nicht, ist egal. Irgendwas passiert zwischen Kreißsaal und Krematorium, da hätten wir sie wieder, die Wörter mit K. Kaum kein Kind mehr, arbeitest du an deiner Karriere, bildest Kompetenzen aus, stichst Konkurrenten aus, wirst letztendlich von jeder KI übertrumpft, im Kapitalismus ist die Freizeit für Konsum und Kurzurlaube, dass Krieg herrscht und dass es sowas gibt wie Klimaerwärmung, musst du noch irgendwie deinen Kindern erklären und du musst weiterarbeiten an deiner Karriere, denn wenn du aufhörst, dich abzukämpfen, verlierst du den Anschluss, fällst erst durch Klausuren und dann auf deine Knie und zu viel Kaffee ist auch schlecht, Saufen bis zum Kotzen, Selbstzerstörung, dein Körper braucht zwar Kalorien, aber auch nicht zu viele, jemand in deiner Familie stirbt an Krebs und mit der Zeit werden deine Knochen porös und deine Kraft schwindet…
Das ist gar nicht pessimistisch gemeint und im Prinzip ist das auch nichts Neues, aber trotzdem kochst du abends, und trotzdem kannst du tanzen, und trotzdem kämpfst du weiter, weil du ein Lebenskünstler bist.
Ich wäre gerne ein Gedicht – hermetisch abgeriegelt, gegen Ks zum Beispiel, doch ich saß da unter der Schwarzlichtlampe und nahm keine Drogen, in ein paar Stunden werde ich wieder im Hörsaal sitzen und keine Notizen machen.
Den Schotterweg zu uns entlang stach das Scheinwerferlicht und dienstmüde Augen schweiften über Gesichter, bitte nur noch mit 30 bis 40 Dezibel und neben dem Deck lag was Buntes und ein bisschen Gras. Nicht-Existenzen sind lauter, als das Lärmschutzgesetz erlaubt, aber man konsumiert leise. Die Scheinwerfer stocherten durch die Dunkelheit zurück und still saß ich wieder am Feuer und dort in der Baumkrone hing das Licht.

Willst du auch?

Weiße Linie auf schwarzem Display. Später ging einer kotzen – nur wer fliegt, kann abstürzen. Ich schwenkte meine Flasche Billigwein gegen Lichtgezucke, fast leer. Auch Alkohol betäubt Synapsen. Alkohol trinke ich kaum, sagtest du, nicht mehr in meinem Schoß, sondern halb liegend neben mir. Der letzte, nachtkalte Schluck rann meine Kehle hinab und ich wendete meinen Kopf halb zu dir: wann legst du eigentlich auf, dann suchte ich mit dem Handytaschenlampenlicht einen Ort zum Pinkeln.
Solche Musik imprägniert die Seele, ich weiß nicht, ob ich tanzte, ich bewegte meinen Körper, aber vielleicht bewegte mich die Musik, Arme eckten um meinen Rumpf und meine Beine stießen in den Boden und da schoss eine Ratte zwischen zehn bis zwölf Fußpaare hindurch, oder war das nur so ein gejagter Schatten?
Weißt du, und du lehntest dich zu mir rüber, ich wäre mit meiner Musik gern wie ein Pilz, der sein Netz im Untergrund entfaltet und mit seinen Sporen ein Umdenken bewirkt, wartetest kurz nur auf meine Reaktion und gingst dann rüber zum Deck und auf dem kurzen Weg dorthin verschlangen das Bild psilocybinbedingte Muster. Ich weiß nicht, was du sahst, aber genau das sah ich.

Den Stoff, aus dem Träume gemacht sind,

stellte ich mir selber her. Beim Tanzen zu deiner Musik meditierte ich, Visuals hatte ich nicht, aber ich visualisierte und stell dir vor, traumeigene Bilder mit DMT zu kombinieren… Weder romantisiere ich, noch verpflichte ich mich zur Moral und ich muss mich nicht erst zum Dessert bekennen, um die Möglichkeiten einer Nicht-Existenz in Klammern poetisch auszuschöpfen und nicht mal lyrisch muss ich sein, wenn Prosa bunt genug ist und irgendwo im Damals und Dort tanzte ich auf Träumen…

Und dann – sah ich – am Horizont – die Sonne.

Stell den Sturm auf stumm und unmute die Musik.
Es war nach sechs, das Lärmschutzgesetz schob die Regler hoch und mit der steigenden Sonne verblasste das Schwarzlampenlicht und Gold befleckte meine Wangen. Deine Hand lag kühl auf meiner Hüfte und ich war erleichtert, kein Gedicht zu sein. Meine selbstgemachten Visuals waberten hinter verschlossenen Augen noch auf den Wellen meines Unterbewusstseins, dann und wann ein Schaumkamm, Steilküste, Blick in die Ferne, ein Schritt und du fällst in die Sehnsucht. Warst du mit deiner Musik wie ein Pilz, fragte ich dich und entnahm deinem Schweigen eine Erinnerungslücke. Nur wer schreiben will, muss sich erinnern, also: hier sind deine Gedanken, ich schenke sie dir zurück.

Der Stoff, aus dem Träume gemacht sind,

glitzerte noch im Sonnenlicht. Meine imprägnierte Seele
atmete wieder und du lehntest dich zu mir rüber, einfach so, ohne was zu sagen, wartetest auf keine Reaktion und ich weiß nicht, was du sahst, aber ich sah dort hinten auf dem Feld im Nebel einen Kranich stehen.

Willst du auch

einen heißen Tee? Du holtest die Thermoskanne aus dem Auto, während ich sitzen blieb am See, hinter mir saßen sie an der Glut auf der befleckten Matratze und als du wiederkamst, waren wir hier und meine Existenz fühlte sich an, wie Apfelmus mit Vanillesoße. Meine Hand glitt durch kleine, kalte Halme und ich blickte der Sonne entgegen mit kleinen Pupillen.

Warum ich da war?

 

Henni-Lisette Busch

 

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Maßnahme

Ich sehe keinen Horizont mehr, sage ich. Vor uns rollt sich in den Sand die See und krause Gischt sieht ganz kurz aus wie schaumgeschlagener Stoff, platzt und versickert. Die Wellenausläufer ziehen sich zurück in das himmelgraue Meer, das irgendwo ganz weit hinten sich vorn überwölbt und über uns rollen sich die Wolken in die Höh. Da ist kein Horizont, nur die Buhnen sind ein Strich.
Ich sehe auch keinen, sagst du. Da ist nichts in Sicht. Und aus deinem Mund klingt das nicht so, wie ich das eigentlich meinte, sondern hoffnungslos.

Immer, wenn wir uns sehen, bist du geschminkt, sind deine dichten Wimpern hochgeschwungen, ein Lidstrich gezogen und manchmal schmückt deinen unteren Wimpernkranz eine grüne oder graue dünne Puderlinie. Ich trage, wenn, dann nur Mascara und ich traue mich nicht, zu sagen, dass ich morgens keine Zeit habe zum Schminken, nicht, weil ich einen Sohn habe wie du, den du jeden Morgen manchmal mehrmals anziehst, weil er einen anderen Pullover will, den mit dem Löwen, nicht den mit den vielen kleinen Dinos drauf, oder weil er zu übermütig einen Schluck Saft nahm. Nicht, weil ich einen Sohn habe, wie du, dem du jeden Morgen Frühstück machst, zumindest ein kleines, und dann Zähne putzen und nochmal spielen und ihn dann davon überzeugen, dass seine Freunde bestimmt schon warten auf ihn im Kindergarten. Und während du durch deine Drei-Raum-Wohnung läufst von Tür zu Tür hängt an fast jeder Wand und auch am Kühlschrank ein Bild, wo ihr noch zu dritt seid, oder eins von dir und ihm, der jetzt zwar weg ist, aber immer noch der Vater deines Sohnes und immer noch jeden deiner Gedanken und jede deiner Tränen wert. Ich habe morgens keine Zeit, nicht, weil ich einen Sohn habe, wie du, den du dann um acht in den Kindergarten bringst und dann sitzt du manchmal erst um neun wieder im Auto, weil dein Sohn dich nicht gehen lassen wollte und dann musst du zur Arbeit fahren und selbst gefrühstückt hast du meistens nicht. Ich traue mich nicht zu sagen, dass ich morgens keine Zeit habe zum Schminken, weil ich geschlafen habe bis um neun und dann um zehn auf Arbeit sein muss.

Wie weit ist es wohl bis dort hinten, frage ich, und stell dir vor, du hast ein Schiff, das dich bis dorthin trägt. Ich glaube, ich würde an Bord gehen, sage ich, und Maß nehmen bis wir dort sind, wo sich das Meer vorn überwölbt. Du sagst, nein, ich nicht, aber du zögertest, lächeltest noch kurz bevor du das sagtest. Komm, wir gehen, es wird kalt und du wendest dich um und gehst. Ich sehe dir nach, deine Gestalt verschwindet, sie wird an Land geweht bis dorthin, wo sie gebraucht wird.

Immer, wenn ich dich besuche, hast du gekocht, Kartoffeln mit Schwarzwurzeln und Fischstäbchen oder Lasagne, die nicht aus Nudelplatten besteht, sondern aus dünnen Zucchinischeiben, dazu einen frischen Salat und Getränke hast du immer da, Saft, Mineralwasser und Schokomilch. Ich trinke immer nur Leitungswasser und traue mich nicht zu sagen, dass ich keine Getränke kaufe, weil mir das zu aufwändig ist. Einen Nachtisch gibt es auch jedes Mal und manchmal, bevor ich losgehe, ein Betthupferl für alle, denn dein Sohn muss ins Bett und der kann schon verhandeln. Und noch bevor ich gehe, läufst du durch deine Drei-Raum-Wohnung von Tür zu Tür und ziehst dich nebenbei schnell um, wenn dein Sohn gerade nochmal kurz spielt, legst schon das Buch bereit, das ihr euch zusammen anguckt, bevor ihr schlafen geht, schminkst deine schönen Augen ab und kündigst nebenbei immer wieder an, aber gleich geht es ins Bett, damit dein Sohn, der gerade wieder spielt mit kleinen Töpfen und Plastikobst, hoffentlich langsam müde wird. Dann gibst du mir noch Abendbrotreste in einer Tupperdose mit und dann gehe ich vorbei an all den Bildern an der Wand, wo ihr noch zu dritt seid. Hinter mir schließt du die Wohnungstür und drehst den Schlüssel zweimal um und winkst dann kurz noch aus dem Fenster, bevor du irgendwann müde in dein Kissen sinkst. Ich traue mich nicht zu sagen, dass ich keine Getränke kaufe, weil mir das zu aufwändig ist, mir aber fast jeden Tag einen Karamell Macchiato hole, bevor ich um zehn auf Arbeit bin.

Ich stelle mir vor, ich gehe auf das Schiff, dass mich dorthin trägt, wo sich das Meer vorn überwölbt. Dass ich keinen Horizont mehr sehe, heißt Lust, ihn zu übersteigen, aber ich traue mich nicht zu sagen, dass es mich in die Ferne zieht und weg aus meinem kleinen Leben, nicht, weil ich einen Sohn habe wie du und Verantwortung, die erdrückt. Du legst jeden Monat Geld zurück und hast immer noch die Spielsachen deines Sohnes von früher und die Kleidung, in die er nicht mehr passt, weil du eigentlich ein zweites Kind willst, aber den Vater dieses Kindes gibt es nur als Fotos an Wänden und der Kühlschranktür. Ich traue mich nicht zu sagen, dass es mich in die Ferne zieht und ich nicht weiß, ob ich mal Kinder will, nicht, weil ich einen Sohn habe wie du und nur mich selbst dazu, sondern weil ich Angst davor habe, das alles nicht zu schaffen.
Ich lasse das Schiff ohne mich ablegen und gehe landeinwärts hinter dir. Hinter uns rollt sich in den Sand die See und krause Gischt sieht ganz kurz aus wie schaumgeschlagener Stoff, platzt und versickert. Die Wellenausläufer ziehen sich zurück in das himmelgraue Meer, das irgendwo ganz weit hinten sich vorn überwölbt. Ich würde dir gern sagen, dass, nur weil ich keinen Horizont dort sehe, es trotzdem einen gibt für dich und bestiegen wir beide das Schiff, nähmen wir Maß, bis wir ihn erreichten und je nach Wetter und Höhe des Schiffs sind das auf offener See ungefähr 20 nautische Meilen.

 

Henni-Lisette Busch

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