freiTEXT | Björn Potulski
Als ich diese Worte an dich las
Ihre Versuche, mich ins Wasser zu stoßen, scheiterten zumeist. Nicht jedoch immer. Mit Mühe haben sie es vor kurzem erst geschafft, mir zumindest meine neuen Schuhe zu verderben. Doch meistens schafften sie es nicht. Zu sorgfältig halte ich mich von allem fern, was Uferkanten hat, über die man stürzen könnte. Sie ärgern sich sehr über meine Vorsicht. Denn die Stadt hat Wasser! Beinahe überall. Sie hat drei Bäche, einen großen Teich im Park, zwei Flüsse und einen mittelgroßen Strom, mit dem alles dies in oberirdisch-offensichtlicher, oder wenigstens in untergründiger Verbindung steht. Also fehlte es ihnen nicht an Gelegenheiten, mich zum Wasser hinzustoßen. Und das versuchten sie, Tag für Tag. Immer, wenn ich rausging. Jetzt aber habe ich genug davon. Ich bleibe drinnen. Doch sie werden nicht von mir lassen. Immer wieder einmal schlage ich die Gardine ein Stück beiseite, gerade weit genug, damit mein Blick durch den Spalt nach draußen gehen kann: Unten stehen sie und warten. Ihre Beharrlichkeit im Warten ist dem Fluss des Wassers ebenbürtig.
Wo liegt nun meine Schuld? Liest man sie an meinen neuen Schuhen ab? – Aus braunem Leder sind sie, rundherum, die Sohlen auch, aus braunem Leder. Auch die Schnürsenkel sind braun, nicht aber aus Leder. Also gehört das nicht zur Schuld, denn die braunen Schnürsenkel sind aus Baumwolle. Baumwolle wird nass und trocknet. Auch das braune Leder trocknet. Doch es bleiben Wasserflecken.
Nach langer Zeit erst –. Nach langer Zeit erst hebt Vater seinen Blick von den Wasserflecken hoch. Und sticht mir damit in die Augen. – Nicht in die Augen, nein. Mehr in den Hals. Ja, in meinen Hals senkt Vater seinen Vorwurf ein, und das recht tief. Mir bleibt die Luft zum Atmen weg. Ist doch diese Luft seine Luft. Keine Luft, das ist wo die Schuld ist. Das ist, wo ich bin. Ich bin unter Wasser –. Flecken. Dabei – doch wollte ich es wagen, mich auch noch zu verteidigen?
Unaufhörlich dringt der Lärm der Stadt zu mir herein. Gefrorene Wasserbälle, die auf Blechdach krachen. So dringt der Lärm der Stadt zu mir herein und die Gedanken ihrer Bewohner. Ihre Selbstgespräche. Vorgehalten sind die Hände, zugezogen ist mein Fenstervorhang (und das Fenster dicht geschlossen!). – Mit der einen Hand halte ich die Gardine ein Stück offen, mit der anderen versuche ich festzuhalten, was ich draußen sehe, was ich höre. So kratzt die Feder über das Papier, das ich auf die Fensterbank lege, gehalten nur von einem rohen Stein.
Nun lässt sich nicht fortwährend hinter der Gardine stehen und zum Spalt hinaussehen. Niemand könnte das. Einige Verzagte mögen es versuchen, doch es sinkt der Arm, irgendwann, unweigerlich, es erschlafft die Hand, die den Spalt eröffnete. Zufallend werden sie gesondert, hinter dem zugehängten Fenster: sie drinnen, wo sie mit ihrer Schuld verharren, abgesondert von dem Draußen, wo man wartet, mit der Ausdauer, die das Wasser hat in seinem Fließen. Auch lässt sich nicht fortwährend schreiben, immer weiterschreiben, so sehr ich es versuche (immer, sogar dann, wenn ich nicht an der Gardine stehe). Sie, sie versuchen es nicht. Ich, ich versuche es. Und erlahme. Hebe die Feder von dem Blatt. Es stockt der Fluss der schwarzen Tinte. Und versiegt. Dann gibt es nur noch draußen sie und drinnen mich. Drinnen? –
Ich liege. Liege auf dem Grund; liege auf dem Rücken und es strömt über mich hinweg. Ein wenig nimmt es mich wohl auch in seine Richtung mit, das teilen mir die Brocken mit, die das Bett des Flusses kleiden. Mein Hinterkopf stößt an rohen Stein. Der Stein empfängt den Kopf mit dem äußersten an Sanftheit, zu dem der Stein die Möglichkeit besitzt. Das hintere meines Kopfes gleitet nicht darüber weg, solche Sanftheit liegt nicht darin – ich stoße immer wieder an, der Stoß hebt ihn ein wenig in die Höhe, bis das Hindernis überwunden ist und er wieder sinken kann, mein Kopf. Eben wollte ich mir – das Entsetzen war schon im Begriff, mich loszulassen – eben hatte ich beschlossen, mich in meiner Lage einzurichten, als ich schon wieder daraus hervor gerissen werde: Papiere treiben. In langer Kolonne treiben Sie über mich hinweg. Die Papiere überholen mich, treiben sie doch ungehindert von den Steinen und der Schwere an der Oberfläche hin, unter der ich liege. Auf dem Weißen erahne ich noch meine Hand in schwarzer Tinte. Auf den Wellen tanzt sie – für mich unerreichbar, so sehr ich mich auch danach Strecke. Und es würde auch nichts bleiben, um danach zu greifen – die Schrift beginnt schon, sich von dem Papier zu lösen. Sie geht ins Wasser über und was konnte ich da tun? Ich sog sie ein, durch meinen Mund, den ich jetzt weit aufriss. Die Schrift schmeckte scharf und bitter. Und ich sog sie durch die Nase ein – sie lässt mich husten, wie der Rauch in meinem Zimmer, den der Brand der Blätter macht, die ich beschrieben habe. Eines aber, eines sehe ich noch im Fließen, im Zerfließen, etwas kann ich wohl entziffern: „Nein“. – Und ich denke ganz bei mir, hier unten: so sehr du dich dagegen sträubst – sie greifen doch nach dir, sie kriegen dich zu fassen und sie packen dich mit ihrem festen Griff. Und sie zerren dich empor zu sich. Hinauf, an ihre Luft.
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