freiVERS | Adrian Brauneis

Ronnie

Wie üblich kehrte der Junge,
Ronnie war sein Name,
erst spät am Abend nach Hause zurück.
Er hatte Überstunden in der Fabrik gemacht, wie üblich.
Rechnungen warteten ungeduldig darauf bezahlt zu werden.
In ihrem kleinen Appartement war Izzy, Ronnies Freundin,
bereits vor dem weiß flackernden Fernseher eingeschlafen;
ihr dicker Bauch hob und senkte sich rhythmisch vor dem
Schneegestöber auf der Mattscheibe –
ein Walfisch, der die Wasseroberfläche durchbricht, um sich für
Sekunden im Mondschein zu baden.
Das dachte Ronnie bei ihrem Anblick.
Auf dem Tisch waren Käsemakkaroni in einer Pappschachtel
schon lange kalt geworden.
Ronnie setzte sich und aß trotzdem.
Dann stand er auf,
ging ins Bad
und rasierte sich,
wie üblich,
Schädel und Nacken,
duschte heiß, bis das ganze Badezimmer von Wasserdampf
vernebelt war,
feilte danach Finger- und Zehennägel gründlich ab und bürstete
sich die Zähne genau fünf Minuten lang.
Schließlich zog er sich an:
Seine schwarze Bomberjacke über einem blütenweißen, eng
sitzenden baumwollenen T-Shirt,
eine Blue Jeans, der Saum an beiden Beinen umgeschlagen
und zuletzt seine schwarzen Stiefel, nachdem er sie mit einem
Lappen, wie üblich, zum Glänzen gebracht hatte.
Der Schlüssel steckte schon im Schloss, als er noch einmal in die
Wohnung zurückkehrte.
Er schaltete den Fernseher ab und breitete,
schuldbewusst,
eine Navajo-Decke über Izzy aus;
er strich ihr durchs Haar und sie lächelte im Schlaf.
Dann verließ er die Wohnung,
darauf bedacht, die Tür geräuschlos hinter sich zu schließen.

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Adrian Brauneis

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freiTEXT | Adrian Brauneis

Der Gott der Ameisen

“I come here to discuss a piece of business with you, and whadda you gonna do? You gonna tell me fairy tales?”

Thief  (1981)

Es war einmal vor langer Zeit, und vor langer Zeit war eine vorwitzige Ameise, eine Ameise, die hat nicht glauben wollen, dass es Gott im Himmel gibt.
„Immer soll ich nur arbeiten!“, hat diese vorwitzige Ameise gesagt und hat dann gesagt: „Nie darf ich faul auf meinem Rücken liegen!“ Da hat die vorwitzige Ameise gesagt: „Erklärt mir das!“
„Wir Ameisen, wir arbeiten, tagein, tagaus, den lieben langen Tag, weil Gott im Himmel es so gefällt“, haben alle gläubigen Ameisen der vorwitzigen Ameise da gesagt, die nicht hat glauben wollen.
„Erklärt mir das!“, sagte da diese vorwitzige Ameise. „Nie kriege ich meinen Willen.“ hat die vorwitzige Ameise dann gesagt. „Immer soll ich nur machen, was Gott im Himmel gefällt!“
„Wir Ameisen, wir arbeiten, tagein, tagaus, den lieben langen Tag, weil Gott im Himmel es gefällt, dass es die Natur der Ameise ist, zu arbeiten, tagein, tagaus, den lieben langen Tag“, haben alle gläubigen Ameisen der vorwitzigen Ameise da gesagt, die nicht hat glauben wollen.
„Erklärt mir das!“, sagte da diese vorwitzige Ameise. „Wie soll es denn meine Natur sein?“, hat die vorwitzige Ameise jetzt gesagt, „wenn ich es ja nicht will!“ Und hat dann gesagt: „Ich will nicht mehr arbeiten!“
„Hüte dich!“, haben alle gläubigen Ameisen zu dieser vorwitzigen Ameise da gesagt, die nicht hat glauben wollen. „Hüte dich… vor Gottes Zorn!“
Doch da erwiderte die vorwitzige Ameise: „An euren Gott glaube ich nicht!“ Und sie arbeitete nicht mehr, dass alle sehen sollten, dass sie wirklich einen ganz eigenen Willen hatte.
Als die vorwitzige Ameise nicht mehr arbeitete, da war wohl ein großes Ach und Weh unter allen gläubigen Ameisen in den vier Ecken unserer kleinen Ameisenwelt. „Gott wird die vorwitzige Ameise bestrafen!“, sagten sich alle gläubigen Ameisen. Aber Gott bestrafte sie nicht. Nichts tuend lag die vorwitzige Ameise bloß auf ihrem Rücken in der immer gleichen Luft und unter der immer gleichen Sonne unserer kleinen Ameisenwelt.
Was geschah? Alle Ameisen sagten sich nun: „Auch ich habe einen ganz eigenen Willen und will nicht mehr arbeiten!“ Da lagen bald alle Ameisen faul auf ihrem Rücken in der immer gleichen Luft und unter der immer gleichen Sonne unserer kleinen Ameisenwelt.
Jede Ameise ging jetzt nur noch ganz allein für sich zu dem Platz, wo wir in unserer kleinen Ameisenwelt von jeher immer etwas Süßes finden. Da holte sich jede Ameise jetzt nur noch ganz allein für sich eine süße Leckerei. Und dann lag jede Ameise wieder ganz allein für sich auf ihrem Rücken und jede Ameise freute sich, nun einen ganz eigenen Willen zu haben.
So ging es zu, dass alle Ameisen allmählich alt wurden, solange geschah da nichts mehr in den vier Ecken unserer kleinen Ameisenwelt.
Das wäre wohl das Ende gewesen, was glaubt ihr? Da donnerte es plötzlich, und donnerte ein zweites Mal und donnerte ein drittes Mal. Und dann bebte die Erde und in den vier Ecken unserer kleinen Ameisenwelt geriet alles durcheinander, so wild flog da die Erde durch die immer gleiche Luft unserer kleinen Ameisenwelt. Und unsere immer gleiche Sonne hob sich hinfort, hoch in den Himmel hinweg, und alle Ameisen zitterten, so dunkel und so kalt war es nie gewesen in den vier Ecken unserer kleinen Ameisenwelt.
Da hatten alle Ameisen Angst und sagten: „Das ist Gottes Zorn! Ameisen sollten arbeiten, wie es ihre Natur ist und Gott im Himmel gefällt!“ Und sie zeigten auf die vorwitzige Ameise, die nicht hatte glauben wollen, und sagten: „Die vorwitzige Ameise! Mit einem freien Willen hat sie uns verführt!“
Die Ameisen hatten also ihren Glauben wieder. Und so schnappten sie sich die vorwitzige Ameise, die nicht hatte glauben wollen, und alle zusammen rissen sie sie in viele kleine Stücke.
Da kam die Sonne wieder herab und da bebte die Erde nicht mehr und da donnerte es auch nicht mehr. Und seither herrscht wieder lieber Friede in allen vier Ecken unserer kleinen Ameisenwelt. Denn seither arbeiteten ja alle Ameisen wieder. Fleißig arbeiteten sie alle wieder, so, wie es die Natur der Ameise ist, dass ihr Anblick Gott im Himmel ein Wohlgefallen war.

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Adrian Brauneis

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