Trägt jeder Körper eine Spur Verwegenheit

I Wurzeln

Es kann Jahre dauern, bis ich den Boden
erforscht habe, den Regen und die Nacht.
Wir reiben uns aneinander,
und es gibt Zonen, die noch nicht
ausgelotet sind nach all der Zeit.

Im Winter trägt meine Rinde
das Weiß des Anfangs,
eine Stille, die schneit,
schreit.

 

II Stamm

Ich gehe nicht auf dich zu.
Du legst die Hände
auf meinen Körper, weil Sätze
auf der Haut zerfallen.

Als Mutter noch Sprache war,
bin ich aus Gedichten geboren,
habe mich geschüttelt, bis die Worte brachen.
Du hast mich gesehen
im Wasserspiegel eines Sees.

Wir gehören der gleichen Familie an.
Die Fremde hat längst ihre Rinde gelassen.

 

III Astwerk

Ich will viele sein,
streife dich aus verschiedenen Richtungen.
Meine Haut spricht am schönsten
mit der Erde.
Wie du heißt, vergesse ich am nächsten Morgen,
und doch nehme ich drei Worte
mit zu mir.

Gemeinsam loten wir Berührungen aus.
Deine Augen sind aus Moos,
und die Landschaft ruft aus mir heraus.

Sieh mich vom Ursprung her.
Meine Geburt war leise.

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Sigune Schnabel

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