Krokodile in Florida

Als ich ein kleines Mädchen war hatte ich Angst vor der Atombombe und dass Papa seine Arbeit verliert.

Die Eltern sind zu Besuch. Sie haben Kuchen und Brennholz mitgebracht. Papa schichtet das Holz draußen auf, zwischendurch zieht er ein Taschentuch aus der Hosentasche, Mama legt ihm nach dem Bügeln immer eines hinein, so gefaltet, dass die gestickten Initialen obenauf liegen. Papa wischt den Schweiß von der Stirn, stopft das Tuch wieder in die Hosentasche.

Mama sagt, bis die Kinder da sind, können wir schon mal Kaffee kochen und ob es in diesem Haus nicht einmal ein Tischtuch gibt. Dann steht der Kuchen auf dem Tisch und Papa kommt wieder herein: Sag deinem Mann, er soll das Holz hacken. Hock dich, sagt Mama. Wir setzen uns, sie erzählen vom Urlaub in Florida.

War er morgens von der Schicht gekommen, wartete ich, bis die Bier-
flaschen in der Küche klimperten. Ein Zischen, Gluckern … aaah; dann lief ich zu ihm. Zu kalt, nur im Nachthemd, brummte er, machte den Backofen an und den Deckel auf. Er zog den Küchenstuhl davor und hob mich hoch. Meine Füße in seiner riesigen Hand, die klammen Zehen bohrten in seine Handfläche. Bis Mutter hereintrabte: Was hier schon wieder los ist, ob wir Maulaffen feilhalten und was solln  das mit dem Backofen. Kostet Strom nix mehr oder was?

Mama sagt, dass in Miami Wasser und Luft immer die gleiche Temperatur haben. Ist es an einem Tag 24 Grad warm, so gilt das auch für das Meer. Papa meint, das könne wohl nicht ganz stimmen, wenn es nämlich im Hochsommer mal über 40 Grad habe, und das wäre nicht selten, würde das Meer wohl kaum so heiß werden.

Vom Meer weg führen Kanäle, erzählt er, richtige Schiffstraßen, wie in Venedig, bloß viel breiter, die parken ihre Yachten direkt vor ihren Häusern. Was heißt Häuser, Schlösser sind das. Und Unsereins steht davor und kommt sich blöd vor, weil man immer geglaubt hat, man hätte im Leben auch was geschaffen, aber doch nicht so etwas und nicht in einem Land, wo das Wasser so warm ist wie die Luft. Wer hätte gedacht, dass es so etwas überhaupt gibt.

Zum Putzen reicht mir unser Schloss auch, sagt Mama, und außerdem sieht man da drüben überall nur Schwarze arbeiten. Im Hotel, an der Tankstelle, da wird schnell klar, wer bei denen die Arbeit macht … Genau, fällt Papa ihr ins Wort, nicht so wie bei uns, wo die Kanacken den ganzen Tag nur herumlungern. Bist du still jetzt, Mama boxt ihn auf den Oberarm, die Röte schießt ihr ins Gesicht. Er meint das nicht so, Kind. Es ist nur … der Flug war so lang … und dieses Englische … wir mussten so auf der Hut sein, dass wir bei der Reiseleiterin bleiben. Wir hätten ja alleine nicht einmal nach dem Weg fragen können. Genau, sagt Papa, und die Sitze im Flugzeug waren so eng, mir tut jetzt noch alles weh. Papa hebt die Kaffeetasse an, er greift sie mit der ganzen Hand, sein Finger passt nicht durch den Henkel.

Unter der Haut schimmert es schwarz: das sind winzige Teilchen der Schlacke, die er in den Hochofen schaufelte. Sie war heiß, hat sich wie eine Tätowierung in die Haut gebrannt. Das lässt sich nicht mehr auswaschen; nicht aus den Händen, nicht aus dem Mund. Alle halbe Stunde fauchte und zischte es am Hochofen und der Schlot stieß eine Flamme aus: eine Charge blasen nannte Papa das und er sagte immer zu mir, solange es das noch auf der Maxhütte gäbe, müsste ich mir um nichts Sorgen machen. Wenn er auf Schicht ging und ich schon im Bett lag, lauschte ich den ruhigen Atemzügen meiner Brüder und wartete mit dem Einschlafen bis die nächste Charge den Himmel vor dem Fenster gelbviolett erhellte.

Es war so schön in Florida, mein Kind, die Strände wie Puderzucker. Und das Licht! Wie aus Diamanten glitzert das Meer in der Sonne, jeden Tag wieder. Papa nickt und trommelt den Rhythmus eines Liedes mit den Fingern auf den Tisch. Ja, schön wars. Aber doch so weit weg von zu Hause … genug erlebt, würde ich sagen und nächstes Jahr läuft mein Reisepass eh ab … ach, übrigens, Krokodile haben wir auch gesehen, die sind da recht häufig … Alligatoren, verbessert Mama. Ach so? Dann eben Alligatoren. Ganz schön große Viecher. Aber Angst hatten wir nicht.

Nein, keine Angst, sagt Mama und legt ihre neben Papas Hand.

Sabine Roidl

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