Der Senior Change Manager Samsa geht baden und gewinnt an Profil
Diese Dinge passieren gerade dann, wenn man glaubt, man sei auf alles vorbereitet. Das ist klar.
Aber die Erkenntnis, dass ich meine Veränderung nicht ändern kann, traf mich erst, als ich heute Morgen aus der Badewanne stieg und das Wasser von meiner ledernen Haut abperlte, ohne Feuchtigkeit zu hinterlassen. Ich brauchte plötzlich kein Handtuch, die Nässe formte sich auf mir zu kleinen Flüssen, die ihren Weg gen Boden fanden und in den Ritzen der Badezimmerfließen mündeten, wo Ozeane entstanden. Ohne Erstaunen stellte ich fest: Ich war so schnell wie nie zuvor trocken, ich war gut gepanzert gegen das Wasser.
Ich hatte schon eine Weile zuvor den Verdacht gehegt, dass ich in eine Abwärtsspirale geraten bin. In der Burnoutdiagnostik wahrscheinlich irgendwo zwischen Stufe sieben und elf. Man kennt das: Es beginnt mit Rückzug und Meidung sozialer Kontakte, dreht sich dann weiter zu deutlicher Verhaltensänderung, danach bei Stufe neun Depersonalisierung durch Kontaktverlust zu sich selbst und anderen, und so weiter. Bei Stufe zwölf sind die Suizidgedanken kaum mehr auszuhalten und werden in der Regel auch nicht mehr ausgehalten.
Ein paar Wochen oder Monate lang schon hatte ich mich seltsam gefühlt, irgendwie down und under pressure. Seit dem desaströsen Acquisition Pitch in Abu Dhabi mindestens, soweit ich mich erinnere. Als würde ein Gewicht auf mir liegen. Je höher ich mich reckte, je stolzer ich mich aufrichtete, desto weiter drückte es mich nach unten. Und ich griff ja immerhin hauptberuflich nach den Sternen, sollte ich an dieser Stelle erwähnen.
Die Frau war verreist, vielleicht war das schon eine Weile so. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal von ihr gehört hatte. Ich hatte versucht, den Zustand, so gut es ging, zu ignorieren. Mir meine noise-cancelling headphones, die ich sonst nur auf Interkontinentalflügen benutzte, auf die Ohren geschoben, um das Grillenzirpen und Wellenrauschen loszuwerden. Heimlich hatte ich sogar ein paar Pilatesübungen gemacht, und dabei verzweifelt versucht, mein Powerhouse zu reaktivieren.
Gestern war es dann allerdings so schlimm gewesen, dass ich mich fast krankgemeldet hätte.
Es war weniger das Unwohlsein selbst, als die Sorge darüber, dass es mir auffiel. Dass mein Körper plötzlich so präsent war, wie bei keinem Ultramarathon-Training, bei keinem High Intensity Workout zuvor. Wenn es mir in meinem Erwachsenenleben je irgendwie gegangen wäre, so konnte ich mich zumindest nicht daran erinnern. Das hier erschütterte mich.
Aber dann wog die Angst vor den Folgen einer Krankmeldung im Allgemeinen und im Speziellen meinem Chef, dem Director of People and Culture, der in zwei Wochen mein Appraisal durchführen würde, doch schwerer. Ohne einen nicht selbst verschuldeten Autounfall oder Dengue-Fieber brauchte ich es gar nicht zu versuchen.
Also schleifte ich mich durch den Tag. Doch all die Dinge, die mir sonst eine gewisse Befriedigung gegeben hatten – zum Beispiel im Vice President’s Office unter den Augen der Board Members mit Keywords bekritzelte Papierbögen vom Flipchart reißen, allein im Aufzug meinen Elevator Pitch vor dem Spiegel üben und mich dabei filmen, nach 22 Uhr Emails ans Team weiterleiten, oder den Junior Associate bitten, sich bis morgen um meine Reisekostenabrechnungen von letztem Jahr zu kümmern – bewegten nichts in mir.
Nach vier hielt ich es nicht mehr aus und verließ, unter dem Vorwand noch zwei Client Meetings und ein Working Dinner zu haben, das Office. Daheim brach ich schon auf dem Flur zusammen. Das Rooftop Loft war leer. Meine Atemgeräusche prallten an den perlgrauen Wänden ab und verstärkten sich zum Echo, als hätte jemand die Bluetooth Speaker übersteuert. Ich lag auf dem Boden, starrte die Zimmerdecke an und fragte mich, warum niemand außer mir da war. Dabei wurde ich starrer und starrer und der Geruch abgezogener Tierhaut breitete sich aus. Mein Äußeres war ausgetrocknet, hart und unnachgiebig und meine Bewegungen veränderten stufenweise ihre Frequenz. Mein Hirn hatte die Steuerung verloren, ihm hierarchisch unterstellte Körperteile mutierten plötzlich zu Anarchisten, die gegen die Befehle von oben Sturm liefen und frech machten, was sie wollten. Es war ein Zappeln, ein Kribbeln, ein Surren und Zwitschern in mir, ein ganzer wildgewordener Zirkus mit Tigern und Zaubertricks, die ich selbst nicht durchschaute. Ich merkte, wie nutzlos ich allein war. Das Verlangen, von jemand anderem, der die Richtung kennt, mitgenommen zu werden, jemandem einfach nur so zu folgen und behilflich zu sein, kam mir in den Sinn.
Der Gedanke machte mich wütend, dann ängstlich. Grundsätzlich diagnostizierte ich eine tiefe Verunsicherung in mir. Sie saß ein paar Schichten unter der Oberfläche, hatte sich verkeilt unter dem Brustbein, wo sie leise und doch beharrlich vibrierte. Wie konnte das sein? Ich war doch gottverdammtnochmal ein Leader, kein Follower. Ich war ein Creator. Dafür hatte ich mein eigenes American-Style Office mit Jalousien am Ende des Ganges, samt gläsernem Besprechungstisch, gerahmter Banksy-Streetart an den Wänden und bequemen Bean Bags aus einer Kooperative in Guatemala. War ich nicht jemand, zu dem die Heerscharen von Teamleadern und Assistants ehrfürchtig aufschauten, dessen Blick sie bei flüchtigen Begegnungen auf den Korridoren lieber auswichen, jemand der wusste, wo es langgeht?
Doch als erfahrener Change Manager war mir auch klar, dass Change bei den Betroffenen nie gut ankommt. So auch bei mir nicht. Ich versuchte mir die einzelnen Stages nach Lewins Modell in Erinnerung zu rufen. Aber es ist etwas Anderes, wenn man sie auf sich selber anwenden soll, statt auf eine Gruppe alternder Telefonistinnen, deren Jobs nach Manila ausgelagert werden. Wie so viele meiner Stakeholder zuvor, versuchte ich das Offensichtliche zu leugnen, wand ich mich, wehrte ich mich – und gab doch schließlich den Kampf gegen den Change auf. Ich wurde resignierter, schwächer, dann friedlicher. Ganz am Ende der Nacht embracete ich den Change sogar. Ich drückte mich fest an ihn und sog seinen salzigen Meeresgeruch ein. Dann wuschelte ich ihm durch das sonnengebleichte Haar und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Nasenspitze, was uns beide zum Kichern brachte.
Heute Morgen, als der Change in der Küche war, wo er die Espressomaschine übersah und mir stattdessen ein Glas Milch warm machte, während ich das wimmelnde, wuselnde Leben in den Ozeanen zwischen den Badezimmerfließen bestaunte, akzeptierte ich dann endlich, dass ich nicht mehr der Alte war. Ich würde nicht mehr in dieses Büro gehen, ich würde nicht mehr führen können.
Ich bin jetzt nur noch ein Wanderschuh. Das ist die ganze Wahrheit.
Ich bin graubraun, matt. Mit hellbraunen Schnürsenkeln, ohne Einlage, kein Markenname. Die Größe unlesbar, vielleicht eine 42, grob geschätzt.
Die Leute werden Fragen stellen, was das denn zu bedeuten hätte, und ich werde keine Antworten geben können. Die Jüngeren werden es vielleicht noch als selbstironisches Statement interpretieren, der Rest die Blickrichtung ändern, von jetzt an auf mich herabschauen. So oder so wird man über mich reden. Ein Wanderschuh, gütiger Gott. Noch nicht mal ein Sneaker, noch nicht mal ein Mid Cut, werden sie sich zuraunen. Noch nicht mal „Just do it!“.
Aber was soll ich ihnen entgegnen, wozu mich mit ihnen anlegen. Es ist ja so, wie sie sagen. Ich erhebe nicht mehr den Anspruch, irgendetwas Besseres zu sein. Lieber verbringe ich mein Leben in einer Ecke stehend, jedenfalls solange da niemand kommt, der mich will.
Auf der Haben-Seite rechne ich mir zu, dass ich imprägniert bin und eine robuste Sohle mit ordentlichem Profil besitze.
Ich habe keinen Selbstzweck und kenne keine Selbstwirksamkeit.
Ich muss jemanden halten, um rennen zu können.
Katharina Goetze
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