Buttermenschen

„Entschuldige, ich muss Dir das einfach sagen: Du hast unglaublich schöne Flanken! Wirklich. Fiel mir gleich auf, als Du zugestiegen bist.“ Adjektivlos schaut sie mich an. „Das hörst Du sicher öfter, oder? Dass Du atemberaubende Flanken hast.” „Ehrlich gesagt, nicht so oft, nein.” Erstaunlich eigentlich, denke ich und antworte entsprechend. „Ist ja nicht so, dass perfekte Flanken alltäglich sind. Entweder haben die Menschen den Blick für das Schöne oder den Sinn für Komplimente verloren. Beides nicht vertretbar, wenn Du mich fragst.“ Sie fragt mich nicht.

Das frühzeitige Verebben eines nicht zustande gekommenen Gesprächs ist eine mir vertraute Situation, mit der ich umzugehen weiß. Normalerweise würde ich einen letzten, bewundernden Blick auf ihren komplimentierten Bereich werfen und mich dann bis zum Erreichen des Zielbahnhofs meinem Larvenbestimmungslexikon widmen. Normalerweise. „Oh“, sage ich und meine damit die Jubiläumsausgabe, in die die Schönbeflankte sich vertieft hat. „Du interessierst Dich für mikrobiologische Prozesse?“ Sie nickt. „Dann darf ich also hoffen, dass Du auch auf dem Weg nach Neuruppin bist?“ Neuruppin und Hoffnung in einem Satz, passiert mir sonst eher selten. „Zum Käferlarvensymposium?” Erneutes Nicken. „Tja, dann”, gebe ich mich geheimnisvoll und ihr Gelegenheit, nachzuhaken.

(Gelegenheit 1)

(Gelegenheit 2)

(Gelegenheit 3)

„Tja dann“, wiederhole ich, „dann bin ich wohl weiter dran, was?“ Keine Regung ihrerseits. „Okay. Also bin ich.“ „Bist was?“, fragt sie. „Na – weiter dran“, antworte ich. „Mit fragen. Man ist solang dran, bis man daneben liegt oder das Rätsel gelöst hat.“ Es gehört nicht viel dazu, ihre Körpersprache als Desinteresse zu deuten. Immerhin keine gänzliche Ablehnung. Das schürt Hoffnung. Und noch glüht mein Gesprächsfunke. „Lustig, dass ausgerechnet der Ptilinus Pectinicornis auf dem Umschlag abgebildet ist. War mein allererster Käfer, weißt Du.“ Weiß sie natürlich nicht. Woher sollte sie. „Siehst Du, hier.“ Ich halte ihr meinen Unterarm hin. Sobald sie das dort tätowierte Ebenbild von Sir Arthur bewundern würde, denke ich im Konjunktiv, werde ich ihr im Indikativ erklären, was es damit auf sich hat. Nun gut, ich würde es ihr auch erklären, wenn sie nicht bewundert. Wenn sie einfach nur fragt. Oder fragend blickt. Oder blickt. Okay, beschließe ich, ich erkläre es ihr, ohne dass sie etwas dafür tun muss.

„Darf ich vorstellen: Sir Arthur. So sah er aus, als ich ihn fand. Mutters Putzfimmel. Ein strahlender Tag für den Haushalt, ein schwarzer Tag für Sir Arthur und mich. Von wegen, Käfer könnten in so einem Staubsaugerbeutel noch eine ganze Zeit überleben, wie Abraham in Moby Dicks Bauch. Ich hoffe, Sir Arthur war auf der Stelle tot und musste sich nicht zwischen all den Fusseln, Flusen Krümeln und anderen Klack-Klacks quälen, aus denen ich ihn barg. Zumindest sieht er friedlich aus, oder?“ Ich betrachte noch einmal sein Bild. „Ja. Doch. Friedlich.“, bestätige ich meine Einschätzung und krempele den Ärmel wieder runter. Sie hatte wirklich genug Zeit, einen Blick darauf zu werfen.

Wie aus dem Nichts schiebt sie ihr linkes Hosenbein nach oben. Herrjeh, schöne Fesseln hat sie auch noch. „Da“, sagt sie und tippt auf das tätowierte Wimmelbild aus Punkten und Stäbchen an ihrem wohlgeformten Knöchel. „Meine Lieblingsmikroben in tausendfacher Vergrößerung.“ „Gibt es etwas Bedeutenderes, das zwei Fremde auf der Fahrt nach Neuruppin miteinander teilen können?“, frage ich und meine es ernst.

„Vielleicht schon“, gibt sie, ebenfalls ernst, zu bedenken und sendet folgende Signale:

  • hungriger, beinahe gieriger Blick
  • dezent geöffnete Lippen, mit der Zunge selbstvergessen umfahren
  • leicht gerötete Wangen
  • sichtbares Pulsieren der Halsschlagader
  • mir zugeneigter Oberkörper

Obwohl Flirten nicht meine Königsdiziplin ist, weiß ich, die Zeichen zu deuten und rutsche auf meinem Sitz vor. Die Nervosität versuche ich mir nicht anmerken zu lassen. Als ich mich gerade zu ihr beugen und ihr das geben will, wonach ihr offensichtlich ist, holt sie mich mit einem „Hoffentlich richtige Butter und keine Margarine?“ in das Wurstbrot-Hier zurück. „Ach, das meinst Du.” So, wie sie mein Proviantpaket auf dem Klapptischchen zwischen uns fixiert, ahnt sie wohl nicht, was ich eben vorhatte. “Nein. Ist richtige Butter. Und richtige Wurst und richtige Landgurke auch.“

Ich bedeute ihr, sich an den Broten zu bedienen. „Ach super, danke!“ Um unser zartes Band zu stärken, greife ich mir trotz Völlegefühls auch eins. „Es gibt ja Buttermenschen und Margarinemenschen. Obwohl letztere gar keine richtigen sein können. Meine Meinung.“ Meine auch, wie ich ihr mit Nicken und aufgestelltem Daumen zu verstehen gebe, während ich mit der anderen Hand versuche, mein Brot so zusammenzudrücken, dass ich beim Abbeißen nicht den kompletten Rohschinken runterziehe. Ich wünschte, ich hätte mich für einen weniger komplizierten Belag entschieden oder sie sich wahlweise für den gleichen.

Stattdessen hat sie sexy Teewurst und ich ein kulinarisches Desaster. „Mal ehrlich, was ist das für ein Leben? Kompromiss wählen, statt sich für das einzig Richtige zu entscheiden? Sowas zieht sich ja durch. Das hört ja bei Ersatz-Butter nicht auf. Nehmen wir beispielsweise …” Kaugeräusche überlagern ihr Beispiel. Hätte ich nicht noch immer mit dem Schinken zu kämpfen, würde ich nachfragen. „Während Margarinemenschen also noch Probleme suchen und hadern, haben sich Buttermenschen schon entschieden. Und zwar richtig.” Erneut beißt sie in ihre Teewurststulle. Gerade so, als sei die ein Apfel und dies ein TV-Spot für Zahngesundheit. Ob ihre Makellosigkeit ihr manchmal ähnlich lästig ist, wie mir aktuell der Rohschinken? „Müsstest Du doch genauso sehen. Bist ja schließlich auch ein Buttermensch.“ Egal jetzt – ich ziehe den Schinken vom Brot und schlinge runter. Sie hat mich tatsächlich soeben zum Buttermensch geadelt. „Nehmen wir dieses Oder-Spiel. Kaffee oder Tee. Winter oder Sommer. Katze oder Hund. Berg oder Meer. Jetzt oder später. Später oder nie. Und oder oder? Solche Spiele fallen nur Margarinemenschen ein. Für Buttermenschen gibt es kein Oder. Kein X, wo ein U ist, keine Birne im Apfelgewand.” Ich bewundere ihre Tiefgründigkeit und Entschiedenheit ebenso, wie ihre Flanken und Fesseln.

„Ah. Hier ist noch was frei”, tönt es da unangenehm aus der Schiebetür unseres Zugabteils, das leider keine Zweier-Suite sondern ein Sechs-Personen-Abteil und damit auch anderen zugänglich ist. In diesem Fall dem verhutzten Störer, der sich geräuschvoll auf den Sitz neben mir fallen lässt. Ausgerechnet, als sie und ich kurz davor waren, einander ewige Liebe zu schwören oder uns wenigstens unsere Namen zu verraten, platzt er rein. Tatsächlich ist seine Hutzigkeit das einzig Besondere an ihm. Ansonsten lässt sich ganz objektiv feststellen, dass er über sehr viel Gesicht, sehr wenig Behaarung und einen zweckmäßigen Körper verfügt und dass er ein typischer Weder-Noch ist, was in diesem Fall dem Mängelexemplar eines Sowohl-als-Auchs entspricht. Beeindruckend unangenehm, wie er versucht, um ihre Aufmerksamkeit zu buhlen. Nicht in der Lage, ihr Desinteresse zu erkennen oder zu akzeptieren, monologisiert er unablässig über sich und ähnlich Unspektakuläres. Während sie ihn dabei entweder gar nicht oder versehentlich ansieht, befasse ich mich mit folgender Rechnung: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit W, in einem beliebigen Abteil X eines beliebigen Zuges Y auf eine Person Z zu treffen, die nicht nur die weltschönsten Flanken und Fesseln hat, sondern zudem Interesse I an der Lösung “für das vieldiskutierte Problem, dass es beim Verschrauben der Pins immer zu Beschädigungen durch den Flansch kommt beziehungsweise, haha – aufgemerkt, kam”, wie der Verhutzte uns wissen lässt. Die Interessenwahrscheinlichkeit liegt meiner Berechnung nach bei beruhigenden minus Null Prozent.

„Oh”, oh-t er in ihre Richtung, „Du interessierst dich für Prozessleittechnik im Alltag?” Sie nickt. Davon hat sie mir nie erzählt. Vielleicht braucht sie ihre kleinen Geheimnisse. Aber woher weiß er es dann, frage ich mich. Antwort gibt die von mir bislang unbemerkte Ausgabe der aktuellen `Prozessleittechnik im Alltag`, die, bei Hinschauen erkennbar, in der Seitentasche ihres Rucksacks steckt. „Dann darf ich hoffen, dass du auch auf dem Weg nach Groß Twülpstedt zum Dichtungstechnikkongress bist?”, fragt er und birst fast vor Begeisterung.

„Das wär ja nicht zu fassen, wär das ja nicht. Ich meine, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit W, in einem beliebigen Abteil X eines beliebigen Zuges Y eine Person Z zu treffen, die sich für exakt dasselbe Spezialgebiet interessiert, wie man selbst?” Statt die Lösung zu verraten, würde ich ihm gern klarmachen, dass das hier nicht das Flanschen-für-Interessierte-Abteil ist und wir auch nicht auf großer Fahrt zum Dichtungstechnikkongress sind, sondern Buttermenschen auf dem Weg nach Neuruppin. Sie antwortet ähnlich. “Eventuell auf dem Rückweg, je nachdem, wie Neuruppin wird.” „Wie soll Neuruppin schon werden? Es ist und bleibt Neuruppin. Dann sehen wir uns also in Groß Twülpstedt.” Was für ein selbstgefälliger Fatzke. Kennt er Neuruppin? War er schon mal da? Nie war mir Neuruppin näher als jetzt. „Darauf sollten wir uns zubroten. Magst Du?” Obwohl die Frage nicht mir gilt, lehne ich dankend ab. „Leider war die Margarine leer – aber es schmeckt auch mal ohne, oder?” Margarine, schmecken und oder in einem Satz. Das Glück sorgt für Wiedergutmachung, denke ich und hoffe ausnahmsweise, dass sie ihm zugehört hat. “Zum Anstoßen reicht`s allemal, was?” Anscheinend meint er es ernst. „Danke. Aber ich bin so satt wie lange nicht mehr”, höre ich sie sagen. Und dann schenkt sie mir ihr schönstes Buttermenschenlächeln. Auch auf die Gefahr hin, noch Schinken zwischen den Zähnen zu haben, lächle ich zurück. Lieber Schinken im Zahn, als Margarine im Herzen.

 

Anne Büttner

www.anne-buettner.de

 

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