freiVERS | Lütfiye Güzel

Die Kameraeinstellung:
Alles bergab.
Das Trauerspiel:
Nächte ohne Entschluss,
ohne Erkennungszeichen.
Schwarzer Regenbogen mit Wut
in dreitausend Variationen,
eine schmerzhafter als die andere.
Das Jahr ist dreißig Sekunden alt
und ich habe jetzt schon Mühe.
Der Klodeckel mit Absenkautomatik
im bürgerlichen Graben aus
Brillenetuis und Nackenkissen
schlägt zu. Keine Gagspiele mehr.
Keine Spiele.

 

Lütfiye Güzel

 

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freiVERS | Maximilian Scheffold

es wird um ordnung gebeten. psalm.

bitte die sicherheitsbestimmungen befolgen.
nicht den rechten weg verlassen.
ich werde arbeitsschuhe benützen.
falsche gedanken sind fehlzündungen sind gefährlich.
ich werde einen schutzhelm benützen.
mundschutz ist unabdingbar für mundhygiene.
ich werde gerechte sprache benützen.
ihre meinung ist gefragt.
nehmen sie nichts mit.
wie auch wir am jeweiligen tag in alter tradition uns üben.
bitte anrufen.
einige kabel sind durchgeschlagen.
rufen sie bitte jetzt ihre gottheit an.
der mensch ist dem menschen mangel.
ihre meinung scheint gefragt.
leihmaschinen und zubehör sie sind beste kost für besten geschmack.
greifen sie zu.
ihre meinung scheint abgekommen zu sein.
nicht vom weg abkommen.
einübung in die mitte.
die arbeitsschuhe sind stets rein zu halten.
arbeit in die leere.
der geschmack ist stets zu putzen.
wir stehen für die hohe qualität des materials der beratung.
ihre meinung scheint uns zu gehören.
deine vision ist unsere lösung.
wir bitten dich erhöre uns.
ich werde eure gottheit benützen.
werbung mit allem was sie schätzen.
menschlich verständlich und praxisorientiert.
wir stehen für die hohe qualität der beratung durch werbung.
fehlzündungen erzeugen differenz.
ihre sprache scheint unsere meinung zu sein.
mundhygiene ist unabdingbar für den rechten weg.
ich habe an dem betrug mit teil.
es ist nur wichtig was wahr ist.
ich habe den betrug mit meiner sprache bezahlt.
die geschichte kann so oder auch anders erzählt werden.
ich weiß nicht wo mir der kopf steht.
wenn der haussegen schief hängt soll angemessenes werkzeug benützt werden.
wir stehen für die hohe qualität von leihmaschinen und zubehör.
ich werde gerechte gedanken benützen.
anarchie in schönster formstrenge folgt dem sturz in den abgrund der gleichheit.
deine kollaboration ist unsere lösung.
wir führen dich vertraue uns.
ich danke für die erfindung des verfahrens.
wie auch wir danken für die geschichte von der wahrheit.
stille wasser sind dreckig und brackig und kein fluss ist mehr möglich.
ich werde vielleicht meine augen benützen.
warnung lassen sie sich nicht durch das böse auge vom verkehrsgeschehen ablenken.
ich werde vielleicht meinen mund benützen.
ungerechtes sprechen schädigt zähne und zahnfleisch.
ich werde vielleicht mein denken benützen.
du hast probleme mensch.
das muster ist das muster.
du hast ein trauma mensch.
tiefe und oberfläche sind zugleich wahr.
da vor dem inneren auge liegt ein trauma mensch.
wir stehen für die hohe qualität der funktionellen formperfektion.
wert entwickelt sich im eigenen recht für sich.
beste werbung für besten geschmack.
die gesellschaft ist der gesellschaft hingeflüstert.
ich will die kraft benützen.
durch zerstörung steigt der wert.
ich will von dir die kraft benützen.
denken kann bei übermäßigem verzehr abführend wirken.
ich will die kraft die dir gehört benützen.
gesundheit beginnt im darm.
denn dein ist die kraft nicht länger mehr.
lachen ist sprengstoff ist sprengung.
ich werde die welt retten.
ja du wirst die welt retten.
wir sind heute für sie dienstbereit
denn wir stehen für die hohe qualität unserer beratung durch unsere gottheit.
ich werde aufrüsten in wirkmacht.
lachen ist anarchie in schönster formsprengung.
wie auch wir werden die ernsthaftigkeit pflegen mensch.
ich werde aus allen kriterien fallen.
die gesellschaft ist deutungsbedürftig wir haben einen formvorschlag.
wenn verständlich vorbehaltslose akzeptanz zur vermeidung.
ich werde meinen verstand sprengen.
das wesen ist nicht vom himmel gefallen.
ihre lösung ist unsere vision.
wir sprechen dich befolge uns.
ihr lachen scheint unsere sprache zu sein.
ich werde im kopf zu machen.
bitte anrufen ihre meinung interessiert uns.
einübung in die leere mitte ist traditionsarbeit auf und auf.
unsere gottheit ist ihre lösung.
wir zwingen dich gehöre uns.
der erbmangel ist dem menschen universum.
lassen sie uns ihn für sie ausbügeln.
der erste mangel ist lachen.
ich will ein lachen zünden.
ihre sprache scheint unser lachen zu sein.
bitte jetzt lächeln.

 

Maximilian Scheffold

 

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freiVERS | Andra Schwarz

Zeig deine zunge die wurzel des sprechens україна
zweige & äste ranken aus einer kehle an der grenze
zum wilden feld schwarze erde auch deine stimme
das ж an den anfängen & enden und in der mitte
о боже! wer teilt diese stränge einer sprache wie
ein schnitt durch die kehle das keuchen der lunge
am rande granaten brennen löcher in den magen
der steppe ziehen feuer & rauch durch die lenden
zu den hölzern zwischen kiefern auch birken ihr
knacken wer spaltet die stämme sie brechen aus
der höhle die wurzel des sprechens in den längst
gerodeten wäldern die niemand mehr kennt

 

Andra Schwarz

 

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freiVERS | Sigune Schnabel

Heute trägt der Tag Türkis

und legt mir Muscheln zwischen die Zehen.
Wir graben uns bis zum Hals
in den Sand.
Unser Kopf sprießt
in blauem Hut
aus dem Boden.

Mutter rankt sich
an Kettensätzen durch das Jahr,
sucht Halt,
wird jeden Sommer größer.

Du reichst meinen Worten
eine Räuberleiter.
Jetzt sitzen sie in den Pinien,
blicken auf alles herab.

Sigune Schnabel

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freiVERS | Lars Weylthaar

#12

Ich schreib Dir eine Nachricht
& streich das meiste raus

Bild Dir nichts ein auf
Die Arbeit, die ich
Mir mache

Es ist nicht Deinetwegen
Sondern aus Prinzip

 

#15

Mein Vater sagte stets
Ich mache nur Unsinn

Liebevoll verschwieg er
Dass ich auch daran scheiterte

Lars Weylthaar

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freiVERS | Stefan Heyer

alleenbäume

alleenbäume umkurvt, die alten kastanien haben
ihr früchte abgeworfen, goulds krummer rücken
über dem klavier, hastig heben die Kinderhände
auf, drachen sind keine zu sehen, felder leer
daliegend, seine stirn legt sich in falten
kühl der wind pfeifend, wollmützen werden
über die ohren gezogen, in der küche tee
und heiße schokolade, das service der
großmutter hatte ein rotschwarzes Karomuster
der henkel der kanne notdürftig geflickt
die allee gibt es nicht mehr, längst gewichen
der neuen straße, alte wurzeln herausgerissen

Stefan Heyer

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freiVERS | Silke Gruber

Wir, nachts

Nur
eine halbe Sekunde
bevor du schlafend
kaltblütig
ihren Körper zertrümmern wirst
nimmt eine Mücke
ihre Henkersmahlzeit an
deiner Schulter:
fremd
diese Stelle
denke ich
an der mein Kopf ruhen
sollte und weine
um das arme Tier
mich in den
Schlaf

Silke Gruber

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freiVERS | Dagmar Falarzik

Grasland. Ein Wasserturm dahinten
und Häuser drumherum, wie ein Kranz.
Der ewige Wind, Staub in der Luft,
kein Mensch weit und breit.

Abends wenn das Grasland leuchtet,
der Wind sich legt und die Hitze sinkt,
hört man manchmal Gesang
und nachts heulen die Coyoten.

 

Es weltet, sagt Herr Heidegger.
Das sind sie Wirks, sagt Herr Dürr.
Vergiss alles drumherum, sagt Herr Husserl.

Die Weissen quatschen zu viel,
denkt der Indianer und schweigt.
Er fährt den Philosophen in die Prairie raus
und lässt ihn da ohne Nahrung und Wasser
vier Tage lang stehen.

 

Völlig hineingerutscht, von der Vorstellung absorbiert,
ist die Realität auf ein Minimum reduziert,
während eine Parallelwelt den Raum überlagert.

Nachdem sich auch die Parallelwelt aufgelöst hat,
bleibt nur noch Bewegung, die sich durch abstrakte,
optische Ungewissheiten auszeichnet.

Dagmar Falarzik

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freiVERS | Miriam V. Lesch

Spontandichtung

#59

Ausgehöhlt
ich existiere noch
an den
Rändern
jeder will mich
unbedingt
füllen nur
womit
so viel Gleichzeitigkeit
kann nichts
Sein.

 

#58

Du lässt warten
das ist nicht neu und
fancy
diese Jacke so
was konnt ich schon mit
fünfzehn
nicht
cool sein hab
Schnaps gekippt ja
richtig
es fehlt mir
wie beim ersten Mal
an Geduld
für deinen Lifestyle
das du
mich magst
Glaub’s doch selber.

Miriam V. Lesch

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freiVERS | Thomas Ballhausen

Versuch über das Rauschen

„Veränderung durch Wörter ist Dichtung.“
Rolf Dieter Brinkmann: Westwärts 1&2

Das Rauschen kann in seinem Naturzustand nicht beobachtet oder beschrieben werden, die Sprache geht ihm voraus.

Für das Rauschen gibt es keine Erklärungen oder Gebrauchsanweisungen, bloß warnende Empfehlungen hinsichtlich Verhaltensweisen, Ausbreitungsgrad und Formen der Übertragung.

Im Rauschen findet sich etwa ein Hundertstel eines länger zurückliegenden sehr lauten Beginns.

Rauschen und Raum stehen in einer schwierigen Beziehung. Das Rauschen findet deshalb vor allem zwischen Zeilen und in Pausen statt.

Rauschen kennt keine Handlungen oder Absichten, es löst sie aber wie beiläufig aus.

Es ist nicht ratsam, das Rauschen zu verdünnen.

Das Rauschen hat keine Farbe. Gerüchten nach ist es vielleicht weiß.

Es gibt bislang keine vollständige Auflistung der im Rauschen enthaltenen Allergene. Das Rauschen kann Spuren von Nüssen, Spänen und Dornen enthalten.

Das Rauschen ist nicht geeignet, um Katzen zu trocknen.

Je nach Dosierung können alle Sinne vom Rauschen kurzfristig beeinträchtigt oder auch dauerhaft verändert werden.

Man kann natürlich versuchen das Rauschen zu imitieren, aber bestenfalls wird man es ein wenig nachahmen. Alle bislang unternommenen Versuche waren lächerlich.

Vom Rauschen muss man sich erfassen und eine Zeit lang tragen lassen.

Das Rauschen ist keine Entschuldigung für irgendetwas. Vielleicht gibt es hin und wieder eine schlechte Erklärung ab.

Das Rauschen kennt keine Wehmut für das Ende des vergangenen Jahrhunderts. Das Rauschen kennt nur Immer und Überall.

Das Rauschen ist Gegenwart und Wirklichkeit.

 

Thomas Ballhausen

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