freiTEXT | Marcel Pollex

Die perfekte Montage

So trafen sich Vater und Sohn – deren Beziehung schon immer distanziert gewesen war, sie interessierten sich nicht für das Leben des Anderen, hatten einander nichts zu erzählen, und machten sich gegenseitig dafür verantwortlich, dass ihr Leben nicht so war, wie es hätte sein können – zufällig in einem Baumarkt, den der Sohn aus einer Notwendigkeit heraus hatte aufsuchen müssen, in der vergangenen Nacht war ihm im Schlafzimmer ein Regalbrett von der Wand gefallen, das er da so hingepfuscht hatte, er wäre beinahe im Schlaf von einem Buch erschlagen wurden, wegen seiner handwerklichen Unfähigkeit, während sein Vater aus reinem Vergnügen dem Baumarkt einen Besuch abgestattet hatte – er hatte nichts zu reparieren, alle Regalbretter waren sicher montiert und alle Möbel fest verschraubt – er genoss das Flanieren durch die hohen Gänge, kannte alle Dinge und ihre Verwendung und die unendlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Die beiden erkundigten sich nicht nach dem Wohlbefinden des Anderen, der Sohn fragte seinen Vater nicht nach der Gartenarbeit und der Langeweile der Pension, und der Vater fragte seinen Sohn nicht nach seiner aktuellen Freundin oder seinem unverständlichen Job. Weil er nichts Besseres anzustellen wusste, fragte der Sohn seinen Vater, ob der ihn bezüglich der Montage des Regalbrettes beraten könne, das ihm in der Nacht von der Wand gefallen war und ihn beinahe erschlagen hatte, und der Vater erklärte seinem Sohn darauf das Handwerk und damit die Welt, was die Dinge zusammenhält, führte ihn durch die Gänge, zeigte ihm Holz und Metall, erzählte, wie man die Dinge zusammführt, sprach von der perfekten Montage. Zum Abschied gaben sie einander die Hand, und der Vater klopfte seinem Sohn auf die Schulter. Nicht gänzlich ohne Stolz brachte der Sohn noch am gleichen Tag das Regalbrett an die Wand, und als er in der Nacht davon erschlagen wurde, erwachte zur gleichen Zeit sein Vater aus dem Schlaf, der raus auf die Terrasse ging und in die Dunkelheit starrte, darüber nachdachte, am nächsten Tag die Eiche zu fällen.

 

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Marcel Pollex

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