mosaik37 - bluten

mosaik37 - bluten

Frühjahr/Sommer 2022

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INTRO

Bei der Herausgabe einer Literaturzeitschrift sind diverse Arbeitsschritte und Tätigkeiten zu erledigen. Im besten Fall sollten diese möglichst harmonisch nacheinander bzw. parallel ablaufen, getragen von Personen mit unterschiedlichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten (siehe links bzw. unten). Gerne wird bei solchen Gelegenheiten das Bild eines funktionierenden Uhrwerkes herangezogen. In diesem Bild gesprochen, greifen beim mosaik die Zahnräder meist sehr gut ineinander – fällt eines aus, gibt es üblicherweise einen Bypass, der zwischenzeitlich die weitere Bewegung garantiert.

Jetzt geht unsere Uhr nach. Diese Ausgabe sollte planmäßig zu der Zeit, in der sie jetzt erschienen ist, quasi schon vergriffen sein. Doch zu dem Zeitpunkt, als sie hätte erscheinen sollen, war die Datei mosaik37_Zeitplan.xlsx schon mit unzähligen Zusätzen versehen: Planänderungen, Wiederänderungen, Korrektur der Wiederänderung. Zahlreiche Erkrankungen im Team haben zwischenzeitlich alles durcheinandergebracht. Es ist so, als hätte man die hintere Abdeckung der Uhr entfernt und das gesamte Innenleben auf den Boden geschüttelt.

Auch wenn noch nicht alle Teile der Uhr wieder an ihrem Platz sind, konnten wir – verspätet aber doch – diese Ausgabe zusammenstellen. Und da wir hoffnungslose Optimist*innen sind (die ein gelegentlich eingestreutes Oxymoron schätzen), sehen wir trotz all der Widrigkeiten der aktuellen Umstände auch darin wieder eine neue Erfahrung, aus der wir für die Zukunft lernen. Auf dass wir bessere Pläne machen oder vielleicht ganz auf diese verzichten! Wir werden sehen. Einstweilen wünschen wir euch viel Freude mit der neuen Ausgabe – wir arbeiten derweil an der Genauigkeit unserer Uhr.

euer mosaik

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Inhalt

flusslich

René Markus – Sporen
Jutta Schüttelhöfer – Fische
Leonie Ziem – Verlust / aufhören, sich zu wundern
Olja Alvir und Clemens Braun – sandschaften
Amalie Mbianda Njiki – Zwischenzeitlich
Tara Meister – vergeht nicht

zellwandernd

Cornelia Manikowsky – ein Esel sein
Sophia Klink – Skript für den Wald
Raoul Eisele – EIN JEDER DRITTE : LYMPHKNOTEN UND : FATIGUE
Verena Ullmann – Nachthimme
Roland Grohs – Der Sammler

entfalten

Carla Lorenz – kaatzalé
Linn Schiffmann – Ryujin 3.5; 13 Uma
Yannick F. Piwetz – Patrizia und Uwe regen Leute mit ihren Frisuren auf
Dorothee Krämer – der spion
Helene Slancar – Anna und Du, Polarität
Johann Voigt – enden

Kunststrecke von Anjan Cariappa
BABEL – Übersetzungen

n undurchsichtigen Zeiten wie diesen, in denen manch eine Nachricht uns die Sprache verschlägt, ist es gerade sie, die es uns nicht verschlagen darf. Und zwar jene Sprache, die nicht heruntergebrochen wird auf Floskeln, Phrasen und Parolen. Insbesondere Lyrik verlangt Tiefgang und Zeit, von Schreibenden und Lesenden gleichsam. Sie ist „nichts zum Essen und wieder Herausscheißen”, wie es in der Übersetzung von Dejla Jassim des amerikanischen Gedichts You Know How to Say Arroz con Pollo but Not What You Are von Melissa Lozada-Oliva in dieser BABEL-Ausgabe heißt. Nur die Sprache vermag es, an einer wie auch immer gearteten Wahrheit zu rühren. Ob sie die Welt verändern wird?

[foejәtõ]

Der Literaturbetrieb müsse sich zwingend mit ‚dem Digitalen‘ beschäftigen, findet Katherina Braschel in ihrem Leitartikel – nicht zuletzt aus Gründen der Inklusion und Barrierefreiheit. In den letzten Jahren kam einiges in Bewegung, wir stehen aber nach wie vor am Anfang einer selbstbestimmten, sinnhaften und spannenden Nutzung der digitalen Welt für die Literatur.

Wir haben uns umgesehen und geben eine kleine, sicherlich lückenhafte, Bestandsaufnahme: Das Prosanova-Team berichtet, wie es war, digital zu veranstalten, Katherina J. Ferner hat Literatur-Podcast-Tipps und Malte Grotendorst beschäftigt sich in seinem Essay ganz grundsätzlich mit dem Verhältnis zwischen dem Selbst und dem digitalen Content.

Kreativraum mit Armela Madreiter

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freiVERS | Armela Madreiter

Sommerbeinkleidung

Strassenbahn.
Neben ihr ein blasser Manneskörper
teigmassig in knapper Sommerbekleidung,
Sommerbeinkleidung,

Die Sommerbeinkleidung ist voller Palmblätter,
die sich zu knapp und verrutscht um das Päckchen
Geschlecht,
um das Päckchen Mannesgeschlecht ranken.

Die Oberschenkel keck breit aufgespreizt,
damit das Päckchen Geschlecht gemächlich gemächtig
abgelegt werden kann am Straßenbahnsitz ,
damit die engbepalmten Teigmassehoden,
damit auch diese wie der restliche westliche Manneskörper
ihre gemütliche Auflagefläche am Sitz finden.

Daneben sie,
ein begehrter fremder Frauenkörper,
sitzt Bein an Bein gepresst,
einen Becher Morgenkaffee in der Hand,
sitzt eng an sich selbst und an den Rand gepresst,
sitzt klein im Kleid,
sitzt ohne Platz auf ihrem Sitzplatz gepresst,
damit sich keine zufällige Berührung mit der Masse Mann
ergeben kann,
damit die massige Manneshand,
die gewohnt ist zu nehmen und schwere Lasten zu tragen,
nicht zufällig etwas nimmt, nicht seine Hand zufällig wie eine kühle Sommerbrise
zufällig auf ihre Schenkel nicht fallen lassen kann.

Aber es hilft nichts:
Die unvermeidbare Manneshand ist schon gelandet,
gehandet auf dem Schenkel
unverhofft kommt oft und er zwinkert
diese Masse Mann muss man mögen, denkt er sich vielleicht
und greift mit der zweiten Hand unvermeidbar an das engbepalmte, eingesackte, angelegte Geschlecht –

Ihr wird schlecht.
Sie zuckt zufälllig und zufällig fällt der Becher,
der Becher mit dem guten, frischen, heißen Morgenkaffe
fällt ihm zu,
direkt aus der Frauenhand auf das abgelegte Päckchen Geschlecht.

Der Mann schreit, schreit weit in die Strassenbahn hinein, weil er ist das Opfer der zufälligen Kaffeverschüttung der Sitznachbarin
Oh weh oh ach.
„Es ist schlecht fürs Geschlecht die Sommerhitze, ist gefährlich, zu viel Hitze sollten niemals nicht auf die zarten Hoden einwirken.
Es tut mir Leid
um den Kaffee.“
Und sie steigt aus dem Mannesgeschrei hervor aus der Strassenbahn hinaus siegreich in den Sommertag hinein.

 

Armela Madreiter

 

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