mosaik 33 - offene Rechnungen überall
mosaik33 - offene Rechnungen überall
ansonsten chronisch werden
- Tom Jan Putz – Warum wir nie mehr Fahrrad fahren
- Raoul Eisele – dabei die Worte abzuwägen
- Liona Binaev – Eine Frau die schläft
wozu wir aufgebrochen waren
- Nils Woitschach – naherholungsgebiet
- Thassilo Hazod – Schön ist das Wetter am Land
- Klaus Wieser – allerseelen
unter der falschen Sonne
- Sigune Schnabel – Fünf sein / Sieben sein
- Franziska Gänsler – Die Stare
- Seda Tunç – garten angehalten
- Andra Schwarz – Elephant in the room
Kunststrecke von euch: Postkarten-mosaik
BABEL – Übersetzungen
Schon immer stand der Mensch mit seinem Hang zur Übertreibung in der Weltgeschichte auf verlorenem Posten – und das Selbstmitleid, in dem er sich gut und gerne suhlt, kennt bisweilen keine Grenzen. Als gutes Mittel gegen Weltkrankheiten kann uns daher die Literatur dienen, speziell jene, die es aufs Vorzüglichste versteht, den Menschen als Schalk zu entlarven. So widmet sich unsere neueste Babel-Auswahl in ihrem ersten Beitrag einer ganz anderen Pandemie: der Dummheit nämlich. Diese ist bekanntlich unendlich. Genauso wie die Fülle an Sprachen und Promis, die diese Ausgabe schmücken: Griechisch, Russisch, Latein, Ungarisch stehen so neben Marcel Duchamp, Emily Dickinson, Eric Satie, Lew Tolstoi. Das Gegenteil von Dummheit machts möglich!
- Francesco Filelfo – An Maemus (Odae 1, 2) (Latein)
- Zoltán Lesi – Kedves Marcel Duchamp, / Lieber Marcel Duchamp, (Ungarisch)
- Ioulita Iliopoulou – KENO / NICHTS (Griechisch)
- Dimitry Strotsev – пчелы уверены […] / die bienen sind sicher […] (Russisch)
[foejәtõ]
„In Krisenzeiten denken wohl die meisten nicht zuallererst an Kultur, doch sollte sie nicht aus den Augen verloren werden.“ – Antonio Prokscha stellt fest, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Doch das letzte Jahr hat gezeigt, dass regional und international wenig selbstverständlich ist. Darum blicken wir in dieser Ausgabe in die Kulturszenen ausgewählter Länder, von den Niederlanden über Belarus bis China, von Osteuropa bis Zentralasien, um den Status der Kunst, Literatur und Zivilgesellschaft zu erfragen.
Kreativraum mit Katharina J. Ferner
24 | Sofie Steinfest
Wie der Christbaum schwimmen lernte, der hätte der unsrige werden sollen
Nur diesen einen Wunsch habe ich, nur diesen, nichts sonst wünsche ich mir zu Weihnachten, habe ich zu dir gesagt: Lass uns zusammen einen Baum aussuchen, habe ich gesagt, für uns. Und mir den Baum dabei schon als einen geschmückten gedacht, und das gemeinsame Aussuchen so, als gäbe es uns mit einem gemeinsamen Heim rund um diesen Baum.
Mich daran zu gewöhnen, dass du in letzter Minute doch nicht kannst, dazu habe ich bereits genügend Zeit gehabt. Anscheinend nicht ausreichend. Vorhin noch, allein vor dem Christbaumstand, habe ich meine Zuversicht durchschwommen, und womöglich auch die deine. Quer zur Fließrichtung, das in jedem Fall. Jedenfalls in dem Fall unseres verfehlten Zusammentreffens, wieder einmal.
Es ist wahr, finde ich nun, so wie ich den Baum unverhüllt durch die Straßen schleppe, so wie ich mich dahinschleppe und den Baum nur als Vorwand, ohne dich. Es ist wahr, die besinnungslose Freude kennt uns kaum mehr. Ansatzlos heben wir uns von allem ab, was wir einst waren und nie sein werden. Die Ringe an unseren Fingern haben ab dem ersten Augenblick von unserer komplizierten Verfassung gezeugt: nicht zusammenpassend. Wohl haben wir vorgeblich unwissend getan, als hätten wir uns bei unseren Treueschwüren versprochen. Und dennoch, eine Tatsache, nicht nur an Feiertagen: Du wie ich einem anderen Menschen zugetan.
Das Ausharren und Zuwarten seither unsere Lebensaufgabe. Oft umsonst. Darum also, der Baum, den ich allein über den losen Neuschnee schleife, den Baum, den du nicht mit mir trägst, verzweifelt, als ginge es darum ein Wettrennen zu gewinnen. Auf befestigten Straßen eile ich, als könnte mich das retten, oder auch nur etwas von uns, und denke an die Zeit, als Anfang war und Frühling freilich und meine Verfügbarkeit zum Beispiel durchaus zur Debatte gestanden ist. Mit zusammengebissenen Zähnen haben wir uns einst einander vorgestellt. Um das Schlimmste zu verhüten, das wir noch kaum ahnten, das Schlimmste, das meine Offenbarung sein mochte oder deine.
Ich und der Baum bewegen sich über die Friedensbrücke, als gäbe es keine andere denn diese schicksalshafte Querung. Wiewohl die Richtung stimmt, unterwegs zu dir, ist meine Lust entvölkert. Ich denke an Wildbienen, die ich den domestizierten immer schon vorgezogen habe, und denke bereits an unseren Baum getunkt in ein Das-wäre-auch-zu-schön-gewesen! Und spüre ihn entgleiten, den Christbaum, der hätte der unsrige werden sollen, aus meinen verkrampften Händen, hinab, als wäre da kein Geländer, in die Donau, wo ich ihn kurz darauf treiben sehe, wie unsere Zuversicht: gegen die Strömung.
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Sofie Steinfest
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freiVERS | Sofie Steinfest
Kein Schreibtisch
Kinder
Kinder und Wäsche
Wäsche
Wäsche und eine Frau
Kinder
Kinder und eine Frau
eine Frau und Kinder und Wäsche und
eine Frau und ein SchreibKüchentisch
zum 50. Todestag von Marlen Haushofer am 21.3.2020,
einer der vielen Schriftstellerinnen am Küchentisch
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