freiTEXT | Natascha Maier

Wie T. nicht mehr mein bester Freund wurde

Risse einer Freundschaft - was ich weiß

Du hast gesagt, ich würde immer nur die Anfänge mögen, was danach kommt nicht mehr so sehr. Heute weiß ich, du hattest recht. Ich weiß, dass ich deine starke Neurodermitis abstoßen und anziehend zugleich fand, ich weiß du hattest am ganzen Körper blutige, aufgekratzte Stellen. Deine Klamotten und dein Bettlaken waren immer übersät von Hautschüppchen, verkrustetem Blut und manchmal waren die Textilien miteinander verklebt. Ich muss an einen Artikel denken, den ich mal gelesen habe, in dem es um kleine Fische ging, die man in einer Badewanne auf Neurodermitispatienten loslässt und die die ganzen Hautschuppen vom Körper des Betroffenen klauben. Ich wusste nicht, ob ich das weird oder okay finden sollte. Wir haben immer nur von "der Haut" gesprochen, wie geht es "der Haut" habe ich dann gefragt. "Die Haut" haben wir, aus Unwissenheit und der Einfachheit halber, auf die Trennung deiner Eltern geschoben, die offensichtlich viele kleine Risse und blutige Spuren bei dir hinterlassen hat.

An dem Tag an dem wir uns begegnet sind hast du dir einen anderen Namen für mich ausgedacht, du hast gesagt Spatzenhirn oder Spongo würde viel besser zu mir passen, an Tagen, an denen du mich weniger mochtest, hast du mich Kotzgesicht genannt. Liebesbeweis 2004. Ich habe die Namen nie in Frage gestellt und sie bedingungslos akzeptiert, es war das Siegel auf dem Kreis des Vertrauens, den wir seither bildeten. Meinen richtigen Namen hast du nie verwendet. Spatzenhirn sollte mich daran erinnern, dass man nicht einfach nur auf dem Sofa liegen und dabei gut aussehen kann. Du mochtest viel lieber meine cuteness als meine dunklen Seiten, die haben dir nie gefallen. Ich mochte, dass wir real sein konnten und dass wir wussten wie wir die Dinge meinten.

Bei uns war es love and magic, das weiß ich. Zwischen Schokoaffen ohne Milch, Frühstück am Abend also, mit deinem BMX durch München, Nürnberg, Ravensburg und auf dem Rückweg immer M&Ms von der Tanke. Du hast, während meinem Vordiplom, Anna Blume für mich animiert. Von hinten wie von vorne, so habe ich mir damals meinen Schein für diese ätzende Vorlesung mit dem Multimedia Kram erschlichen, das weiß ich so genau, weil ich dafür eine 1,8 bekommen habe, ohne zu wissen, wie das Programm überhaupt aussah. Einmal hast du mir auch eine selbstgemachte Postkarte mit Männern in Turbanen geschickt und dazu geschrieben, es wären Terroristen, die eine Party in eurem Garten feiern und die die ökoterroristischen Grünkernbratlinge deiner Mutter essen müssten. Ich weiß, es gab diese Bratlinge bei euch zu Hause und ich weiß, dass ich sie Gott sei Dank niemals essen musste. Nach der Trennung deiner Eltern war irgendwie immer Terror in dir. Unsere Freundschaft war analog, Postkarten, Briefe und ein grünes Schnurtelefon von Swatch, welches ich in meinem Zimmer stehen hatte. Weil ich gerne Klavierspielen gelernt hätte, hast du mir sogar mal ein Klavier geschenkt. Es war aus Papier, hatte Klebelaschen und schwarz-weiße Tasten auch das weiß ich.

Ich weiß noch, kurz nach unserem Schokoaffenfrühstück gegen 19 Uhr, stand ich hinter dir. Ich wollte gerade gehen, ich hatte einen grünen Cordrock an, es war Sommer und es war warm. Ich weiß ich stand hinter dir und habe den Geruch deines Nackens inhaliert während du mir mit deiner Hand zwischen die Beine gefahren bist und einen Finger in mir versenkt hast. Wir waren verliebt und wir waren es nicht, immer wieder. For ever, so dachten wir, wäre unsere Freundschaft.

Wir haben Kellerasseln, die auf wundersame Weise immer wieder aus dem angeklebten Teppichsockel in deiner Wohnung kamen, versucht mit Sekundenkleber zu bekämpfen. Der Kleber hat verloren, weiß du noch? Wir haben Death Cab for Cutie, Kettcar und The Postal Service gehört, wir haben Küsse getauscht, wir haben uns aus deiner Wohnung ausgesperrt und nachts deine Vermieterin rausgeklingelt. Ich weiß, dein kleiner Bruder hat Raffaello Torte für uns gemacht. Zu deiner Mutter haben wir immer nur Edi gesagt, wir haben nachts Klavier gespielt, haben geflennt, gestritten und uns wieder vertragen. Du hast mir eine CD in der Schule auf den Schrank gelegt. Alles mit dir war elektrisierend, aufregend, viel zu kurz und doch auch lang, es war nicht perfekt mit greatest hights and lowest lows. Ich habe mit deinem besten Freund geschlafen, lowest low ever. Später dann mochtest du Tattoos und Muskeln und bist irgendwie zu einem Surfer mutiert, so der O.C. California Style. Du fandest Ryan gut, ich hatte eher nen crush auf Seth Cohen, er hatte immer die coolen schwarzweißen Vans, smarter Typ, guter Humor. Du bist für zwei Jahre nach Australien, hast dir Tattoos und vor allem swag zugelegt. Dein neuer Style würde von deinen Mausaugen ablenken, hast du gesagt und ich wusste das du deinen weichen Kern meintest.

Was ich ganz sicher weiß ist, dass deine Nichtanwesenheit weh tut, so sehr dass ich mir seither manchmal absichtlich Hautfetzen an meinen Fingern wegreisse bis es blutet, um den Schmerz durch einen anderen zu ersetzen. Ich wache nachts vom Pochen an meinen Fingern auf, das die Risse verursachen. Der Trost der Yucca Palme, deren Blätter einen Schatten an die Wände in meinem Wohnzimmer werfen, ist zu dieser Uhrzeit dann das einzige was bleibt, Gespenster an der Wand, ein Schattenspiel aus allem was wir mal waren.

Als ich Abstand gebraucht habe, hab ich habe dir mal gesagt, space makes the heart grow fonder, fuck off space, weiß ich jetzt. Ich hatte den Plan diese Phase auszusitzen, so wie wir es meistens taten und es dann irgendwie schon wieder wurde. Ich weiß, dass die Aussicht, dass nach sieben Jahren noch was gut werden könnte eigentlich nicht mehr besteht. Ich weiß ganz sicher, es war die time of my life, was ich auch weiß, es war auch deine.

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Natascha Maier

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