freiTEXT | Margit Marenich

„Ein doppelter Haselnuss-Hagel-Macchiato mit extra viel Drama“

Sie rennt ins Gewitter raus und du denkst nur: „Verdammt! Wie ist das nur so schnell so schief gegangen?“. Gerade mit ihr.

„Warte Hannah! Du hast nicht mal deine Jacke!“, sie bleibt stehen und dreht sich zu dir um. Du siehst ihren pinken BH unter dem durchnässten Oberteil. Pink, mit Strass.

„Ich weiß, was du willst.“, schluchzt sie nur und hält dir ihr Handy ins Gesicht. Da ist eine wirklich lange Message am Bildschirm. „Jasmin hat mir gerade alles über dich geschrieben. Alles!“

Diese …! Wieso kann sie ihr Maul nicht halten? Was in ihrer Wohnung passiert ist, geht niemanden sonst was an.

Jetzt mischen sich Hagelkörner unter die schneller fallenden Regentropfen und bleiben in Hannahs offenen Haaren hängen. Mit nassen Augen sieht sie dich an, als wolle sie dich erschlagen.

Du musst das noch hinbiegen, sie irgendwie rumkriegen. Sechs Wochen hast du in das hier investiert.

Ihr ihre Jacke um die Schultern zu legen, findet sie sicher romantisch. Du hebst die Arme. Bevor du sie berührst, reißt sie sie dir weg. Ihr pinker BH verschwindet hinter dem Reißverschluss.

„Du dachtest du kaufst mir einen Kaffee und Cookies und dann was? Was, Jahn?“. Sie hält das Handy wie einen Stein zum Werfen. „Was dachtest du, was ich mache?“

Mit einem Schnauben denkst du an alles was über sie erzählt wird. Die Fotos. Echt alle in der Schule haben die gesehen. Da hat sie sich nicht so geziert.

Ihre Augen funkeln immer mehr. Deine Augen huschen zu ihrem Wurfarm. Zurück. Sie weint jetzt. Ihr Arm fällt schlaff herunter. Mit einem Stich denkst du an das Gerede. Echt alle in der Schule reden über sie.

„Sorry, Hannah.“, hörst du dich nuscheln. Du findest ein Taschentuch in der Hosentasche und hältst es ihr hin. Sie hört einen Moment auf zu schluchzen, als sie es nimmt.

Fuck! Das sollte das Wochenende sein, in dem alles in Ordnung kommt. Eltern und Geschwister erst am Montag zurück. Das heißeste Mädchen bei dir oben. Stattdessen stehst du im Regen und alle Leute starren dich an. Mit kaum verstecktem Lachen oder einem „Wird das arme Mädchen gerade belästigt?“ - Blick. Handys auf dich gerichtet.

Dabei wäre es so einfach. Wenn du sie nur rumkriegen könntest.

„Hannah - “.

„Sex löst gar nichts.“. Sie lehnt sich plötzlich zu dir rüber. Ihre Augen glitzern rötlich. Und flüstert mit erstickter Stimme in dein Ohr, „Ich habs versucht.“

Damit rennt sie zur Bushaltestelle.

Der Alte mit dem Hund, der gerade vorbeikommt, grinst dich an. „Passiert allen mal.“

Ohne zu überlegen rennst du ins Shopping Center zurück. Auf dem trockenen Boden machen deine nassen Schuhe dieses nervende Geräusch.

Auf deinem Handy sind neue Messages. Eine von Jasmin. Von. Jasmin.

Du willst den Mistkübel neben dir treten.

Ein paar andere in der Klasse wollten Details über Hannah. „Über das echte Zeug.“. Du kannst jetzt schon hören, was sie am Montag über dich sagen werden.

Dieser Samstag ist noch schlimmer als der vor sechs Wochen.

Es war alles so perfekt. Hannah hat deine Einladung angenommen. Du warst mit ihr extra in diesem Coffeeshop. Damit er alles sehen kann.

Vor einem der Shops stehen zwei Jungs, die Finger verschlungen, die sich aneinander lehnen. Mit einem Stich im Magen siehst du weg. Die sind sogar jünger als du, denkst du nur und gehst schneller.

Als du zum Coffeeshop zurückkommst, sind die Teller und Tassen schon abgeräumt. Du kannst nicht anders und siehst zum Tresen hin.

Dieselbe Barista, die du gar nicht kennst, steht noch da. Das erste heute, das gut läuft. Sie lächelt dich an und du denkst, dass du mit ihr flirten kannst.

„Einen Kaffee vielleicht? Lemon-Strawberry-Cheesecake ist heut im Angebot.“.

Bei ihr zu landen kannst du kübeln. Aber ein heißes Getränk wäre nicht schlecht. In der Wärme sind die Hagelkörner in deinen Haaren geschmolzen. Du spürst Wasser über deine Kopfhaut rinnen.

Hey. Er ist ohnehin nicht da.

„Einen Haselnuss-Latte-Macchiato zum Mitnehmen, bitte.“

„Sofort.“, die Barista dreht sich zur Seite. „Hi Noah - du bist 10 Minuten zu früh.“

No! Fuck.

„Ich mach das hier, Ayla. Das Übliche, Jahn?“. Noah wartet nicht auf deine Antwort, sondern misst das Kaffeepulver, während das Mädchen zu den Kunden an den Tischen geht.

Das ist das erste Mal seit sechs Wochen, dass du ihm gegenüberstehst.

Er sieht dich an.  Deine nassen Haare. „Nicht gut gelaufen, hm?“.

Du hörst dich irgendwas schreien. Im Spiegel hinter dem Tresen drehen sich alle Köpfe. Fast packst du ihn am Kragen. „Du und deine Schwester- “.

„Jasmin ist Hannahs beste Freundin. Sie musste sie warnen.“

Er hält dir den Kaffee hin. Was hält dich eigentlich davon ab, ihm das Zeug in die Fresse zu schütten?

Dein Blick fällt auf die winzige Narbe auf seiner Unterlippe, die vor sechs Wochen noch nicht da war. Dann nimmst du einfach nur den Becher und rennst weg. Zurück ins Gewitter. Bevor du fünf Schritte aus dem Shopping Center raus bist, landen schon vier Hagelkörner im Blätter-Muster auf dem Milchschaum und du bleibst stehen.

In diesem Moment hasst du absolut alles auf der Welt. Am meisten ihn, immer besser. Er hat einfach alles. So einfach.

Es ist erst sechs Wochen her, dass dir das nichts ausgemacht hat. Dass du an Samstagen mit ihm Games gezockt und Spaß gehabt hast. Bevor…

Dein Becher landet neben dem Mülleimer und der Regen wäscht den letzten Kaffee weg, den du je von ihm kriegen wirst.

„Du hättest auch einfach nach einem Deckel fragen können.“

„Was?“

Noah steht mit einem Schirm hinter dir und hält ihn dir hin. „Willst du meinen Reserve-Hoodie? Ist im Spind.“

Das war’s! „Ich will deinen verdammten Schirm nicht.“

„Ist deiner. Du hast ihn vor sechs Wochen vergessen.“

Vor sechs Wochen.

Als er alles kaputt gemacht hat. Mit dem Kuss. Wegen dem du ihm die Lippe blutig geschlagen hast. Nicht weil es eklig war. Weil es gut war. Deine Schultern verkrampfen sich.

Nie ist irgendwas ein Problem für Noah. Auch nicht für die Jungs vor dem Shop vorhin.

„Warum ist das alles kein Problem für dich?“. Endlich, nach sechs Wochen, siehst du ihm in die Augen. „Was ist dein Geheimnis?“, denkst du nur.

„Nichts. Ich hatte es eben satt. So richtig.“. Er hält dir immer noch den Schirm hin. „Wie lange kannst du noch, so wie jetzt?“.

Deine Füße zucken beide nach Rechts. Richtung Ausgang. Richtung Bus. Wieso läufst du nicht?

Einen Moment lang schwanken Noahs Augen nach unten. Bevor… „Und ich mag dich.“

Das war’s jetzt. Irgendwas weder Lachen noch Keuchen bleibt dir im Hals stecken. Du nimmst den Schirm und versuchst dich zu räuspern. Nochmal. Was ist das? Hättest du nur noch den heißen Kaffee.

„Gehen wir zurück.“, sagt Noah nur. „Ich hab auch Ersatz-Sneakers im Spind.“

Das sollte das Wochenende werden, in dem alles wieder in Ordnung kommt. Vielleicht kommt wenigstens eines heute ins Reine.

Während du den Macchiato ohne Hagelkörner trinkst, hört es draußen auf zu regnen. Alles scheint ruhig. Wie sonst auch immer, wenn du hier warst. Oder bei ihm in der Wohnung.

„Schade, dass wir aufgehört haben.“, du denkst an die letzte Gamingsession. So nah am gewinnen.

Noah lächelt hinter dem Tresen.

Du verschluckst dich an deinem Kaffee, als dich sein Blick trifft.

Margit Marenich, geborene Wienerin. Lebt und arbeitet immer noch da. Schreibsprachen Deutsch und Englisch. Begeistert vom Lesen, Zeichnen und Reisen.  Studium der Komparatistik führte indirekt zum Schreiben und nach Frankreich.

 

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Margit Marenich

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