freiTEXT | Lavina Stauber

Weil ich an Geschichten über die Liebe glaube

Vielleicht hätte ich erzählen sollen, dass es mein Lachen war. Denn mein Lachen ist fordernd und bricht Deines, nach wenigen Sekunden schon. Mein Lachen übertönt Dein Lachen so überzeugend, so kräftig, dass Dein Lachen gar keine Wahl hat, als sich schnell zu verlaufen. Die zarten Töne des Zweifelns haben gegen die grobe Bestimmtheit meines Lachens keine Chance. Und wenn wir jetzt gemeinsam lachen, spielt es plötzlich doch eine Rolle, wer damit angefangen hat.

Jetzt entspringt mein Lachen meiner Unsicherheit. Es versucht zu verstecken, dass ich nicht mehr sicher bin, ob ich diese Geschichte nicht falsch begonnen habe. Ich wollte, dass diese Geschichte etwas Besonderes wird. Ich wollte, dass diese Geschichte zu unserer Geschichte wird. Ich wollte so sehr, dass diese Geschichte gut ausgeht, dass ich nicht darauf geachtet hatte, ob diese Geschichte überhaupt gut anfängt.

Ich sitze barfuß am Klavier und blicke durch die geöffneten Türen in Gedanken auf meine sonnige Aprilwiese. Es ist Ende Juni und die plötzliche Hitze hat das Gras dort längst verdorrt. Ich spüre die Sonne nicht auf meiner Haut, nur die Kälte der Klaviatur unter meinen Fingern. Dass ich nur wenige Schritte von der Wärme des Sommers entfernt bin, macht es noch unverständlicher zu akzeptieren, dass es gerade richtig sein soll, dennoch sitzenzubleiben.

Das Klavier erinnert mich an Dich. Es ist groß, zu groß für mich, und liebevoll verstimmt. Seine Tasten liegen zu schön nebeneinander, und reagieren doch so geduldig auf meine unbeholfenen Berührungen. Sein Klang ist wohlwollend und stimmt eine Reife an, die ich noch nicht verstehe. Vor allem aber ist es gerade da, für mich, und in seiner Schwerer vermittelt es mir, dass es das noch eine ganze Weile sein wird.

Wir haben uns die Ehrlichkeit erhalten und trotzdem kostet es mich jetzt Überwindung. Plötzlich traue ich mich nicht mehr ganz zu lachen. Ich traue mich nicht mehr ganz zu bestätigen, zu bekräftigen, laut in den Hörer zu schreien: Ja. Du bist schön! Immer noch und jedes Mal aufs Neue.

Du hast ein Hemd getragen, als wir uns das letzte Mal gesehen haben. Aber dann hast Du es ausgezogen und mir erklärt, dass es ein Fehler war. Du hast mir erklärt, wie Dein Leben auf der anderen Seite meines Hörers wirklich aussieht. Du hast mir erklärt, dass die Zeit doch eine Rolle in unserer Geschichte spielt. Du hast mir erklärt, wie der Glaube an das Gute allein manchmal dennoch nicht ausreicht. Und doch haben wir dann beide beschlossen, weiter an das Gute zu glauben.

Du zitierst Tom Jones und ich wünschte, ich würde mit derselben Überzeugung an Shakespeare’s 126 Sonett festhalten. Statt zu antworten, schweige ich. Ich sehe Dich an und es bricht mir mein Herz, zu gehen. Aber nicht zu gehen, würde alles zerbrechen. Unsere feine Blase, die wir mit so viel Mühe und Aufrichtigkeit und Zeit gebaut haben, nur um dennoch zu spät zu sein.

Ein Schatten zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Über der trocknen Juniwiese zieht er seine Kreise, der Bussard, den ich Dir bei einem Wiedersehen so gerne gezeigt hätte. Plötzlich bin ich sehr froh, dass ich nun ihn wiederhabe, meinen Bussard, der noch am Himmel stand, als ich mir so sicher war, dass alles gut sein würde.

Wir sind beide wieder da, wo wir angefangen haben. Wie sind uns wieder sympathisch, weil wir beide Suchende sind. Vielleicht auch deswegen, weil wir an einem sommerlichen Apriltag beide so sehr daran geglaubt hatten, bereits etwas gefunden zu haben.

Wenn ich nicht aufpasse, schlägt mir mein Handy vor, Dich anzurufen. So sehr hast Du Dich über die Zeit, auf die wir in unserem Leichtsinn nie genug geachtet haben, schon in mein Leben geschlichen. Ich blicke auf mein Klavier und stelle mir vor, welche Lücke es bedeuten würde, wenn es eines Tages dort nicht mehr stünde. Doch gerade ist mein Klavier alles, was dem Raum geblieben ist.

Wie gerne würde ich Dich jetzt wieder ganz nah an meinem Ohr haben, Deiner warmen Stimme lauschen und mir vorstellen, wie Deinen Lippen sie berühren. Aber ich muss ehrlich sein, zu Dir und noch viel mehr: zu mir selbst.

Denn ich kann es nicht spielen, das Klavier, das so wunderschön den ganzen Raum einnimmt. Ich habe nie gelernt, es zu spielen, nie gelernt, es zu schätzen. Ich habe es in meinen Besitz genommen und so gerne ich auch über seine Tasten streiche, weiß ich, dass es mir nicht zusteht. Es erlaubt mir nur, von Zeit zu Zeit, vorbeizuschauen. Es ist nicht für mich bestimmt, sondern für jemand anderen. Für jemanden, der es spielen kann.

Während ich aufstehe und zur Türe trete, lasse ich einen Gedanken zu. Den Gedanken, wie es wäre, wenn nicht das Klavier mich an Dich erinnern würde, sondern Dich das Klavier an mich. Und nun ist da die Frage, wenn es anders wäre, ob Du es auch spielen wollen würdest, mein Klavier, dem ich in diesem Moment so gerne über die Tasten streichen würde. Denn wir wissen beide, dass Du mir das eine voraus hast: Du könntest es spielen. Aber nur Du weißt in diesem Moment, ob Du das auch wollen würdest.

Noch immer zieht der Bussard seine Kreise und in meinen Gedanken hänge ich nun der Zeit nach. Ich vermisse Dich, ich vermisse die Aprilwiese und den Gedanken daran, dass noch alles gut ist. Jetzt arbeiten wir daran, dass es eines Tages wieder gut werden wird.

Ich wünsche mir noch immer, dass diese Geschichte etwas Besonderes ist. Weil ich Geschichten über die Liebe liebe, aber viel mehr noch, weil ich an Geschichten über die Liebe glaube. Auch wenn ich übersehen habe, dass es bei Geschichten nicht nur darum geht, ob sie gut enden. Es geht auch darum, ob sie gut beginnen. Es ist so wichtig, wie sie beginnen. Es ist so wichtig, dass sie gut beginnen. Und unsere Geschichte hat nicht gut begonnen.

Unsere Geschichten hätten anders beginnen sollen. Es ist schwer, den Anfang einer Geschichte zu finden. Es ist schwer, die Zeit für einen guten Anfang zu treffen. Denn so sehr wir beide an eine andere Wahrheit glauben wollen, so spielt die Zeit doch eine wichtigere, größere Rolle, als wir es uns eingestehen wollten. Und wenn diese doch unsere Geschichte ist, dann eine, die wir gegen die Zeit verloren haben. Eine Geschichte über das Verpassen und falsche Zeitpunkte.

Als die Sonne hinter die Gipfel der Bäume sinkt und lange Schatten wirft, muss ich ins Freie treten. Um wenigsten einen letzten Sonnenstrahl auf meiner Haut zu spüren. Einen kleinen, weichen Sonnenstrahl, der keinen Schaden mehr anrichten kann und mir in diesem Moment dennoch die Welt bedeutet.

Vielleicht werde ich es eines Tages spielen können, mein Klavier. Aber jetzt ist nicht die richtige Zeit, das Spielen zu erlernen. So wie jetzt auch nicht die richtige Zeit ist, unsere Geschichte zu erzählen.

Geschichten über die Liebe beginnen oft zu spät. Und auch wenn wir daran glauben, dass es gut werden wird, bleibt sie, die Angst, davor, dass auch unsere Geschichte bereits begonnen hat, dass auch wir zu spät sind.

Während ich der Sonne weiter dabei zusehen, wie sie hinter den Horizont sinkt, kommt mir ein Wunsch über die Lippen. Der Wunsch danach, dass unsere Geschichte schlicht noch nicht begonnen hat. Dass wir den guten Anfang nicht verpasst, sondern viel zu früh, viel zu ungeduldig in die Geschichte gestartet sind. Dass wir noch auf den richtigen Zeitpunkt warten müssen, auf den gute Anfang unserer Geschichte.

Mein Bussard kreist nach Sonnenuntergang noch über der trockenen Juniwiese. Seine Beharrlichkeit macht mir Hoffnung. Denn was mich jetzt noch hält, ist der Glaube daran, dass die Dinge, die wirklich gut sind, Zeit brauchen. Dass die Dinge, die wirklich gut sind, nie leicht sind. Und es wäre zu leicht gewesen, wenn ich eines Tages hätte erzählen können, dass es unser Lachen war.

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Lavina Stauber

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