freiTEXT | Laura Kind

Freibad.

Ich erinnere die Sommer in unserer Stadt als einen langen Freibadbesuch. Und ich erinnere Lena, die in jedem dieser Sommer auftaucht, bis die Erinnerung nur noch ein Landschaftsportrait ist, von einer Liegewiese und einem Pool, aber keine Lena weit und breit zu sehen ist. Wenn ich es recht bedenke, war Lena eine Saisonfreundin. So wie die Eisdielen in der Fußgängerzone im September ihre Schaufenster beklebten, und erst im Mai wieder öffneten, bestand unsere Freundschaft aus langen Tagen im Freibad und Limo auf einem Parkplatz.

Das Freibad liegt oben auf dem Hügel, auf der einen Seite an Wiesen angrenzend, auf der anderen Seite die Hochhaussiedlung, in der auch Lena wohnte. Die Leute sagen, dass es hier ständig regnet, aber so ganz stimmen kann das nicht, denn sonst hätte ich nicht all diese Erinnerungen an das Freibad, in dem ich meine Sommer verbrachte, in dem ich schwimmen lernte, in dem ich meinen ersten Kuss bekam und einen allergischen Schock von einer Biene, weshalb ich diese kleinen Fläschchen mit mir herumtrage, deren Beipackzettel ich nie richtig durchgelesen habe. Wenn es also nicht regnete, wie die Leute behaupten, schmorte die Stadt in ihrem eigenen Saft. Ich saß in der Schule, wir hatten Deutsch, Bio oder Physik, und unsere Schweißperlen tropften zu Boden, wo sie direkt wieder verdampften. Nach der Schule packten wir unsere Taschen, quetschten uns in den Bus zum Freibad und wurden allesamt an der Endhaltestelle hinausgepresst. Wir strömten durch die Pforten des Freibads, Schülerströme, die kurz um einen Kiosk und ein Kassenhäuschen mäanderten, um schließlich in dem Schwimmbecken zu münden, wo sich der Strom perlend in Lachen und Schreien auflöste.

Es war der Sommer, bevor Lena aus meinen Erinnerungen verschwand. Ich saß am Beckenrand und tauchte die Füße ins Wasser, bis die halbe Stunde rum war, die das Eis in meinem Bauch brauchte, um nicht mehr den Kreislauf zu belasten. Das Licht und die Wellen marmorierten die Wasseroberfläche und ich streckte die Hand aus, um meine Oberschenkel mit Poolwasser zu kühlen. Die Wassertropfen blieben dort kurz als Perlen sitzen, bevor die Sonne sie wieder aufklaubte. Lena und ich waren schon eine Weile hier, denn in der Schule gab es hitzefrei und nach einer Stunde Englisch und einer Stunde Physik durften wir gehen. Die Sonne stand hoch und es war so heiß, dass einem ganz schummrig wurde. Lena sprang immer wieder neben mir ins Wasser und kletterte wieder hinaus. Dabei schrie sie jedes Mal auf. Lena hatte etwas Lautes an sich, das man nicht so leicht ignorieren konnte. Sie war nicht sonderlich beliebt und auch nicht gut in der Schule, obwohl sie oft zuhause blieb um zu lernen, wie sie sagte. Sie war schon einmal sitzengeblieben und die Lehrer baten ihre Mutter regelmäßig zum Gespräch, zu dem sie nicht kam, weil Lena die Briefe im Mülleimer verschwinden ließ. „Wird schon klappen“, hat sie schulterzuckend gesagt, als ich sie einmal danach fragte. Lena sprach selten mit den anderen aus der Klasse, sondern stellte sich in der Pause zu den Rauchern aus der Oberstufe vor die Schule. Und auch mit mir sprach sie selten in der Schule, so als ob unsere Freundschaft nur im Freibad und nach der Schule stattfinden dürfte.

Ich hatte nun schon lang genug am Beckenrand gewartet, stand auf und lief zur Leiter. Der Boden brannte unter den Fußsohlen. Ich stieg die Leiter Schritt für Schritt hinunter und wunderte mich, dass meine Haut nicht im Kontakt mit dem kalten Wasser zischte, wie eine heiße Pfanne, auf die man Wasser laufen lässt, damit sie schneller abkühlt. Als das Wasser meinen Bauch erreichte, blieb ich schaudernd stehen. „Jetzt stell dich nicht so an!“ Lena stand neben mir an der Leiter und lachte. „Es ist aber kalt!“ – „Meine Güte!“ Ich spürte, wie sich meine Hände von den Griffen der Leiter lösten und ich das Gleichgewicht verlor. Ich fiel rückwärts ins Wasser und tauchte unter. Als ich wieder auftauchte, schwamm Lena neben mir. „Komm, und jetzt Wettschwimmen!“

Nach einer Weile fing es schrecklich an zu regnen. Wir schwammen gerade an den Rand, als das erste Donnergrollen heranrollte. Kurz darauf brach der Himmel auf und wir nahmen jetzt erst die Nässe wahr, die sich anders anfühlte als die im Schwimmbecken. „Komm mit!“, rief Lena und wir packten unsere durchweichten Handtücher und Taschen und liefen los. Ich war noch nie zuvor bei Lena gewesen, was mich nicht störte. Wir hatten ein großes Haus und meine Eltern hatten es gern, wenn wir Gäste bekamen.

Hereingespült von dem Unwetter, hinterließen wir kleine Seen im Wohnungsflur. Lena legte den Finger auf die Lippen. „Kann sein, dass Alexandra schläft.“ Lenas Mutter arbeitete im Krankenhaus. Nach einer langen Nachtschicht lag sie auf dem Sofa, so als könnte sie sich nicht dazu entschließen, wirklich ins Bett zum Schlafen zu gehen, und harrte in einem Zwischenzustand aus, aus dem sie leicht wieder aufschreckte. Als sie uns jetzt bemerkte, richtete sie sich auf und strich sich den Schlaf aus Augen und Mundwinkeln. „Möchtet ihr etwas essen? Ich kann Pommes holen!“, schlug sie vor und ich war froh, denn zu den Pommes sind wir bei dem Unwetter im Freibad nicht mehr gekommen. „Ach, ihr seid ja ganz nass!“ Ihr Blick irrte zum geöffneten Fenster und zu der Wasserlache auf dem Fensterbrett. „Ach herrje. Ich mach das gleich weg.“

Als es aufhörte zu regnen, liefen Lena und ich zum Büdchen und kauften Currywurst, Pommes und Fanta. In die Pfützen war das Blau des Himmels gefallen und ich fühlte mich unbesiegbar, wie ich Hand in Hand mit Lena hineinsprang, das Wasser aufspritzte und das Blau zerbarst. Ich bekam eine Hose und ein T-Shirt von Lena und wartete mit ihr und Alexandra vor dem Fernseher, bis meine Mutter mich abholte. Lenas Hose war mir viel zu groß und ich war froh, dass ich mich setzen konnte, damit ich sie nicht mit der Hand halten musste. Das T-Shirt war am Bauch etwas kürzer und es waren kleine Strasssteine draufgeklebt. An einigen Stellen waren dort, wo Strasssteine sein sollten, dunkelgraue Punkte. Ich weiß nicht mehr genau, was im Fernsehen lief, aber ich erinnere noch, dass wir oft lachten, und dass Lena die Titelmelodien jeder Serie mitsingen konnte.

Als meine Mutter mich abends abholte, machte Alexandra ihr die Tür auf. Meine Mutter lächelte und bedankte sich, blieb dann im Flur stehen, und betastete ihre Kette, als müsste sie kontrollieren, dass sie noch an ihrem Platz war. Alexandra bot Getränke an. Ich sah meiner Mutter dabei zu, wie ihre Zunge nach einer Antwort tastete, aber nichts, was Alexandra ihr anbot, schmeckte ihr. „Haben Sie vielleicht ein Glas Wasser?“ Die Minuten danach saßen Lena und ich in dem Zimmer, das sie sich mit ihrem kleinen Bruder teilte und sprachen über Lenas Freund, den sie bald küssen wollte. Ihr Freund, das heißt, der Junge, mit dem sie manchmal am Hoftor lehnte, ging auf die Realschule und war zwei Jahre älter als wir. Man sah Lena ihr Alter nicht an, weil sie sich schminkte und Buffalos trug, die sie größer wirken ließen.

Lenas Wohnung war hellhörig. In diesem Moment kam mir bei den dünnen Wänden die Stille aus dem Wohnzimmer aufdringlich laut vor, genau wie Lenas Stimme, wie sie von ihrem Freund erzählte. Nach einer Weile steckte meine Mutter den Kopf zur Tür herein: „Julia, kommst du? Wir wollen jetzt gehen.“ Und dann zu Alexandra gewandt: „Hat mich sehr gefreut, Sie mal kennengelernt zu haben. Und vielen Dank für das Wasser. Tschüss Lena.“ Alexandra stand dort im Flur und lächelte so, als dachte sie, dass sich meine Mutter tatsächlich über die Bekanntschaft gefreut hätte. Ich sah Lena an und folgte ihrem Blick, der an den eigenen Fußspitzen klebte. Auf der Rückfahrt im Auto sprach ich kein Wort mit meiner Mutter.

Ich war noch einmal bei Lena zuhause. Ins Freibad gingen wir immer noch, aber selten allein. Es wurde erst eine größere, dann eine andere Gruppe, mit der ich ins Freibad ging, bis wir irgendwann gar nicht mehr gingen.

Letztens wurde mir bei Instagram Lenas Account angezeigt. Er ist nicht privat, ich kann ihre Bilder sehen, ohne ihr eine Follower-Anfrage stellen zu müssen, die ich mich nie getraut hätte abzusenden. Ihre Haare sind jetzt dunkel gefärbt. Auf einem der Bilder hält sie zwei Kinder an der Hand. Vorne sieht man den ausgestreckten Arm und die Gesichtshälfte eines Mannes. Im Hintergrund leuchtet ein Strand weiß und türkisblau.

 

 

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Laura Kind

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Radschlag.

Die Frau kramt fahrig in ihrer Handtasche. Luca hält ihr ein Ticket hin: „Das macht dann fünf Euro, bitte.“ Ihre Tochter, vielleicht zehn Jahre alt, zerrt an dem handtaschenfreien Arm. Die Mutter sagt „Moment, bitte“, mehr zu dem Kind als zu ihm. Luca wartet geduldig, ungeduldig zerrt dabei das Kind am Kleid der Mutter. Sie lässt einen Schlüsselbund und ein benutztes Taschentuch fallen und entschuldigt sich. „Passend haben Sie es nicht?“ „Nein“ und entschuldigt sich erneut. Luca nimmt den Zehneuroschein, die Kasse klickt, das Kind rennt schon vor. Luca gibt der Frau das Restgeld und wirft einen Euro in die Trinkgeldkasse. Er schaut kurz rüber zur Schwester, die das Rad bedienen soll, doch Giulias Augen kleben auf dem Bildschirm ihres Handys. Luca drückt einen Knopf, „Alle einsteigen bitte!“ Die Stimme eines anderen gibt die Worte wieder, die er ins Mikrofon spricht und die Lautsprecher fordern die Gäste auf, sich festzuhalten. „Spaß, Spaß, Spaß! Jetzt geht’s los!“ Die Musik von Vaters CD übertönt das Schreien des Kindes, ob vor Freude oder kurzfristig auftretender Höhenangst ist ungewiss, die Mutter winkt dem Kind mit der einen Hand und kramt mit der anderen immer noch in der Handtasche. Nach drei Umdrehungen fällt das Kind der Mutter um den Hals, ruft „noch einmal!“, doch die Mutter schüttelt den Kopf, verspricht Eis und denkt an Ruhe. Das Mädchen nickt, Luca ist überrascht von der schnellen Einsicht. Die letzten Gäste des Abends lassen das Riesenrad und die Lichter hinter sich. Selbst bei Marco ist nichts mehr los. Später kommt der Vater vorbei und fragt, wie das Geschäft denn so läuft. Giulia schaut weiter auf ihr Handy, Luca zuckt mit den Achseln. Der Vater öffnet die Kasse und nickt zufrieden. Er sieht nicht die Leere des Parks, nicht die fünfzehn Euro und die drei Gäste, die sich hinter dem mitgebrachten Wechselgeld verbergen. „Na, ein Stündchen lohnt es sich bestimmt noch!“ Luca nickt. Vielleicht würden später noch ein paar betrunkene Jugendliche vorbeikommen, ein Liebespaar oder sonnenbeschwipste Urlauber, die darauf hoffen, dass der See im Dunkeln der Nacht doch noch zu einer Sehenswürdigkeit wird, zumindest aber zur Kulisse für Romantik und große Gesten. Einmal, vor ein paar Jahren, gab es einen Heiratsantrag. Luca hat zwanzig Euro Trinkgeld bekommen und das Rad zehn Minuten angehalten. Er hat die CD des nervösen Gastes eingelegt und denselben Song dreimal hintereinander abgespielt. Die anderen Gäste hatten sich beschwert. Doch die Lautsprecher sprachen lauter als die anderen Gäste sich beschweren konnten. Dann hat es an dem Abend für die Bürger ein Feuerwerk und Kondensstreifen in grün-weiß-rot am Himmel und für Luca viel Trinkgeld und mehr Gäste als sonst gegeben. Am Wochenende hat er seine damalige Freundin zum Essen auf der Piazza eingeladen und ihr gesagt, dass er sie liebt. Sie liebte ihn nicht, das fand er jedoch erst drei Monate später heraus.

Das Riesenrad ist 51 Meter hoch, doch was die Menschen immer wieder anlockt ist nicht die Aussicht, die mit der Höhe, sondern das Hochgefühl, das mit der Erinnerung an Kindheit kommt. Die letzte Saison war denkbar schlecht, kaum Touristen, kaum Umsatz. Und selbst als man durfte: Riesenradfahren war etwas für gute Zeiten, für vergangene Zeiten, oder die, die noch in der Zukunft lagen und für die man gerade nicht die Fantasie besaß. Das Unglück lag nicht nur in den Ereignissen, sondern vor allem dazwischen: In den Momenten zwischen den Männern in den Imkerkostümen und den vereinzelten Nachrichten aus der Klinik. Das Dazwischen war der Vater vor dem Herd, nichtwissend wohin mit den Armen und der Angst, das waren die Anrufe, die nicht durchgestellt werden konnten und das allmähliche Erblinden der Fenster und Weiterscrollen im Newsfeed, der immer dieselben Bilder zeigte. Als Luca die Lichter des Riesenrads löschen wollte, hat der Vater ihn angefahren: „Sie kann das spüren. Die Lichter müssen leuchten und das Rad muss sich drehen!“ Als die Mutter wieder nach Hause dufte, ist der Vater mit ihr zum See gefahren. Luca hat der Mutter beim Einsteigen geholfen und dann das Rad zur Hälfte gedreht. Er hat Gianna gespielt, weil die Mutter einmal auf einem Konzert gewesen war. Sie hatte ein Plakat gekauft und es im Wohnzimmer aufgehängt, wo es durch Vaters Zigaretten vergilbte. Nun saßen sie oben, ganz klein in ihrer Kabine, bis der Vater ihm zuwinkte und er das Rad wieder nach unten drehte. Die Mutter sei nun müde und müsse sich hinlegen. Im Schein der Lichter sah das Gesicht der Mutter noch fahler aus. Am Stand nebenan hat Luca sich weiße Zuckerwatte gekauft und mit Marco vom Zuckerwattestand ein Bier getrunken. Eine ganze Weile lang haben sie schweigend dagesessen und aufs Wasser geschaut. Luca nahm einen Schluck von seinem Bier. Es war lauwarm. „Das geht nicht mehr lange gut.“ Marco nickte. „Wem sagst du das.“ Mit dem Morgengrauen ist er dann heimgekehrt, hat die Fensterläden aufgerissen, um Licht und Luft hineinzulassen und Kaffee aufgesetzt. „Wir könnten das Rad verkaufen.“ Er stellte Satz und Kaffee auf die Plastiktischdecke, beides klebte noch daran, als er die Hand nach der Tasse ausstreckte und einen Schluck trank. „Die Leute sind schon davor immer weniger gekommen.“ „Es hat immer mal schlechtere und mal bessere Zeiten gegeben.“ „Und seit ich denken kann gibt es nur noch schlechte.“ Der Vater schaute besorgt die Mutter an, die gerade etwas Kaffee verschüttet hatte. Luca nahm einen Spüllappen und wischte den Kaffee und die Wörter, die er noch sagen wollte, weg. Die Bedenken blieben. „Nein Luca, die Leute werden schon wieder kommen. Es ist einfach schwierig im Moment. Für alle ist es schwierig.“ Luca zuckte mit den Achseln. „Ich dachte nur. Wir könnten auch einen Bootsverleih oder sowas machen. Für reiche Leute, die sich einen schönen Tag auf dem See machen wollen.“ Die Mutter hustete und verschüttete noch mehr Kaffee. Der vorwurfsvolle Blick des Vaters drängte ihn nach draußen, er hörte noch den Vater sagen „Komm, Tesoro, leg dich noch etwas hin und ruh dich aus.“. Wie schnell die Stimme kippen konnte, wie schnell sie brüchig wurde, wie schnell Brüche entstanden, dachte Luca noch. Das war heut früh.

Jetzt sitzt Luca am Steg, einer, der noch niemandem gehört und damit jedem, also auch Luca. Er hat gerade das Fahrgeschäft zugemacht. Giulia ist schon seit Stunden weg. Sie hat seit ein paar Monaten eine Setkarte in einer Agentur und nun ihren ersten Job für eine Modekette. Einmal würde sie nach Mailand gehen. Jetzt läuft sie aber noch mit den Tüten der Modekette über die Seepromenade.  Sie trägt dabei hohe Schuhe und eine aufwändige Frisur und den Kopf erhoben. Manchmal trifft Luca sie auch in der Fußgängerzone, wenn er sie fragen will, ob sie mit ihm abends die Kasse macht. Aber sie wird zu ihrem Freund gehen und Luca wird allein die Kasse machen und den Eltern nichts sagen, nicht, dass Giulia nur noch einmal die Woche die Kasse macht, nicht, dass ihr Bild in einer Kartei ist, nicht, dass die Gäste ausbleiben und auch nicht, dass sie bald eh schließen müssen, wenn sie nicht verkaufen. Die Lichter flirren wie tagsüber die Hitze über dem Asphalt. Wenn es richtig heiß ist, kleben die Schuhsohlen am Boden fest, das fühlt sich dann an als sei man in Kaugummi getreten. Luca beobachtet ein paar Touristen, wie sie von der letzten Fähre schwappen, wie ihr Strom auf die Piazza fließt, wo sie essen, trinken, bett- und weinschwer in ihre Hotelzimmer gehen, sich auf den Betten mit den ihnen unverständlichen Decken fallenlassen, so wie sie ihren Müll überall fallen- und liegenlassen. Sie waren schnell wiedergekommen. Die Zeit hatte nur kurz angehalten, dann hatte sie sich weitergedreht. Luca kauft sich eine Focaccia und ein Bier. Er geht auf die Piazza und trifft ein paar Freunde, die er lang nicht mehr gesehen hat. Seine Ex-Freundin ist auch da. Er spricht kurz mit ihr. Morgen wird er Giulia nach Mailand für ein Casting fahren und sich bei einer Werkstatt um eine Ausbildung bewerben. Er wird erst spät abends zurück sein. Das Riesenrad wird stillstehen und niemand wird an der Kasse sitzen, um das Geld eines Fahrgastes entgegenzunehmen. Der Vater wird mit der Mutter einen Bootsausflug machen und erst vom See aus bemerken, dass das Riesenrad im Dunkeln liegt. Die Gischt wird das Wasser marmorieren und die Mutter wird schwere Beine und leichte Gedanken haben. Sie wird sagen, dass sie Bootsfahren liebt und die Haare und ihr Lachen dem Wind überlassen.

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Laura Kind

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