freiTEXT | Katharina Peham

Quallengarten

I.

Der Geruch von alten Intercity-Zügen, der im Stoff sich sammelt, das Mädchen neben mir, mit einem Buch von Satre; die Täler, in denen wir uns durchgraben; eine Ahnung, dass es dich für mich gibt.

Deine tränenden Augen, der Ausdruck darin, den ich mit Schmerz verwechsle; es ist Gleichgültigkeit auf ganzen Ebenen. Meine Gedanken sind heute ein Kettenkarussell, du bist der einzige Fahrgast. Wir sind andre geworden; jeder Gedanke an dich ist ein kalter Entzug.

Aus deinem Mund wachsen Bäume, ich bin Schmetterling, ich bin Falter. Ich wohne zwischen deinem Geäst, suche Sinn und Blatt gleichermaßen, ich finde nur mich darin, ich denke an die letzten Sommerwinde und begreife den Herbst; ich weiß: die Lebensdauer von Schmetterlingen variiert zwischen einem Tag und einer gewissen Anzahl von Monaten.
Sie schreiben weiter, Liebe ist der Kommunismus im Kapitalismus, wir haben so viel gemeinsam. Mir eine Welt vorstellen, in der wir kein Wirtschaftssystem brauchen, und daran regelmäßig scheitern. Zwischen uns herrscht immer ein bisschen mehr Nachfrage als Angebot, die 800m von der U-Bahnstation und deiner Wohnungstür eingerechnet.

Langsam verfallen wir zu einer Masse und werden zum Grundriss eines Kreuzworträtsels. Deine Finger verknoten sich in meinem Haar; ein Zeichen, dass du bleiben kannst, wenn du möchtest; ich beharre nicht auf Benennungen; deine Unanständigkeiten sind mir lieber. Ich denke uns als Dichtpflanzung, wir können Weinreben sein, wenn du magst, oder Apfelbäume. Ich gebe dir Aussicht, Wein, Mund, Welt, Öl, den kleinen Finger, Übermut, Kissen, die ganze Hand, Vorgärten, Straßenbahnen, Fernbedienungen, Anleitungen, hundertprozentige Schokolade, Jahreszeiten, mich.

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II.

Dich in einem alten, flachen Shirt sehen und bemerken, dass du gerne rot und blau trägst. Eine Sicherheit gewinnen und dann nach deiner Lieblingsfarbe fragen. Ich habe diesen Herbst eine neue liebste Farbe, die Mischung all der Blautöne rund um deine Pupillen. Meine Gedanken an dich nicht mehr festhalten zu vermögen, seit du mich überall angefasst hast, es genauso die ganze Zeit haben wollen. Du hast deine Denkfalte auch im Schlaf, ich frage deine Träume, worüber sie nachdenken. Wir haben noch nicht angefangen, uns unsere Traumlandschaften zu erzählen, deinen Kopf zwischen meine Hände nehmen und so an das kommen, was sich hinter deine Stirn befindet. Den Wunsch auf meinen Lippen haben, mit dir in einen Quallengarten zu spazieren und uns von dem Meer umspülen lassen, ich will dir mein Meer zeigen, alles davon und doch habe ich so Angst, dass du darin nicht schwimmen magst. An die Quallen denken, die uns hineingelassen haben, an die Schatten, die du hinter mir entdeckst. In deine Arme schwimmen, wir würden warm werden, selbst zwischen den Stürmen, das weiß ich. Wir würden singen und schweigen gleichermaßen, am Grund des Meeresbodens ruhen, mein Herz schwappt über, es erzeugt Wellen, so gewaltig, dass du jede davon spürst.

Auf deinem Schoß sitzen, und dich um Liebe bitten, so als wäre es ein Gegenstand, der sich in Hosentasche ansammelt und herausgegeben werden kann. Mein Abenteuer auf See fortsetzen und zur Piratin werden, dein Schiff entern wollen, deine Besatzung beobachten, deine Munition nicht kennen, ich denke, es wird schwierig an dein Backboard zu kommen, das Ruder zu übernehmen, du bist ein stolzer Kapitän.

Im Regen zum Hafen marschieren, wo meine Schiffe warten, die mich westwärts bringen, meine Hände in deine legen in deiner Jackentasche, ich liebe das, musst du wissen. Du erzählst mir von den letzten Plünderungen und Eroberungen, ich versuche, nicht gekränkt zu sein. Da sind deine Geschichte, eine Offenbarung und deine unausgesprochene Angst, dass ich nie wieder deine Stadt ansteuern werde. Ich bewundere dich für diesen Mut und verstehe deine Zweifel in diesem Moment, ich will nicht mal mehr an Bord, sondern aus meinen Schiffen Kontore bauen und gänzlich bei dir bleiben. Wir werden eine erfreuliche und reiche Insel abgeben, da bin ich mir sicher.

Diesmal kommst du auf meine Insel und du staunst über das große Kraftwerk darauf. Ich erzähle dir von Büchern, die ich gelesen habe, und es scheint dich nie zu langweilen. Wir sind 30 und 33, reden von links und von rechts, von den jungen Linken und warum es so wenig alte gibt. Wir stehen in der Mitte und halten uns aneinander fest, ich klammere, als wir über die Brücke schlendern, ich komme nicht umhin, dich sehr festzuhalten, damit der Wind dich nicht wegtreibt, so lieb hab ich dich just in diesem Moment. Wir fahren in ein Stück westwärts und essen Kuchen und trinken Kaffee und du freust dich so, dass dein Stück auf dem Teller selbst gemacht ist und ich, dass du da bist und mit mir in der Sonne sitzt. Am Abend weihst du mein neues Bett ein, ich denke an Fleabag, I fucked the priest, ein bisschen bist du ihm schon ähnlich.

Deine Stadt ein zweites Mal ansteuern und Angst davor haben, wie sie ohne dich ist. Bei Ankunft überall nach dir suchen, rundherum dunkelgrauen Masken oder rosa-roten entdecken und rote, blaue Shirts und graue Shorts, der Hafen ist menschenvoll und du nicht da. Ans andere Ende der Stadt treiben und Spuren von dir suchen und schmunzeln, weil ich einen Mann mit einem Burrito auf einer Bierbank entdecke. Mich in den Gesprächen der anderen verlieren und dich so sehr vermissen, mein Herz legt mehr Knoten zurück als jedes unserer Schiffe.

Deine Stadt ein drittes Mal ansteuern und Angst davor haben, dass du nein sagst, wenn ich dich um Quartier bitte. Eine Bejahung deinerseits, ein Freudensprung meinerseits, mir fällt ein Stein vom Herzen, als du auf der gegenüberliegenden Seite des Zebrastreifens stehst, du hast mich wie versprochen abgeholt, und ich liebe deine Zuverlässigkeit mit diesem Moment. Du bist ein anziehender Kapitän mit dem weißen Shirt, das von einem Zeitalter berichtet, das es schon lange nicht mehr gibt. Mit dir später die Hügel umkreisen, die sich in deiner Wohngegend befinden. Über der Autobahn stehen und überlegen, ob wir auf ein paar Fahrzeuge spucken sollen. Ich fühle eine Verrücktheit zu zweit, und liebe es jetzt schon, wie albern wir sind. Ich mag so sehr, dass du mich zum Lachen bringst und dass wir zwangsläufig über Ernstes reden, obwohl ich manchmal ins Schweigen rutsche, weil ich staune, mit welchem scharfen Verstand du gesegnet bist. Dich in der Sonne beobachten, wie glücklich du bist, ich habe die Ahnung, wir sind beide selten so unbeschwert.

Am Abend zu einer Verpflichtung müssen und auf dich warten bis dein Schiff anlegt, weil ich einen Text über dich im Gepäck habe. Ich würde ihn nicht nur den anderen, sondern gerne dir vorlesen, und weniger darauf bauen müssen, dass du bald kommst. Meine Arbeit ist getan, ich warte auf dich, die Nervosität steigert sich ins Unermessliche, meine Angst, dass du nicht mehr kommst, ist groß. Ich denke an meinen Rucksack hinter deinen Türen, ein kurzer Gedanke daran, dass ich die Sachen nie wieder sehen werde, ich habe dir noch nicht erzählt, wie häufig ich vor verschlossenen Türen in deiner Stadt gestanden bin. Du kommst und bedauerst deine temporäre Abwesenheit, redest über Chinesisch als Lebenseinstellung, über Bücher und über deinen Lieblingskontinent. Ich bin so stolz, neben dir zu sitzen und dich zu haben für diesen Moment und schäme mich, an deiner Zuverlässigkeit gezweifelt zu haben. In deinem Bett knipse ich Fotos von mir, weil ich keine Erinnerung daran habe, je so ein glückliches Gesicht von mir gesehen zu haben, ich halte mich für diesen Moment fest, während du in einer anderen Sprache Unstimmigkeiten klärst. Der letzte, warme Sommertag ist es für dieses Jahr gewesen, das wissen wir beide noch nicht, als ich frühmorgens im Regen zum Hafen laufe.

 

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Katharina Peham

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