freiVERS | Johannes Bruckmann

Der Weg von der U-Bahn nach Hause und der Aufenthalt in der Wohnung

Weil ich
Ein U-Bahnfahrgast
Ebenso gut auch U-Bahnführer hätte sein können
Nahm ich mich vor mir selbst in Schutz
Bis ich
Den unterirdischen Blumenladen passierend
Spürte
Dass ich auch Florist hätte sein können
Statt U-Bahnführer statt U-Bahnfahrtgast

Aber dann
Als ich in mir einen Nachtwächter sah
Irrte ich mich in der Zeit
Ebenso
Als ich in mir einen sah
Der den linken Fuß vor den rechten setzt
Weil ich doch in diesem Moment
Den rechten vor den linken setzte

Erst in meiner Wohnung
Konnte ich nicht mehr alles sein
Konnte ich nicht mehr versehentlich auf neue Gedanken treten
Allerdings nur, bis ich mir den Klang des Telefons vorstellte
Und mich fragte
Was würde derjenige, der abhebt
Demjenigen antworten, der anruft
Würde derjenige sich als eine Castingagentur ausgeben?
Und würde es sich dabei um einen Scherz handeln?

Kämest du jetzt nach Hause
Dann könnte ich vielleicht am Ton deiner Stimme eine Antwort...
Dann könnte ich vielleicht an deinem Geruch...
Dann könnte ich vielleicht...
Aber dafür müsste es dich geben
Dürfte ich jedenfalls in Bezug auf dich
Keinem Irrtum unterliegen

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Johannes Bruckmann

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freiVERS | Johannes Bruckmann

Neubeginn

Es ist schon wieder hell geworden
Aber dieser Morgen begann vor vielen Jahren
Als die Zeit
Noch für mich zuständig war

Es ist, als bräuchte ich jetzt einen Anhaltspunkt
Es ist, als wäre ich mit meiner eigenen Erzählung
Zu weit gegangen
Und müsste jetzt etwas tun
Das ich bereuen kann
Um dann
Neu zu beginnen

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Johannes Bruckmann

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freiVERS | Johannes Bruckmann

Kaltes Feuer

Wir fügen immer noch ein Scheit hinzu und sprechen davon, dass das Holz aus uns sein möge
Wir fügen immer noch ein Scheit hinzu und sprechen davon, dass es unser Feuer sein möge
Wir fügen immer etwas hinzu, auf dass das Feuer in unseren Farben brennen möge
Aber immer ist es noch nicht unser Feuer
Immer zünden wir das Feuer noch nicht an

Das Feuer brennt noch nicht in unseren Farben
Wir beargwöhnen das Feuer, das noch nicht brennt
Früher haben wir auch Scheite abgetragen
Heute fügen wir nur noch Scheite hinzu
Und zünden das Feuer nicht an

Die Scheite werden immer größer, immer schwerer
Wir können die Scheite nur noch gemeinsam tragen
Weil das Feuer nicht brennt, fügen wir noch mehr Scheite hinzu und Scheite hinzu
Wir fügen verzweifelt immer noch etwas hinzu
Die Scheite werden immer größer, immer schwerer

Du willst das Feuer nicht entzünden, es hat zu lange nicht gebrannt
Die Scheite sind feucht und modrig geworden unter der Last der immer neuen Scheite
Wir leben von dem Feuer, das noch nicht brennt, das nicht mehr brennen wird
Aber wir fügen immer noch mehr Scheite hinzu
Wir können sie nur noch gemeinsam tragen

Niemand soll wissen, dass das Feuer nicht brennt, wir geben vor, dass das Feuer brennt
Dass das Feuer in unseren Farben brennt, dass es unser Feuer ist
Wir ersticken in dem kalten Feuer
Wir ersticken unter den schweren Scheiten, wir vermodern unter den schweren Scheiten
Wenn sich das Feuer entzündet, dann verbrennt es unsere Leichen

 

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Johannes Bruckmann

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mosaik32 - passende Kleidung hilft

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Ihre festen Territorien
  • Peter Sipos – die fabrik
  • Karin Pitz – sucher
  • Kerstin Meixner – Das Glück der Stadtfüchse
Störgrößen
  • Sabine Abt – dringlichkeit
  • Christian Künne – Irrtumswahrscheinlichkeit
  • Johannes Bruckmann – Das Pokerturnier
Der Übertritt
  • Suse Schröder – Nicht auf der Höhe
  • Iseult Grandjean – Gleich warm
  • Lea Schlenker – Die Liebe zur Bestie
  • Grit Krüger – Unser Coach
Kunststrecke von Kollektiv Extasier
BABEL – Übersetzungen

Träumen georgische Fische manchmal auf Deutsch? Gibt es im Ukrainischen ein Äquivalent zum deutschen Wort ‚Entfremdung‘? In welchem Film spielte Nicole Kidman den Geist, der dachte, er sei ein Lebender, und wie lautet der Titel nochmal im Kroatischen? Unsere Rubrik Babel ist nicht nur ein Sammelsurium der vielen, uns zuflatternden Sprachen, sie ist auch der Punkt, an dem sich Fragen sammeln, die zu stellen wir uns in einer anderen Sprache nie zugetraut hätten. So gesehen bieten wir auch keine Antworten. Allein die Literatur ist unser Anliegen, und dass diese uns manchmal mehr fragend zurücklässt, soll uns hier als Anreiz dienen, mehr Fisch zu sein als Geist in Menschengestalt.

  • Lesyk Panasiuk – ЕКСПОНАТ / Das Exponat (Unkrainisch)
  • Lesyk Panasiuk – ТІЛЬКИ Б СОН / Nur ein Traum (Ukrainisch)
  • Dino Pešut – Moja mama kao Penelope Cruz u onom filmu / Meine Mama als Penelope Cruz in diesem einen Film (Kroatisch)
  • Dino Pešut – Ja kao Nicole Kidman iz onog filma / Ich als Nicole Kidman in diesem einen Film (Kroatisch)
  • Željana Vukanac – crna deca putuju / Schwarze Kinder reisen
  • Teona Komakhidze – მისი ღიმილი გადაიქცა ოქროს კარიბჭედ […] / sein Lächeln wurde zum goldenen Tor […] (Georgisch)
[foejәtõ]

„Idealismus zahlt keine Fixkosten“, stellt Lisa-Viktoria Niederberger in ihrer Streitschrift über die Rolle von Frauen im Literaturbetrieb fest. „Eine Aufforderung, Erwartungen zu hinterfragen, als Schreibende, als Publikum, als Veranstaltende.“, stellt uns Katherina Braschel vorab. Und Anna Ilin macht sich Gedanken zur Rolle der Frau in der Hausarbeit, bevor uns Julia Knaß in die Literaturmetropole Wolfsberg entführt.

Kreativraum mit Mercedes Spannagel

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