freiTEXT | Marie-Kristin Hofmann
Ich trage dein weißes T-Shirt wie ein Hochzeitskleid
Es ist März und draußen flockt der Schnee. Später, auf dem Weg zu meinem Date, werde ich ihn zertreten und er wird als Matsch-Wasserfall durch die Löcher meiner Sneaker strömen und ich werde dieses ekelhafte Nasse-Socken-Gefühl mit mir herumtragen und wenn ich die Schuhe bei meinem Date ausziehe, wird er die Nase rümpfen und ich werde barfuß durch seine Wohnung gehen und so tun, als ob es normal wäre, einunddreißig Löcher in den Sneakern zu haben. Ich werde so tun, als ob es normal wäre, mit einunddreißig zu tindern und drei Typen gleichzeitig auf zweite Dates zu treffen.
Extrem-Tindern habe ich das genannt. Weil ich nach beinahe sieben Monaten Trennung bereit bin, die große Liebe voll anzupacken. Sieben erste Dates. Drei zweite Dates. Der hier ist mein Favorit, auch wenn er die Nase rümpfen wird und lieber sich als mir zuhört. Sein Bindungstyp stimmt und das ist das Wichtigste. Das hat Stefanie Stahl gesagt und mein Instagram-Feed auch. Er wäre ein stabiler Partner. Und der Kuss mit ihm war schön. Nicht so schön wie mit dir, aber schön genug. Wer will schon diese Achterbahnfahrt, wenn er Stabilität haben kann.
Aber manchmal erwische ich mich dabei, dass ich tagträume. Dann trage ich wieder dein weißes T-Shirt, das du mir gegeben hast, wenn ich keinen Schlafanzug dabei hatte. Ab dann habe ich nie wieder einen mitgenommen, weil ich mir in deinem Shirt so gut gefallen habe. Wahrscheinlich, weil du dann ein Teil von mir warst und weil du ja so große Angst vor Co-Dependency hattest und sich du und ich nie wieder so vermischten, wie wenn ich dein T-Shirt trug.
Ich trage es wie ein Hochzeitskleid. Ich schwebe durch deine Wohnung und dabei flattert es, als wäre ich eine Taube oder eine Braut. Den Rotweinfleck über meinem Herzen versuche ich zu ignorieren. Und die Löcher an den Ärmeln. Du hast auch Löcher in deinen Klamotten gehabt. Wenn ich meine Schweizerkäse-Sneaker bei dir ausgezogen habe, hast du nie die Nase gerümpft, sondern anerkennend genickt und dich dann mit voller Inbrunst über die Wegwerfgesellschaft echauffiert
Du hast auch immer gerne zwei, drei Gläser zu viel getrunken. Als wir mit meiner Familie im Teneriffa-Urlaub waren, waren es drei, vier. Ich weiß, dass es nicht an meinen Eltern oder an meinen Geschwistern lag, sondern an der Tatsache, dass dir fünf Tage am Stück mit mir zu viel Nähe waren. Jede Nacht hast du dich an mich gekuschelt und nicht mehr losgelassen. Du hast dich so fest an mich gedrückt wie an deine Rotweingläser, weil du Angst hattest, dass ich irgendwann gehen würde. So ist es auch gekommen. Du konntest vier Nächte hintereinander nicht einschlafen. Bis mitten in den Morgen saß ich mit dir auf der Türschwelle, während du geraucht hast, und habe dir gut zugeredet. Dann bin ich wieder mit dir ins Bett und habe dir Geschichten ins Ohr geflüstert. Von Nashörnern und Mäuschen, die so wahnsinnig unterschiedlich waren und sich doch so wahnsinnig liebten. Irgendwann hast du deine Regenwald-Musik angemacht, weil du immer noch wach warst. Ich war die ganze Zeit bei dir und das muss was mit dir gemacht haben.
„Ich bin so oft in den Nächten auf Teneriffa, wo alles scheiße war und trotzdem perfekt.“ Die Nachricht kam im September, einen Monat nach unserer Trennung, und hat Wunden aufgerissen so blutig-rot wie der Rotweinfleck.
Jedenfalls schwebe ich durch deine Wohnung. In der Küche steht wieder das Amazon-Paket, das wir bei unserem dritten Date als Esstisch benutzt haben, weil deine Ex deinen geklaut hatte, während du im Studio warst, um bis weit nach Mitternacht Musik zu machen. Als du zurückkamst, war der Tisch weg und an der Stelle lag ein Zettel, auf dem „Fick dich“ stand. Das hast du mir bei unserem dritten Date erzählt. Du hast kein einziges gutes Wort über sie gefunden. Ich habe das damals nicht hinterfragt, weil ich das mit dem Esstisch gemein fand und weil sie auch noch das Küchenkabinett mitgenommen hat, das du selbst gebaut hattest. „Nur nicht das Küchenkabinett“, hattest du gesagt, aber sie hatte dir wehtun wollen. Ich habe mich erst viel später gefragt, warum. Warum konnte irgendjemand dir wehtun wollen. Einem Menschen, der so gutmütig und liebevoll war.
Ich greife nach dem Paket. Es löst sich auf. In Geständnis-Moleküle. Sie war eigentlich deine Ex-Frau. Ihr wart sieben Jahre zusammen. Fast genauso lange war ich single. Ich habe versucht, verständnisvoll zu sein. Weil du eine Scheidung hinter dir hattest. Weil du bestimmt Zeit brauchtest, bis du dich wieder auf jemanden einlassen konntest.
Ich setze mich auf dein blaues Sofa, auf dem wir uns stundenlang unterhalten und nie eine einzige Serie geschaut haben außer einer Folge The Witcher. Auf deinem hässlichen Beistelltisch, der wie ein Mülleimer aussieht und wegen dem ich dich immer geneckt habe, habe ich einmal einen Zettel hinterlassen, auf dem »Vermisse dich« stand, weil du wieder spät im Studio warst.
Ich strecke mich aus, das Sofa zerfließt zum Meer. Du hast immer davon gesprochen, dass du mit mir ans Meer willst. Nur du und ich. Du hast immer so viele Versprechungen gemacht und sie nie eingehalten. Erst auf Teneriffa waren wir endlich zusammen am Meer. Ein Jahr nachdem du es versprochen hattest.
Wir saßen am Rand der Klippe, Wellen krachten, das Auto knarzte. Wer auch immer diesen Parkplatz auf Google Maps so benannt hatte, er hatte Recht gehabt. Es fühlte sich an wie das Ende, das Ende der Welt. Unter unseren baumelnden Füßen schimmerte das Meer wie die millionenschweren Villen mit ihren Privatstränden und Swimmingpools, in denen wir zwei armen, erfolglosen Künstler nie leben würden, aber hier oben hatten wir sowieso die bessere Aussicht. Der Himmel hatte die Farbe des Sturms. Wir warteten auf einen Sonnenuntergang, der nie kam. Das Bier in unseren Mündern war warm und die Seafood-Pizza mittelmäßig. Unten im Sand stand Jenny geschrieben, aber mein Name war auf deinen Lippen, wo er hingehörte. Eine Mücke erwischte mein Schulterblatt, du legtest deine Arme um meinen nackten Rücken. Noch nie im Leben war ich so glücklich gewesen und vielleicht würde ich es nie wieder sein.
Ich mache Tippelschritte den Flur entlang. Das ist etwas, das wir gemeinsam haben. Komisch zu gehen. Ich tippele wie eine Maus und du stampfst wie ein Nashorn.
Im Schlafzimmer flackern noch die Kerzen, die du jede Nacht angezündet hast, wenn ich da schlief. Unsere Körper sind Schatten an der Wand. Wir tanzen unter den Laken wie Seidenflocken. Wie die Schneeflocken, die draußen vor meinem Fenster weiterflocken. Weiß und zart und so weit entfernt davon, Matsch zu sein. Deine Textur verschmilzt mit meiner, sehnt sich nach mir, fleht mich an dich von deinen Dämonen zu befreien. Ich hatte es nicht gekonnt.
Und dann bist du wirklich da. Du hältst mich fest, als ob das kein Traum ist. Als ob wir uns nie getrennt haben. Als ob, nur dieses eine Mal, Liebe genug ist.
Aber es ist nur ein Moment. Und ich muss aufhören, immer noch von dir zu träumen und über dich zu schreiben. Ich muss loslassen, sagt Stefanie Stahl. Ich muss draußen im Matsch nach einem stabilen Partner suchen.
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