Paternoster

Glück im Unglück,
Wenn nur der Vater
Und nicht die Mutter,
Sagt sie
Und zieht
Das Ginstergelb fest,
Das vorhin im Briefkasten lag.
Doppelt kann man sie binden
Um den Mädchenarm,
Fast dreifach
Am Ende von allem,
Die Horizontebene,
Die sie teilt

In Himmel und Erde
In Himmel und Erde.

Dein Reich komme.

Sie kocht und wäscht
Für ihre Geschwister;
Das Kleinste schieben sie und ihr Bruder
Wie Jungelterngewordene
In einem Holzwägelchen
Vor sich her.

Es schreit nie.

Manchmal denkt sie Unerhörtes,
An Opulenz, im Einschlagpapier eingewickelt:
Eine Vollkornstulle mit Butter,
Und ihr Mund wundet
Von den ausgespuckten Aprikosenenkernen,
Die sie aufsammelt, wenn niemand hinsieht:

Wie Taler blinken sie zu ihr herauf,
Wie braune Paukanten,
Die mit ihrem eingeritztem Spalt
Zeigen wollen,
Dass sie, ganz anders als Frauen,

Keine Schönheit brauchen; dass man sie
Ja nicht mit Frauen verwechseln sollte,
Dass sie sich vielleicht auch wünschen,
Frauen zu sein, weil sie denken,
Als Frau müsse man, ja ja, gespalten sein.

Sie überkaut die Ahnung von Sommer,
Während sie unweit
Das Blechern von Medaillen hört:
Ein Windspielstapeln,
Das schon an der nächsten Straßenecke
Einknickt.

Für Nelly Kerngut

 

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Chris Lauer

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