Fünfzehn mal drei

Ich liebe dich

sage ich, und die Abwesenheit einer Antwort sagt mir alles. Ich nehme einen Schluck Tee, und verbrenne mir die Zunge, obwohl er schon seit Stunden in der Tasse ist.

Ich liebe dich

sagt sie, und küsst mich und für einen Moment bin ich König der unendlichen Weiten innerhalb einer Nussschale. Dann geht sie und die Nussschale schließt sich, wird wieder klein, bis ich mich nicht mehr bewegen kann und mir wünsche, eine Krähe würfe mich auf die Straße unter die Reifen eines silbernen Mercedes.

Ich liebe dich

brüllt er, und schlägt noch einmal zu, jede Silbe eingehämmert in die rötlichbräunlichgraue Masse, die einmal ein Gesicht war. Er weint dabei.

Ich liebe dich

tippt sie, und wartet darauf, dass die Ampel wieder grün wird. Sie schickt ein Herz-Emoji und fragt sich dabei, ob es ihrer Freundin auch aufgefallen ist, dass der Whatsapp-Feed nur aus Emojis und der Frage nach dem Abendessen besteht.

Ich liebe dich

flüstere ich, und denke dabei an eine andere.

Ich liebe dich

schneidet sie dem Baum in die Rinde, und verbringt dann den Rest des Tages damit, das Harz vom Messer zu kratzen. In zwei Jahren wird der Baum gefällt sein und ihre Freundin wird den Schlagzeuger geheiratet haben, über den sie sich gemeinsam lustig gemacht haben.

Ich liebe dich

denkst du, sagst es aber nicht, weil in jedem Paralleluniversum eine Version von dir existiert, die mutig ist, aber hier und jetzt gibt es nur dich.

Ich liebe dich

lacht er, und streichelt den Bauch seines Freundes, genau unter dem Nabel, wo seit einigen Wochen die ersten grauen Haare wachsen. Der Bauch ist weich und die Sonne lässt das Silber glitzern, als wäre es kostbar.

Ich liebe dich

keuchst du, und ich schaue an die Decke, die der Vormieter schlecht gestrichen hat und frage mich, warum es heute im Supermarkt keinen Fenchel gab.

Ich liebe dich

sagt der Mann am Nachbartisch zu seiner Tochter, vielleicht ist es aber auch seine Freundin. Sie lächelt ihn abwesend an und schraubt den Salzstreuer auf und zu, auf und zu, auf und zu.

Ich liebe dich

murmelt er, schon fast eingeschlafen, und wirft seinen Arm über dich, und du fühlst dich wie eine Eiche, die langsam vom Efeu erstickt wird. Dem Efeu vor dem Fenster ist das egal, der wächst weiter.

Ich liebe dich

sagt das Mädchen zu ihrer Freundin, die lacht und ihr ein Gänseblümchen in den Mund steckt, den bitteren grünen Stängel voran.

Ich liebe dich

gesteht der junge Mann der Barista, die ihn mitleidig ansieht und ihm seinen Kaffee in die Hand drückt. Er geht, und wirft den Becher vor der Tür in den Müll.

Ich liebe dich

sagt der Engel, und die alte Frau lächelt. Der Engel sieht aus wie ihr Mann, mit Flügeln aus Neonlicht.

Ich liebe dich

sage ich. „Ich dich auch“, sagst du.

 

Tabea Baumann

 

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