Auto

Auf dem Weg nach Hause in dem Boliden: Genaugenommen habe ich ihn gestohlen oder zumindest beiseite geräumt, wie man so sagt. Das Auto meines Vaters ist mehr oder weniger das Einzige, was ich retten kann von dem ganzen Hofstaat. Der Zustand, den er mit seinem vorzeitigem Tod hinterlassen hatte, verspricht ein riesen Scheißhaufen zu werden. Beginnt zu wachsen, kaum dass er seinen letzten Atemzug getan. Eigentlich schon vorher, vielleicht lange vorher. Es hatte sich was angesammelt. Heute weiß ich mehr. Aber viele Dinge kann man ignorieren. Manche ein Leben lang. Juristisch bin ich etwas mehr involviert als mir lieb ist, in dieses Kartenhaus, das in Zeitlupe über mir beginnt in sich zusammenzufallen – und eigentlich nur die Spitze eines Eisbergs darstellt.

Mir ist seltsam, meine Zukunft scheint mir ungewisser als sonst. Ich schwimme in dem fetten, silbernen Mercedes, der eher einem Zuhälter gut zu Gesicht stünde – Seltsame Fassaden, die mir zwei Nummern zu groß sind. Das Gaspedal spürt man kaum. Ich glaube mich an eine Halbautomatik zu erinnern. Bequem, zugegeben und der Fuß liegt wohl etwas lockerer als sonst: Ich trete drauf – Turbo. Aber meinen Testosteronspiegel hebt es nicht merklich, auch wenn es so gedacht sein dürfte. Ich kann Fahrzeuge solcher Machart nicht ausstehen. Irgendetwas daran ist verkehrt, überzogen – zu breit, zu lang, dafür zu flach. Als hätte man in einer Dimension gespart, damit er in den Anderen besser klotzt. Was soll man dazu sagen. Mehr Status als Transportmittel eben.

Gedankenversunken geht es weiter heimwärts. Neben mir seine Seidenkrawatten und das Silberbesteck. Ein paar andere Erinnerungsstücke rollen lose auf der Rückbank. Ich fühle mich schäbig. Ich telefoniere und erfülle jede Voraussetzung für Rollenbilder, die ich eigentlich zu meiden suche. Eine Zivilstreife macht sich bemerkbar, hält mich auf. Ich versuche unauffällig – also weder zu schnell noch zu langsam – ranzufahren. Es gelingt mir stattdessen fast eine Vollbremsung am Pannenstreifen. Mein Herz klopft, mehr prinzipiell als aufgeregt, wie immer eigentlich wenn Freund und Helfer meine Wege kreuzen: Die angeborene Hassliebe zu den Autoritären. Meine sexuellen Vorlieben erklären sich so, obendrein. Uniformierte Figuren nähern sich geübt dem Raumschiff.

Dem Gesichtsausdruck der Beamtin ist zu entnehmen, dass sie Anderes erwartet hat, als ich das Beifahrerfenster elektrisch runterlasse. Unbeholfen, weil ich die neumodische Mechanik nicht sofort bedienen kann und wohl eigentlich eher nach einer Kurbel suche. Sie hat keinen Pferdeschwanz, wie so viele ihrer Kolleginnen, als sie sich siegessicher ins Cockpit beugt. Ich bekomme ungewollt völlig automatisch mein schuldbewusstes Büßergesicht, das ich schon seit meiner Kindergartenzeit mit mir rumtrage. Ich habe keine Kontrolle darüber. Sie blickt sich um und sieht einen Dieb. Man solle sich nicht wehtun, lacht sie lapidar und meint wohl alles zusammen, sprich: Fahrzeug, Ware, Fahrstil und Telefonat in Kombination. Sie winkt den Kamerad herbei, der die Nummerntafel übers System jagt.

Ich stammle etwas von toten Vätern, Erbstücken und pflegebedürftigen Verwandten (der Anruf) um eine grobes Bild zu skizzieren. Ich spüre Schweißperlen. Der Check ergibt nichts. Sie sieht mir nochmal in die Augen, da sie mich nicht einordnen kann, wie ich vermute. Ich versuche standzuhalten. Ich habe nichts falsch gemacht – nicht wirklich jedenfalls – dennoch fühlt es sich so an – das machen sie immer so. Ich löhne einen Fantasiebetrag von glatten fünfzig Mücken in mitteleuropäischer Währung in bar und bekomme im Gegenzug eine Quittung und die üblichen elterlichen Ratschläge für künftiges Verhalten. Ich verspreche mich zu bessern und bedanke mich demütigst. Halb geheuchelt, halb ernst gemeint, wie es meiner ambivalenten Natur entspricht – Erledigt.

Zuhause parke ich den Schlitten in die Tiefgarage und hoffe insgeheim, dass mich keiner der Nachbarn auf den neuen Untersatz anspricht. Da steht er nun und triumphiert – ich verwünsche ihn. Es wird eine Weile dauern, bis ich ihn veräußern kann. Das deutlich funktionalere Eigengefährt wird lieblos als Dauerparker vors Haus befördert. Ich sammle Mut und rausche in den nächsten Tagen zu einer dieser Kfz-Verkaufsstellen – mit dem neuen Ding. Der Berater inspiziert auf Herz und Nieren, labert einen Standarttext. Ich glaube ihm nicht und meine im Privatverkauf mehr lukrieren zu können. Also wieder zurück – langsam wird es eine Odyssee. Bis ich mich dazu durchringe, Näheres in die Wege zu leiten, vergehen Wochen. Dann alles sehr schnell: Fotos, Beschreibung, Anzeige, Ebay-Generation eben.

Einschlägige Interessenten melden sich, versprechen das Blaue vom Himmel. Auf den Fotos sehe er ja gut aus, man nehme ihn auf jeden Fall, und so weiter. Ein Treffen wird arrangiert. Tags darauf, abgemachte Uhrzeit: Ich stelle mich runter, damit man mich findet. Ein Wagen fährt vor, nicht unähnlichem Jenem, den ich eigentlich loswerden zu gedenke. Drei Typen steigen aus und mir wird schlagartig bewusst, dass ich einen Fehler begangen habe. Sie passen ins Bild. Ich lege sie in die dazugehörige Schublade und versuche mich nicht zu sehr über meine Vorurteile zu ärgern. Auch sie erkennen mich sofort und freuen sich über Beute. Eine Probefahrt: Ich sehe mich gezwungen mitzufahren uns steige ein – in eine archaische Blase, die zu beschreiben mir jegliche Worte fehlen.

Wir sitzen zu viert im Ufo, der Jüngste von Ihnen am Steuer. Die andere Beiden geben sich als Vater und Bruder aus. Man möchte offensichtlich die patriarchale Flotte erweitern, stelle ich mir vor. Als sie in der 30er Zone mit Karacho den Turbo austesten, fragen ich mich was ich hier eigentlich tue. Nerven liegen blank, mein Unterbewusstsein schickt Stoßgebete, Gott weiß wohin. Der Rest verblasst – Wieder Tiefgarage: Dieses und Jenes wird plötzlich bemängelt, mit Speziallampen wird die Lackierung enttarnt und überhaupt. Sie reden auf mich ein, wissen ihre Zeilen auswendig. Ich bin ein gefundenes Fressen. Sie sind von weit angereist und wollen das Ding unbedingt, aber nicht zum ausgeschriebenen Preis. Es geht lange hin und her und sie kriegen mich soweit – Schließlich habe ich die Schnauze voll.

Ich will nicht mal mehr zurück zu der Verkaufsstelle, wo deutlich mehr geboten war – Der Mann dort hatte recht behalten. Aber die Karre ist schon abgemeldet und ich habe keine Lust mehr auf weiteres Prozedere. Ich lenke ein. Handschlag – in Mehrzahl. Ihre Flossen fühlen sich an wie nasse Lappen. Keiner von ihnen sieht mir in die Augen bei diesem Ritual. Sie haben ein Schnäppchen gemacht und freuen sich. Gleichzeitig verachten sie mich zutiefst und ich Sie. Unmut staut sich, in der ansonsten so gemütlichen Garage an diesem Tag – So funktioniert die Welt. Der Älteste von Ihnen entdeckt schlussendlich noch das Behindertenemblem am Heck, versucht es angewidert abzukriegen. Er weiß nicht wohin damit und drückt es mir in die Hand. Ich fühle abermals seine schlappe, feuchte Pfote in der Meinen.

Papiere werden unterfertigt, Unterlagen ausgehändigt. Ich trenne mich vom Zündschlüssel und damit dann doch recht abrupt von dem Unding. Die Bürde, die Last, die verbundene Emotion und das Symbol, zu dem dieses Auto für mich geworden war, verlassen mich allerdings erst Jahre später. Leise und schleichend. Wie eine Schildkröte die, wenn man eine Weile nicht hinsieht, fort ist. Vielleicht um die nächste Ecke, eine Straße weiter, unter der Brücke, am Kiosk vorbei, aus der Stadt raus, über die Grenze, westwärts, den Kontinent auf dem Schiffsweg verlassend, im Nebel an neuen Ufern anlegend, eingereist, nach Kalifornien, weiter übergesetzt und immer fort. Aber die Welt ist eine Kugel und die Schildkröte kommt wieder. Du siehst hin, siehst weg, siehst nochmal hin und schon ist sie wieder da.

Stefan Kreiger

 

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