Friseurbesuch, abgeschnittene Enden

Draußen schwimmen die Fische ums Aquarium, lese ich. Draußen schwimmen die Fische ums Aquarium. Bei jeder Rückkehr schrumpft die Stadt zu einem Kloß unter dem Küchentisch zusammen, so weit habe ich mich gefühlt. Da ist etwas, das ich nicht weiß, um das ich nie Bescheid wissen werde, es ist die Gemütlichkeitslage, wo versteckt sie sich unter all den Übermalungen an der Wand?

Ich trete aus der Tür. Hier bin ich, bin ich, bin ich, mich sehen all diese Menschen, die ich sehe, wie sie ihre Leben in Girlanden verwirbeln ein Zirkuszelt aufstellen mitten auf der Einkaufsstraße, die über meinem Kopf Loopings schlägt, während ich gehe und an meine überanstrengten Beine denke. Ich fühle meine Oberschenkel, immerhin hier ist mein Körper er wird gesehen wird begutachtet und für anders befunden. All die Girlandenmenschen sehen mich und denken, diese Beine sind nicht meine nicht ihre nicht eure sie sind dort, wo die Girlanden entwirrt werden, nichts davon gehört zu meinem eigenen Wirrwarr.

Eine Tür fällt hinter mir zu, ich lasse meine Haare anfassen, jemand schneidet mir über meinem Gehirn etwas ab und ich schaue leicht nebelig von all diesen Girlanden all dieser Zirkusmusik in den Spiegel und sehe das gemächlichste Haarfegen hinter mir geschehen, das gemächlichste aller — das ich je gesehen habe. Da schreitet dieser Mensch und fegt und fegt und hat einen Wirbel am Kopf, wo mir eben alles abgeschnitten wurde, all die Fische und all die halben Jahre, die ganze halbe Zeit, da wippt der Schopf mit dem Fegen im Takt, wiesegleich wippt sie durch den Raum, diese fremde Girlande und schaut mich an mit ihrem Ichhabdichgesehenblick, das bringt mich aus der Umgebung. Das treibt mich davon aus dem Spektakel hinein in die Tagträumerei, was ist das jetzt wirklich mit den Abständen, die gibt’s, das habe ich gelernt, die Abstände, die gibt’s.

Die Schluchten habe ich erst gesehen, vom Randstein fällt die Welt steil bergab schneidet sich ein Flüsschen einen Graben, eine Träne: ein Graben, der für ordentliches Klettergeschick nicht bürgt und sich ins Fäustchen lacht bei all den Wanderungen Irrungen als ob da jemand an die Quelle gelangen könnte, die ist völlig überwuchert.

In meiner Abwesenheit sehe ich sie schon hantieren mit der Gartenschere, mähe mir meinen Rasen, möchte ich ihr zurufen, mähe mir den Rasen, zupfe an den Stauden und den Flechten, lass sie rieseln, möchte ich ihr zurufen, oder entkommt es mir, halte mir kurz die Hand vors Gesicht und greife nach der Brille, vor mir abgelegt, um sehen zu können, durch den Spiegel, ob sich denn im Blick der Schneidenden ablesen lässt, dass ich mich hörbar gemacht habe. Ob ich wirklich in den Garten gerufen habe? Ich sehe, ja, sie fängt den bebrillten Blick und hält inne beim Grasen kurz, sagt aber nichts, irgendwann ein Abwenden, ich setze die Brille auch wieder ab und falle zurück in die Ausgangsposition, die ohne jede Klarheit ohne Haltung auskommt, in ausreichender Sprachlosigkeit.

Alle Worte einfällig, nicht aufgeschlagen nicht ausgedrückt, sie fallen in mich ein und wenden sich ab zur Gänsehaut. Ich reibe an meinen Armen, gerade die Oberschenkel verloren, spür ich nicht mehr, jetzt wende ich mich den Armen zu und hole aus zur Aufmerksamkeit, die noch übrig geblieben ist vom Blickkontakt. In mir purzelt die Grammatik, vor allem die Suffixe schlagen übereinander, da lässt sich kein Abschluss finden beim Einfallen, das geht weiter und weiter und weiter, das Silbengestotter nimmt kein Ende und das Schneiden dauert auch so lange. Draußen schwimmen die Fische ums Aquarium, denke ich, wo wachsen die Pflanzen, wo verstecken sich die Fische, während sich die abgeschnittenen Enden in mir verstecken?

Zurück zuhause liege ich im Bett, das ich ins Zentrum des Raums gestellt habe. Ich betrachte die Möbelstücke, die ich im Laufe des letzten Jahres angetragen habe, um ihn gänzlich ausgefüllt erscheinen zu lassen. Ich habe diesen Schrank gekauft, damit er Raum einnimmt und diese Vorhänge, damit sie abschließen. Ich habe diesen Schrank gekauft, damit du ihn siehst und diese Vorhänge, damit du eintrittst in den Raum und dich freust über das Abgeschlossene, inmitten dessen du dich befindest. Die Möbel erfüllen alle einen Zweck, den Zweck, von dir gesehen zu werden. Sie stehen da und stauben an und werden bloß von mir betrachtet, liegend frage ich mich, ob sie zerfallen werden, wenn ich aufhöre, an dich zu denken.

Ich liege hier und versuche mich auszubreiten, breitbeinig liege ich hier, die Zehenspitzen an den Bettecken ausgerichtet und an mich klammere ich die schwerste der Decken. Als ich hier eingezogen bin, erinnere ich mich, hast du aus dem Fenster gespuckt und mich gefragt, wo ich bin. Schau mich an, wir tanzen, hast du gesagt. Da gab es noch keine Vorhänge und dementsprechend keine Abgeschlossenheit und so weht alles aus dem Fenster, alles, das du sagtest, auch das Tanzen ist nicht geblieben. Dann kamen die Möbel.

Ich strecke mich, hebe das Kinn. Ich betrachte mir die Kästen und Vorhänge und Stühle und Stuhlbeine, die alle bloß deinetwegen hier sind. Die Farben habe ich meinetwegen ausgewählt, aber die Formen, die Füllung, die ist für dich. Ich habe schwere Möbel mit schlanken Beinen ausgewählt, die punktuell aufs Parkett drücken, vielleicht Auszugsmale hinterlassen, wenn ich die Augen schließe und sie dann verschwinden wie du. Seitdem du verschwunden bist, sehe ich all diese Zirkusgirlanden an den Straßenrändern, die Stadt feiert Feste, trompetet und fegt Haarschnitte über die Randsteine, seitdem du verschwunden bist. Ich dagegen sammle Möbelstücke, die den ganzen Raum ausfüllen sollen.

Einmal in der Woche gehe ich treppab an einem herbstlich schwach beleuchteten Lampenladen vorbei und frage mich, welcher Schirm zu welchem deiner Hüte passen könnte und sehe dich rückwärts aus der Tür treten und sagen: „Wo bist du? Lass uns tanzen.“ Ich drehe Pirouetten in Gedanken, senke das Kinn, versuchend, den Blick abzuwenden von den üppigen Oberflächen, die mich an vergangene Entscheidungen erinnern. Es gelingt nicht, da stehst du fast im Raum und sagst: „Ich glaube, du brauchst eine Typveränderung, draußen verändern sich die Farben.“ Du öffnest den Schrank, den rechts im Blickfeld, die Tür macht leise Schwinglaute. Du ziehst das schwarz-weiße Hemd heraus, das ich von der letzten Reise mitgebracht habe, und hast recht, es war eine Herbstreise. Hältst es dir überzeugt vor die Brust, „Was meinst du, passt das zum Wind draußen?“ Ich nicke unentschlossen, liege hier im Zentrum des Raums und es ist mir gänzlich egal, was ich mir für die Außenwelt anlege. Ich verstehe sie nicht, im Moment.

Erhebe mich und lasse das Nachbild von dir im überfüllten Raum zurück, ich denke, es ist Zeit für einen Spaziergang, das Dämmerlicht zieht mich aus der maulwurfsblauen Decke, an den Zehenspitzen zuerst und kippt mich, die Füße kalt, Schuhe sind auszuwählen. Ich habe alle Schnürsenkel abgerissen, fällt mir auf, also trage ich Sandalen und klappere ins Freie, das mich sogleich überfällt. Die Feierlichkeiten dauern noch an, die Girlanden sind noch nicht in die Nacht verschluckt, haben noch keine Bars und Getränke ausgewählt, sie schwingen noch über die Zebrastreifen und sind laut dabei.

Es pfeift förmlich, mir pfeifen die Überreste der Feierlichkeiten, ich mag mir die Ohren zuhalten, aber ich halte nur aus und hole dann aus zum Klapperschritt, flappe um die Ecke, aus Gewohnheit sehe ich mir den Asphalt dort etwas genauer an, er fleckt und irgendwo hier hast du hingespuckt, als du mich gefragt hast, wo ich bin. Was feiern sie alle, schreit es mir aus den Korridoren, ich verdutze mich, schnell weiter eingliedern in die Routine, es hallt aus den Gewinden, ich verliere langsam die innerliche Liegehaltung und hasche nach den Girlanden auf der Straße, nicht mit den Händen, Girlanden sind keine Möbelstücke zum Festhalten, nur Luftschlangen, bunte.

Die ganze Stadt riecht nach Schokolade ich pruste laut schnupfe die Süßigkeiten regnen überall aus den Fenstern qualmt die Radiomusik des letzten Jahrhunderts, ich hüpfe schneller, fühle wieder meine Beine spannen, spanne mit meinen Schritten weit ausholend über die Fugen Risse in die Straßen, die Schatten der Rauchfänge möchte ich nicht einfangen mit meinen Schritten nur schnell weg von dieser Musik.

Wieder während dem Liegen stelle ich mir fast vergessenes Gefühl vor. Ich stelle mir vor, im Eckzimmer des Mutterhauses auf den Schlaf zu warten, der nicht kommen mag, den ich mit Willenskraft vertreibe, weil draußen noch Schritte zu hören sind, die in die Küche und zurück, die aus der Küche ein Glas Himbeersaft holen und jemandem vorsetzen, der nicht zu Besuch ist. Ich könnte Himbeersaftgeräusch verpassen, sollte ich jetzt einschlafen.

Ich höre die schlechten Dielen klappern unter den bloßen Sohlen oder unter den Holzschlapfen, die gab es einmal, als ich nicht auf den Schlaf warten wollte, das Glasgeräusch schwingt kurz, und durch den Türspalt ein Schimmer wie ein Schimmer Leben, der schüttelt die Decken auf und setzt auf beide Augen einen Kuss Ruhe, ruhige Schlaflosigkeit durch den Türspalt. Ich hebe das Kinn, vor allen Spalten steht jetzt ein Kasten, Massivholz, auf dessen Hochglanzoberfläche sich der Vorhang spiegelt. Verkaufe ich diese Vorhänge, frage ich mich.

Irgendwann ist es Zeit, die Möbel allesamt zu verkaufen, denkst du. Du denkst den Satz zu Ende und fühlst ein unregelmäßiges Pochen, irgendein Organ hält inne und möchte nicht ausräumen, irgendein Organ hat einen bittersüßen Anfall, nur ganz kurz, kaum merklich. Immerhin hast du bereits so oft begonnen, diesen Satz zu denken, so oft hast du gedacht, vielleicht sollte ich die Möbel allesamt — dann abgebrochen.

Dir fällt überhaupt auf, dass — dir fällt auf, die Zeit im Zeichen verschiedener Anfänge zu verbringen, aber nichts — nichts und wieder — zu Ende zu — Nichts hast du vollendet, verkauft. Nichts bist du losgeworden, nichts hat dich ausgezeichnet, bis auf all die leuchtenden Anfänge. All das Sektglasanstoßen, auf ein Neues — ein neues Jahr zuerst, dann auf neue abgeschnittene Enden. Winterlich hattest du noch an leuchtende Enden geglaubt, welch eigentümliche Verwirrung, wir waren keine Himmelskörper.

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Sophie Schagerl

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