Meister des Heldentums
Wir bilden unsere Helden aus wie jede andere Zunft. Sie bekommen keine Sonderbehandlung, denn in Anbetracht der Bescheidenheit als höchste Tugend würde das nur ihren Charakter verderben. Ihre Berufsbekleidung, die sie auf ihrem Weg in den Betrieb meist schon am Leibe tragen, soll nicht nach Aufmerksamkeit lechzen. Hält man sie in den Straßen an, so ist ihr lächelndes Schweigen auf Anfrage – Sind Sie Held? – keine Koketterie. Ein jeder Bürger ist ausdrücklich angehalten, normal mit diesen Menschen umzugehen, auch wenn es schwerfällt, im Bruder, in der Schwester, im Onkel, in der Tante, im Schwiegervater, in der Schwiegermutter eben nicht mehr zu sehen als das; als Mitreisender im Zug muss man sich ihnen ja nicht zuwenden, aber wenn der Kontakt sich aufzwingt, darf man sich nicht blenden lassen vom strahlenden Heldentum, das einem ins Gesicht schlägt. Man darf nicht vergessen, dass sie ihre Heldenausbildung selbst gewählt haben; sich zu bewähren in der Not, sich gar aufzugeben, wenn es sein muss, und dabei ganz bescheiden zu bleiben und von sich aus niemandem von den eigenen Heldentaten zu erzählen, das bekommen sie ja im Berufsschulunterricht beigebracht, daraufhin werden sie trainiert, wie der Tischler in seinem Handwerk, wie der Maurer auch.
Wenn sie sich dann freigesprochen und frohen Mutes auf ihre Wanderschaft begeben, den Stock schwingend wie jeder andere Geselle und gehüllt in Tarnkleider, damit sie nicht auffallen, so sind sie nicht in Versuchung zu führen, keiner darf sie um Hilfe bitten, wenn Not am Mann ist, vielmehr müssen sie ihr Meisterstück von selbst erspähen und sich aus freien Stücken ohne Anleitung eines Anderen in die Aufgabe stürzen. Dies ist, offen gestanden, eine alte Sitte; später wird man ihnen genau sagen, wohin sie sich zu begeben haben und was sie dort tun sollen, was es ihnen, den Jüngeren, leichter macht Held zu sein; um die Älteren aber nicht zu brüskieren, deren Arbeitsalltag noch ganz anders war und ganz andere Qualitäten abverlangte – sie sitzen ja überdies in den Gremien, diese Älteren, und bestimmen mit über die Ausbildungsinhalte –, um sie also nicht zu brüskieren, belässt man einige der alten Sitten, damit die jungen Helden wissen, wie schwer es ihre Vorgänger einmal hatten und wie viel Respekt ihnen damit gebührt. Die Jungen nehmen es hin, sie nehmen es sogar auf und werden eines Tages vor den noch Jüngeren selbst darauf bestehen. Vorerst aber sind sie schließlich, nach sorgsam choreographierten Lehrjahren, Meister des Heldentums, die hoch gehandelt werden. Einige treten der Handelskammer bei und beteiligen sich an der Nachwuchsförderung.
Viele unserer Nachbarvölker neiden uns unsere Helden. Es sei ja alles viel zu durchorganisiert, blöken sie, eine Heldenreise könne nicht verordnet werden. In Wirklichkeit aber, da sind wir uns sicher, sind sie schon längst dabei, in aller Heimlichkeit ihre eigenen Helden zu produzieren. Freilich besorgt uns das nicht, denn wir haben den Vorsprung; was uns besorgt, betrifft unsere Bevölkerung, den einfachen Bürger, den es von allzu großer Verehrung, ja am besten jeglicher Verehrung unbedingt abzuhalten gilt, bevor er beginnt sich zu fragen: Wenn die Helden höher gehandelt werden als er selbst, weil sie sich für ihn, den Bürger, der also weniger wert ist, aufgeben würden – worin liegt ihr Wert dann eigentlich?
freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>