Glück
Ich stehe vor meinem Teich und stell mir vor, er wär das Meer. Also voll Salz und Fische und mit Sand am Rand. Wenn jemand die Blätter vom Apfelbaum mit Booten oder Wellen austauschen würde, wäre die Transformation perfekt. Was will man sonst von einem Meer? Wasser, Salz, Boote, Fische, Wellen, Strand.
Leider ist mein Teich kein Meer. Gestern war der Himmel grau, heute ist er blau und mein Teich spiegelt die Wolken, weil er glaubt, er sei ein Spiegel. Mich spiegelt er nicht. Die Katze vom Nachbarn fällt durch die Hecke und landet trotzdem auf allen Vieren. Dass ich regelmäßig stolpere und hinfalle, rechtfertige ich dadurch, dass ich nur zwei Beine habe. Mit zwei als Back-up würde ich auch nicht stürzen. Die Katze vom Nachbarn kitzelt inzwischen meine Waden mit ihrem Schwanz. Die Katze ist schwarz. Ich stell mir vor, dass das Glück bringt.
Aus Reflex trete ich das Tier, als es mich zu Kratzen beginnt. Das Geräusch, das dem kleinen Körper entflieht, würde bei einem Menschen tief unten aus der Kehle kommen. Ein Fluch fällt mir aus dem Mund und jagt die Katze in die Flucht. In meiner Haut ist eine Linie, die rote Perlen aufzufädeln beginnt. Ich stelle mir vor, es wären Rubine. Leider schmelzen sie unter meinem Blick und rinnen in meine Socken.
Egal, die muss ich sowieso waschen, weil ich jetzt einen Schritt in den Teich hinein mache. Dass das Wasser in der Wunde nicht brennt, verunsichert mich. Ist das nicht normalerweise so bei Salzwasser? Meine Schuhe werden vom erdigen Boden verschluckt und ich sehe sie nicht mehr. Der zweite Schritt fällt mir schwer, weil sie im Morast eingesunken sind und mit dem anderen Fuß bleibe ich stecken, stolpere, würde auf allen Vieren landen, wenn ich nur 4 Beine hätte. Aber so klatsche ich mit meinem ganzen Körper in den Teich hinein.
Mein Gewand ist schwer an meiner Haut, bewegt sich träge vor Nässe, klebt an mir und gleichzeitig schwimmt es von selbst. Meine Schuhe sind aus blei und erschweren meine Brustschwimmbewegungen. Fast kann ich es nicht glauben, also ich schon nach kürzester Zeit am anderen Ende des Teichs angekommen bin. Ist das Meer nicht größer?
Die Sonne scheint an diesem Ufer. Der Sand ist ziemlich grobkörnig und manch einer würde behaupten, es wäre Kieselsteine, die ich letzten Sommer hier aufgeschüttet hätte, aber ich weiß, dass es Meeressand ist. Weil man am Strand nicht mit nassen Kleidern steht, ziehe ich das T-Shirt aus und werfe es ins Wasser. Dann die Schuhe, schließlich die Socken. Die Hose geht unter, als ich sie nachschmeiße, die Unterhose schwimmt. Die Brise, die in dieser Bucht weht, ist kühl, aber sie trocknet die Wassertropfen an meinem Körper. Nur die Haare bleiben länger nass und kleben als Coolpack an meinem Nacken.
Die Hecke zum Nachbarn ist hoch. Die Fenster vom anderen Nachbarn sind mit Rollläden verschlossen. Obwohl sie beide immer zu Hause sind, sehen sie mich nie, wenn ich hier nackt stehe. Kein Wunder, ich bin ja auch am Meer. FKK-Bereich, da schaut man nicht hin. Die Katze sitzt am anderen Ufer und beschnuppert meine Unterhose, die es dort drüben angeschwemmt hat. Bringt meine Unterhose jetzt Glück?
Bis meine Haare trocken sind, dauert es noch eine Weile. Ich setze mich in den Sand und beginne eine Burg zu bauen. Manch einer würde sagen, es sei eine Kieselpyramide, aber manch einer würde auch sagen, die Luft würde hier nicht nach Meer schmecken. Manch einer würde so einen blauen Himmel wegen der Rollläden gar nicht bemerken. Er würde nicht sehen, dass im Sonnenschein heute ein Meer in meinem Garten rauscht. Er würde seine Wäsche waschen und die dunklen Wolken am Nachmittag argwöhnisch beäugen, bevor er die Wäscheständer über Nacht doch lieber wieder ins Wohnzimmer stellt. Er würde im Regen von Morgen die Gartentür nur zum Stoßlüften öffnen und wenn er aus dem Fenster im ersten Stock schauen würde, würde er seufzen. Seufzen über den seltsamen Nachbar, der wieder und wieder einen Handstand vor dem Teich versucht und wieder und wieder scheitert und im Wasser landet.
Was der Nachbar nicht weiß, ist, dass ich Morgen eine Schnitzelgrube in meinem Garten finden werde. Dass es regnet, macht das Ganze ein wenig unangenehm, aber einen Handstand wollte ich immer schon lernen. Die Katze leistet mir an Regentagen selten Gesellschaft und so langsam frage ich mich, ob sie tatsächlich Glück bringt, oder ob sie mir das nur von ihrem Besitzer leiht. Weil dann müsste ich es ja irgendwann zurückgeben. Und darauf habe ich keine Lust.
freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at