Wie du bist, Orion, in einem Feld aus Gold

Das Gras steht hoch im Spätsommer, die Halme schon trocken. Auf manchen Wiesen ist der Mähtraktor schon gefahren, dem eine Reihe von Menschen vorangeht, die durch die Wiese, den Acker kämmt, um die Rehkitze und Hasen aufzuscheuchen, damit sie von den rotierenden Messern nicht zerfetzt werden. Frühmorgens passiert das, vor der Arbeit, aber jetzt ist es Samstagnacht, und die Nachtluft legt sich schwer vom Geruch des Heus auf die Landschaft. Wenn wir uns jetzt ins hohe Gras legen, droht keine Gefahr.
Dort, sagst du, ist einmal ein Birnbaum gestanden, doch vor vielen Jahren stürzte er um im Sturm, und dein Großvater hat aus dem wertvollen Birnenholz eine Bank gefertigt, die jetzt immer noch vor eurem Haus steht, obwohl der Großvater schon viele Jahre tot ist. Du erinnerst so viele Dinge in dieser Landschaft, von denen ich keine Ahnung habe, denn ich bin nicht von hier.
Wann immer ich dich treffen will, komme ich ins Dorfwirtshaus, am Samstag. Am Gang vor den Toiletten sind wir uns diesmal begegnet, voreinander stehen geblieben, weder ich noch du haben eine Ausweichbewegung gemacht. Stattdessen wenige Schritte aufeinander zu, die Körper greifen ohne Zögern ineinander, die Münder küssen. Meine Finger in diesen deinen langen, blonden Haaren, deine hellblauen Augen geschlossen. Nur dieser gegenwärtige Moment.
Komm, sagst du, und führst mich hinaus zu deiner Klapperkiste aus Rot und Rost und ich steige ein, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Die Hand in deinem Nacken, während du fährst, und ich weiß nicht, will gar nicht wissen, wohin.
Das Auto haben wir stehen gelassen an der Kehre, wo die asphaltierte Straße in einen geschotterten Waldweg mündet, und von dort aus sind wir den Hügel hinab gelaufen, gemeinsam haben wir die Mitte der Wiese gesucht, das Zentrum, gefunden in einer kleinen Kuhle, die sich in die Hügelflanke schmiegt, und uns einlädt zum Rasten.
Schau, sagst du, und deutest hinauf. Ich schaue zum Himmel, folge dem Fingerzeig. Orion und die Plejaden. Die Geschichte von den sieben Schwestern, sage ich, die von Orion verfolgt werden. Die älteste Erinnerung der Menschheit soll das sein, diese Geschichte. Es gibt sie in Europa, aber auch in Australien. Kennst du die? Du antwortest nicht, und auch ich verstumme, meine Stimme kommt mir zu laut vor, fühle mich wie die besserwisserische Studentin aus der Stadt.
Nun, da wir nebeneinander in der Wiese sitzen, und nicht fürchten müssen, dass uns jemand überraschen könnte, halten wir Abstand voneinander, die angebrochene Rotweinflasche zwischen uns. Du nimmst einen großen Schluck, hältst mir die Flasche hin, ich gieße Wein in mich hinein. Ob meine Lippen, meine Zunge blau verfärbt sind, frage ich mich. Ich stecke mir eine Zigarette zwischen die Lippen, hastig, damit kein Raum bleibt zum Küssen. Mit zitternden Händen fummelst du dein Feuerzeug aus der Hosentasche und zündest mir die Zigarette an, beide starren wir auf die Flamme, bis ich Rauch ausatme, den du mit dem Mund fängst.
Lachend lässt du dich nach hinten fallen, ins trockengelbe Gras. Zuerst ist es nur ein Summen, später ein Singen, deine Stimme rauh, so wie die deines großen Vorbildes. Du siehst aus wie er, sagen alle, und Gitarre spielst du auch, in den dunklen Himmel singst du hinauf: Take your time, hurry up, choice is yours, don’t be late, take a rest as a friend …
Das ist die Rolle, die du am liebsten spielst, wiedergeboren, sagst du, wenn du betrunken bist, in diesem Scheißkaff umgeben von Bergen. Endlich nicht gesehen werden. Die Bürde der Berühmtheit abgelegt. Du glaubst trotzdem, dass du mit der Stimme, mit der Nummer, jede haben kannst, die du willst. Ich frage dich nicht, warum du diese Vorstellung brauchst, die mir so kindisch vorkommt. Dass du ein früheres Leben abrufen könntest. Als wärst du nicht selbst genug.
Ich konzentriere mich auf deine Stimme, sie trägt mich, wenn ich zwischendurch die Augen schließe. Ich intoniere in dein Singen hinein, wir improvisieren zusammen, es wird eine harmonische Mischung, obwohl ich schon lange nicht mehr gesungen habe.

You’ll remember me when the west wind moves
Come as you are, as you were
You’ll forget the sun in his jealous sky
As I want you to be
As we walk in fields of gold
As a friend, as a friend

Gleichzeitig verstummen wir, lassen etwas verklingen in die Nacht hinaus, und du drehst dich zu mir, dein Kopf auf deinen Arm aufgestützt. Ich rücke näher, drücke mich an dich, und deine andere Hand legt sich zwischen meine Brüste, ruht da, sie streicht über die Länge meines Körpers, von oben nach unten, immer wieder.
Come as you are, sagst du.
Meine Stimme kommt dir entgegen, ganz fremd mit zu viel Atem, aber trotzdem klar: Nein, sage ich zu dir.
Keiner im Dorf würde mir dieses Nein abnehmen, das jetzt zwischen uns steht. Ich kann mir gut vorstellen, was sie über uns geredet haben, ab dem Augenblick, in dem wir das Wirtshaus zusammen verlassen haben. Wenn wir zurückkommen, werden sie sich das Maul zerreißen über mich, und dir auf die Schulter klopfen.
Du rollst dich weg von mir, lässt eine Körperbreite Abstand zwischen uns. Ich lächle dich an, suche deinen Blick, nehme deine Hand. Dieses Nein eröffnet einen Raum zwischen uns, der sich so weit anfühlt wie der Nachthimmel.
Wir schauen hinauf, zu den Plejaden.
Choice is yours, sagst du.

 

Katrin Oberhofer

 

 

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