Mint

Es gab eine Zeit, in der ich mich von einer Fernsehwerbung für koffeinarmen Kaffee verfolgt fühlte. (Ich möchte schreiben: obsessiv verfolgt, aber kann man sich obsessiv verfolgt fühlen?)

Ich hatte eine Obsession mit vielen Dingen, Sätzen zum Beispiel oder Liedern. Wobei es eigentlich nie ganze Lieder waren, immer nur eine oder anderthalb Strophen oder, was am schlimmsten war, nur der Refrain. (Dass ich später eine Zeitlang in einem Kindergarten arbeitete, machte es nicht besser.) Die Kaffeewerbungsobsession fiel in eine Zeit, in der ich Seminare an einem Zentrum besuchte, das Career Academy hieß. Leute, die einen Uniabschluss gemacht hatten, wie ich, konnten dort Dinge lernen, die sie in irgendeiner Weise mit der Arbeitswelt vertraut machen sollten. Ich war sehr unvertraut mit fast allem aus dieser Welt. In meiner Erinnerung sitze ich tags auf dem Fußboden über Jobanzeigen, deren Überschriften mich so nervös machten, dass ich nicht wagte, weiterzulesen, und aß abends auf dem Fenstersims weinend Spaghetti. Ich hielt mein Gesicht unter Wasser und ging schlafen. Das waren meine Tage.

Einmal kam eine Frau vom Arbeitsamt in die Career Academy und sagte, wir sollten uns in einer Reihe aufstellen, nach den Anfangsbuchstaben der Wunschberufe, die wir als Kinder hatten. Fast alle waren in ihren Kindergedanken Bildende Künstler*innen, Violinist*innen oder erforschten die Tiefsee. Dann hatten sie BWL, Jura oder etwas, das sie vage interessierte, auf Lehramt studiert.

Die Frau sagte, wer ein halbes Jahr nach dem Uniabschluss nicht in den Arbeitsmarkt hineingefunden habe, hätte es sehr schwer, dort noch einen ordentlichen Platz zu finden. Ich rechnete die Monate nach, in denen ich nach der Uni Kuchen an gleichaltrige Agenturgründer verkauft hatte: Es waren zu viele. Ich würde mich sehr beeilen müssen, wenn ich nicht zu den Verdammten gehören wollte, die für immer außerhalb des Kreises blieben.

Fast alles, was die Frau von der Agentur sagte, gab mir dieses Gefühl, das ich hatte, wenn mir jemand eine schöne Restwoche wünschte – als wäre kaum etwas übrig von dem, was einmal groß und ganz vor uns gelegen hatte. Aber an so einer Woche ist ja heutzutage auch nicht mehr viel dran.

Als ich anfing, Kuchen zu verkaufen, hatte der Cafébesitzer zu mir gesagt: „Du darfst dem Kuchen nicht zeigen, dass du Angst vor ihm hast.“ Er führte mir vor, wie ich das Messer in lauwarmem Wasser abstreichen sollte, und dann: den sauberen Schnitt durch Schichten von Erdbeermousse, Basilikumcreme und Biskuit, und wie sich die Torte schließlich beherzt, ohne spürbare Angst, auf einen goldgerandeten Teller schieben ließ. Die Agenturleute, von denen ich einige noch aus der Schule kannte, tranken zum Glück nur Kaffee. Und im schlimmsten Fall konnte ich meinen Kopf in die metallenen Kühlfächer hinter dem Tresen halten.

Die Frau aus der Werbung hätte niemals Kuchen gegessen. Noch weniger als das Model, das in einem Interview sagte: „Alle zwei Wochen gönne ich mir einen halben Keks.“ Die Frau in der Werbung aß gar nichts, aber natürlich war sie trotzdem den ganzen Tag glücklich. Sie hatte das perfekte weiße Neunzigerjahreloft und trug morgens graue Wollsocken zu einem riesigen weißen Hemd. Alles, was sie tat, war lässig, beiläufig und professionell: Im Businessdress hielt sie Männern in Anzügen nickend Mikrofone hin, war dann inlinernd mit einer Gruppe lachender Pastellfarben im Park unterwegs und knipste abends, den schönen Mann in einem Arm, die Fernbedienung in der anderen Hand, im Kleinen Schwarzen unsere Blicke aus. Und natürlich trank sie ihren Kaffee schwarz.

Sie war definitiv eine Frau, die sich nicht vor Titeln von Stellenanzeigen fürchten würde. Sie würde die Titel einfach weglachen und sich einen Lightkaffee in die mintfarbene Tasse gießen, in der Sonne am Fenster.

 

Katharina Unteutsch

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