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am morgen empfängt sie patient a, einen depressiven schriftsteller, der durch eine recherche über viren auf öffentlichen raststätten zum hypochonder geworden ist und nun von angstzuständen geplagt, kaum noch zeit zum arbeiten findet. dabei muss, will er, den großen roman schreiben, eine familie, mehrere generationen, scheitern, krisen, seitensprünge, ein apfelbaum im garten, leichen im keller, er sitzt ihr im sessel gegenüber, schwitzt, schnieft, sucht spucke in seinem trockenen mund, lehnt aber das wasser ab, in dem eine zitronenscheibe schwimmt, blinzelt, kratzt, reibt oberschenkel, blickt unruhig zwischen zimmerpflanze und bild, ein weg zwischen birken, der in einen wald führt, gemalt von einem, der nie in russland war, aber immer nach russland wollte, und sagt, „die medikamente sind wie bukowski nach einer versoffenen nacht auf dem klo, ich brauche andere oder mehr oder beides“, ob sie nicht welche in blau hätte, blau war mal seine lieblingsfarbe, aber dann las er richard ford, seitdem nicht mehr blau, sein blick wandert zur uhr, wieder zu ihr, rutscht ab, er mag ihre rundungen, sie knöpft ihre strickjacke zu, er versteht, das er entlarvt wurde, er spricht von durchfall, von parasiten, er kombiniert seine textfragmente, bis er überzeugt vom parasitärem durchfall ist, da war ein hund, „sie wissen schon, im park, sie notiert, hund im park, was war mit dem hund, na der hund war da, wo, im park“, „und“, „ich war auch im park“, „haben sie sich berührt“, „nein“, der schriftsteller zuckt zusammen, in seinem letzten buch ging es um eine frau, die sich in einen mann verliebt hatte, der dann an krebs gestorben ist, „das muss man sich mal vorstellen“, sagt er, gereizt, „da fängt man an und schon hört es wieder auf, wie soll mal da erst anfangen, wenn man schon weiß, dass es enden wird, ja, enden muss“, sie blickt auf ihr heft, hund im park, mehr steht da nicht, sie könnte aufschreiben, dass er angst vor bindungen hat, aber hat er wirklich angst vor bindungen, „ich bin eher wie arno geiger“, sagt er und sagt, „er wäre momentan lieber nicolas mathieu, aber generell sieht er sich als arno geiger“, er hätte gestern ein ziehen in der brust gespürt, in herznähe, danach ein stechen unter dem bauchnabel, „da sind doch nur därme, oder“, sie hebt die schultern, um sie fallen zu lassen, „und heute morgen, da ist etwas ganz besonderes passiert, eine taube saß auf meinem fensterbrett und ich dachte, das ist ein guter einstieg, jemand wacht auf, sieht eine taube, taube fliegt weg und er beginnt von seinem vater zu erzählen, väter sind wie tauben, mütter wie möwen, und dann ist die taube wirklich weggeflogen und ich fand die idee bescheuert, als hätte die idee nicht einmal vorher gut sein können und auf einmal, herzrasen, atemnot, schwitzige hände, magengrummeln, taube füße, kopfschmerzen, ohrenglühen, durst, blähungen, juckende augen, gliederschmerzen, gedanken an raymond carver, knochen, kot, der körper als verdauungsapparatur, sie wissen schon“, man nickt sich nun zu, der schriftsteller, weil er glaubt, die richtigen worte gefunden zu haben, sie, weil sie glaubt, er bräuchte diese zuversicht.

patient b kommt eine viertelstunde, nachdem patient a den raum verlassen hat, sie lüftet und schaut aus dem fenster, unten steht ein umzugswagen, man räumt aus, kartons, ein halbes sofa, das in luftpolsterfolie verpackt auf eine sackkarre gehievt wird, patient b trägt einen alten pullover und abgenutzte hosen, er sieht wie ein student aus, ist aber kein student mehr, er ist wie ein text von patient a, eine dieser schwurbligen zeilen, ihr fällt sogar eine ein, das dach da drüben ist nass, obwohl die sonne scheint, patient b sagt, er hätte was mit einer frau, die verheiratet ist, und der mann der verheirateten frau hat auch etwas mit einer frau, die nicht seine frau ist und das problem ist, das alle irgendwie parallel mit jemanden zusammen sind, der die frau eines anderen ist oder halt der mann einer anderen, „verstehen sie“, „natürlich“, „und wie soll ich da, das macht doch gar keinen sinn, wenn man am ende“, „was sind sie am ende“, „na“, „was na“, „ich weiß nicht, dann bin ich nur jemand, der eine frau hat, die mit einem anderen schläft und ich selbst schlafe mit einer frau, die auch noch mit einem anderen mann schläft und irgendwie will ich nicht, das alle durcheinander schlafen, ich will“, „was wollen sie“, sie schaut vom block aus, sein ständiges zögern in den sätzen nervt sie, seine schultern hängen, die haut glänzt, er erinnert sie an den sohn einer nachbarin, söhne von nachbarinnen können schrecklich verliebt sein, denkt sie und stellt sich den sohn, wie er bei ihr ein paket abholt und sie nur im bademantel, was für ein klischee, sie muss schmunzeln, patient b missfällt das, „warum grinsen sie“, „ach nichts“, „wie nichts, man ist doch immer“, „was“, „na nur einer von vielen“, „vielleicht muss man einer von vielen sein“, daran hätte er auch schon gedacht und ob er sich einen neuen fernseher holen soll, weil sein alter so eine schlechte auflösung hat, ob sie das nachvollziehen kann, wie man austauscht, wenn es nicht mehr reicht, vielleicht müsste der sohn etwas reparieren, die glühbirne ist kaputt, der wasserhahn tropft, eine schraube sitzt locker, und dann zieht er sein t-shirt aus, sie hofft, dass er sich die achseln rasiert, männer sollten sich die achseln rasieren, und ihre eier auch, eier, was für ein komisches wort, hoden ist aber auch nicht besser, sie schreibt in ihr heft, hoden vs. eier, patient b ist noch immer bei den fernsehern, „da ist etwas besser, ja, größer, neues format, 3-d, was weiß ich, interne festplatte, internet, und dann wird der alte einfach entsorgt“, er will nicht der fernseher sein, „kennen sie ferenc liebig“, „nie gehört, was ist mit dem“, „der hat ein buch geschrieben, über eine frau, die krebs bekommt, ach falsch, die sich verliebt, der mann kriegt krebs, irgendwie so, was ist wenn das bild ausfällt, die lautsprecher nicht mehr funktionieren, was machen sie dann, sie sollten vielleicht mal das buch lesen, es gibt schlimmeres, als ein fernseher zu sein und letztendlich, wer sagt eigentlich, ob das gut ist, wenn wir nur mit einem zusammen sind, der uns möglichweise gar nicht ausfüllt“.

sie legt das heft beiseite, in ihrer pause müsste sie protokollieren, zusammenfassen, bezüge herstellen, hund im park, hoden vs. eier, sie starrt auf den bildschirm, schreibt etwas, löscht es wieder, der nächste patient klingelt, sie öffnet die tür, eine distanzierte begrüßung, schon steht sie im flur, hantiert an ihren verknoteten schnürsenkeln herum, „sie können schon platznehmen“, sagt sie und starrt wieder auf den bildschirm, der nachbarsjunge, drahtig, dunkelhaarig, sie hat ihn noch nie mit einem mädchen gesehen, nur mit seinen halbstarken kumpels und motorrollern, rauchend, in jogginghosen, weiten shirts, basecaps richtend, „ich komme dann gleich nach“, patient c ist schon im zimmer, sie schaut zu den schuhen, der knoten ist noch drin, na komm, sagt sie zu sich, steht auf, läuft über den weichen teppich, ihre füße versinken leicht, sie greift nach dem block und setzt sich, im gegensatz zu patient c blickt sie auf einen sonnenuntergang, die farben verteilen sich auf dem wasser, schimmern, rot, gelb, lila, orange, gold, ein gräuliches blau, zehn, höchstens fünfzehn minuten und die sonne wäre verschwunden, sie mag dieses bild, die grobe struktur, die kräftigen farben, die melancholie, die vielleicht nur sie wahrnimmt, „wie war ihr tag bisher“, fragt sie, „wie die anderen tagen, wie alle tage seit dem tod“, patient c klemmt die nase zwischen daumen und zeigefinger, schnieft, wackelt mit dem handrücken am linken nasenloch und schlägt dann die beine übereinander, viel bewegung in diesem kantigen körper, „ich wünschte einfach, er wäre da, aber er ist nicht da, ich kann nichts mit ihm teilen, das ist frustierend, wenn die einsamkeit sich so äußert, dass man wütend wird“, und in dieser hilflosigkeit wird man zu einem haus ohne dach und die ganze zeit regnet es hinein und die feuchtigkeit frisst sich in die wände, mit einem kopfschütteln sagt sie, sie würde jetzt mit einem mann schlafen, der picasso für ein restaurant hält, „nicht wirklich, oder“, „doch, ich sagte, lass uns doch zu picasso gehen und er fragte, ob das der neue italiener ist und ich antwortete, nein, wenn dann schon spanier und er meinte, das ist doch kein spanier, er habe pizza auf der karte gesehen und dann sagte ich ihm, nicht mi casa, picasso und er sagte, er würde nicht verstehen und ich habe trotzdem oder vielleicht deswegen“, an dieser stelle unterbricht sie, verlangt ein taschentuch und reibt an den nasenlöchern wie vorher mit dem handrücken, sie wisse nicht, wohin das führt, diese selbstaufgabe, aber sie könne sich nicht wehren, immer wieder fragt sie, wieso das ihnen passieren musste, andere dürfen doch auch glücklich alt werden, mehr wollte sie nicht, nur glücklich alt werden, und nun bliebe ihr das verwehrt, wie so vieles andere auch, sie notiert, manches kann man nicht überwinden, selbst dann nicht, wenn man die möglichkeiten dazu hat, sie ist der letzte patient für heute, noch zwanzig minuten, wer weiß, irgendwann betrachtet sie vielleicht die birken.

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Ferenc Liebig

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