Kind eines Vaters
Der Wind fuhr um die Hausecke, ein wenig kühl, spielte mit unseren Haaren. „Wir waren neulich bei Bekannten zum Geburtstag eingeladen. Da waren auch zwei Paare mit Kleinkindern und der eine Vater ist die ganze Zeit mit seinem Sprössling am Boden rumgekrochen. Hat sich echt zum Affen gemacht. Bubi hier, Bubi da. Rumgekeckert mit Babystimme. Immer schön auf den Knien rumgerutscht, weißte. So richtig peinlich. Und Applaus hat er auch noch dafür gekriegt von den Mamas. Schau mal, wie der sich kümmert, lächel, lächel. So ein Mist echt mal.“ Er zog an seiner Zigarette, die in der Herbstluft rot aufglomm, aschte ab. Sachte legten sich die feinen, verglühten Tabakteilchen auf meine Arbeitshose, auf die staubigen Schuhe. Roh und unverhohlen sauten mich seine Worte ein.
Was bleibt von mir, wenn ich mit sanfter Stimme gurre? Liebkose, mein Herz verliere? Bin ich verloren? Mir die ganze Kraft, die Welt zu stemmen, entrissen, Titanentod?
„Nicht meine Art, weißte. Man muss doch ‘n bisschen Selbstrespekt haben. Das Leben ist auch einfach ‘n Scheißdreck.“ Daran würgte er. Spuckte aus.
Zwei Jahre her. Der Dachstuhl war gerade fertig, Richtfest gefeiert. Vorm Winter würden die Dachpfannen drauf sein. Meine Arbeit war beendet. Mit ihm hatte ich öfter mal gequatscht in den Pausen, mal ein Bierchen getrunken. Wir lehnten an der rohen Betonwand. Seine Hand zerquetschte die aufgerauchte Zigarette, Ruß, schwarze Wut auf dem makellosen, gleichgültigen Grau.
In seinen Händen zeigt sich der Mensch, sie sind es, die liebkosen, erbauen, zerstören. Seine Hände waren muskelbepackt, nicht fähig, sich Konturen weich anzupassen, gewohnt, zuzupacken, zu schleppen, zu heben, Dinge zu bezwingen, zärtlich vielleicht zu aufsteigendem Mauerwerk.
Sein Junge war ein paar Mal auf der Baustelle gewesen. Wenn seine Mutter Dienst hatte samstags und die Oma zu Freunden oder Familie verreist war. Durfte eigentlich nicht auf die Baustelle, aber der Bauleiter drückte ein Auge zu, wenn er bei den Bauwagen blieb.
Strubbliges Haar, mattblond, Augen, die auszulaufen schienen. Aufgerissen, rote Augenlider, ein bleiches Gesicht, rotfleckig, die Mimik kämpfte gegen eine stille Erstarrung.
„Willst du ‘ne Cola?“ Leises Nicken. „Komm.“ Ich musste ein Telefonat machen, eine Dienstplanänderung. Er stand an der Tür, den Kopf gesenkt, in der schmutzigen rechten Hand sein Handy. Ganz fest. Er hatte Muster mit den Fingern in den staubigen Sand vor den Wagen gezogen.
„Komm rein, setz dich.“ Ich holte eine Cola aus dem Kühlschrank, goss ihm einen Plastikbecher ein, den er zögerlich, ungeschickt mit der Linken griff. Trank mit niedergeschlagenen Augen, kleckerte sich Cola auf die Jacke, scheinbar ohne es zu merken. Klein war er. Sieben, hatte sein Vater mir erzählt. Robert. Seine Füße in den Gummistiefeln baumelten sachte in einem geheimen Rhythmus in der Luft.
Die Colaflasche noch in einer Hand, streckte ich spontan die andere aus, um ihm über die Haare zu fahren. Abrupt, heftig zuckte er zurück, ließ den Becher fallen, die Cola zeichnete dunkel einen Fleck auf den Boden, der sich langsam weiter in den Staub fraß. Steinern saß er da, unter den Wimpern quollen lautlos Tränen hervor, die Kiefer mahlten sie wegzubeißen.
„Alles okay. Alles gut, Robert. Ist nicht schlimm, hörst du? Tut mir ganz doll leid, dass ich dich erschreckt habe. Wir bringen das in Ordnung. Keine Angst. Ich wische das auf und du trinkst noch eine Cola auf den Schreck. Schau, ich stelle dir den Becher auf den Tisch hier. Du kannst ihn dir nehmen. Und ich mache den Fleck weg.“ Mir klumpte der Bauch. Weich redete ich auf ihn ein, wischte die Cola auf, sprach, ohne eine Antwort zu bekommen, über den Bagger, den ich ihn hatte bestaunen sehen und den gelben Baukran.
„Erzählst du nichts meinem Papa?“ Die Stimme war schmal. Das erste Mal blickte er mich an. Schüchtern, bereit, die Flucht zu ergreifen.
„Ich erzähle nichts. Versprochen. Großes Ehrenwort.“
„Meinst du, ich kann Baggerfahrer werden? Mein Papa sagt, nur gute Jungen können Baggerfahrer werden.“
„Ich bin ganz sicher, dass du Baggerfahrer werden kannst. Absolut. Du bist ein guter Junge. Das mit der Cola kann jedem passieren, wenn man sich erschreckt.“
Stumpfe Helligkeit warf Lichtstreifen in das Wageninnere. Durch das kleine, verschmutzte Fenster und den Spalt der halb offenen Tür stach sie herein, ließ seine grüne Jacke düster erscheinen. Die Cola hatte eine schmale Spur hinterlassen, vom Kragen hinab zur rechten Tasche.
„Wirklich?“
„Ja. Komm, ich wische dir die Cola ab. Dann muss ich mal telefonieren. Du kannst aber gerne hierbleiben.“ Ich wählte, drehte mich zum Dienstplan an der Rückwand und als ich aufgelegt hatte, mich umwand, war er weg.
Danach sah ich ihn nur noch einmal, als er mit seiner Mutter den Vater abholte. In der gleichen grünen Jacke stand er neben dem Wagen. Auf mein Winken reagierte er nicht. Hob nur kurz den Kopf, schaute mich an, als er einstieg, ein Blick, der mir blieb. Sein Vater hupte im Wegfahren. Eine lange Welle Verlassenheit schwappte mit vertrauter Wucht über mich hinweg.
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